Einfacher Arbeiter im Weinberg des Humors

Nachruf auf F. K. Waechter

Von Robert GernhardtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Robert Gernhardt

Ein vermutlich europaweit kolportierter Scherz fragt nach den dünnsten Büchern des Kontinents und zählt neben dem "Buch der italienischen Heldentaten", dem "Buch der guten englischen Küche" auch das "Buch des deutschen Witzes" auf - das enthalte nur eine Seite, und die sei lediglich zur Hälfte bedruckt.

Wenn es sich so verhält, dann war Friedrich Karl Waechter kein Deutscher. 1937 in Danzig geboren, hat er seit dem Jahre 1966 mehr als vierzig Bücher veröffentlicht, darunter so komische und vielseitige Cartoonbände wie "Wahrscheinlich guckt wieder kein Schwein" (1978) oder "Männer auf verlorenem Posten" (1983). Alle in Frankfurt, also mitten im urdeutschen Kernland Hessen erdacht - wie verträgt sich dies mit dem erwähnten Vorurteil? Gut, wenn man Waechters Keindeutschersein ein wenig präzisiert: Er ist kein deutscher Witzemacher. Früh schon blickt er über den Tellerrand. Zum Jahr 1960/61 notiert er in "Mein Lebenslauf": "Hilflose Versuche, mein bescheuertes Dasein witzig zu sehen. Formaler Anreger ist vor allem Saul Steinberg, der wunderbar frei ist vom Mief der deutschen Illustriertenkarikaturisten."

Noch arbeitet Waechter in der in Freiburg beheimateten Oberbadischen Annoncenexpedition, doch bald weitet sich der Horizont. Das Kultblatt "twen" druckt seine Cartoons, "pardon, die satirische Monatsschrift" stellt ihn als Chefgrafiker ein. Waechter erfindet das "pardon"-Teufelchen und lebt auf: "Vor allem berauscht mich, daß ich Geld, Liebe und Anerkennung für das bekomme, wofür ich auf der Lauenburgischen Gelehrtenschule Prügel erntete: nämlich für Frechheiten, Bosheiten und Geschmacklosigkeiten."

Das freilich ist nur die halbe Wahrheit. Waechter nämlich verschweigt, wie er das alles serviert: Liebevoll erdacht, exzellent gemacht und staunenswert abwechslungsreich.

Zu den ersten Staunenden gehörte auch ich - "1964. Im April kommen Robert Gernhardt und Fritz Weigle (F. W. Bernstein) in die Redaktion" -, und ich bin seither bei aller Freundschaft und aller Vertrautheit mit Waechters Wirken nicht aus dem Staunen herausgekommen. Ein Mitstaunender war und ist Hans Traxler, gleich Waechter und mir komischer Zeichner, "Titanic"-Mitbegründer" und Mitglied der "Neuen Frankfurter Schule". Er bemerkt zu "Waechters Zeichenkunst", der Kollege werde augenscheinlich besonders häufig von der Muse geküsst: "Die Folge sind eine makellose Eleganz im Linienfluß, schlafwandlerische Sicherheit in der Anwendung von einem Dutzend grafischer Techniken bzw. der Kombination von mehreren, überraschenden Formulierungen, eine apollinische Heiterkeit, Pointen von gewagtester Drastik bis hin zum verschwebenden Pianissimo und ein über allem waltender Kunstverstand."

Letzterer hat Waechter nie verlassen; er hat ihn sogar davor bewahrt, Hochkunst machen zu wollen, obwohl er sich in allen bildenden Künsten hätte etablieren können, als Grafiker, Maler, Plastiker, Objekt- und Konzeptkünstler, sogar als Performer. Doch selbst der erweiterte Kunstbegriff eines Joseph Beuys und seiner Jünger war zu eng gefasst, um auch die komische Zeichnung sowie die Bildergeschichte einzugemeinden; und da die Hochliteratur traditionell eine ähnliche Zurückhaltung an den Tag legte und legt, hat F. K. Waechter die letzten vierzig Jahre einigermaßen unbehelligt und ungemein erfolgreich damit zubringen können, das weite Feld der komischen Zeichnung und angrenzender verbaler Landstriche auf deren Fruchtbarkeit hin zu untersuchen. Eine Zeitlang haben Bernstein und ich ihm dabei Gesellschaft geleistet. Gemeinsam erdachten und füllten wir über ein Jahrzehnt lang die "Welt im Spiegel" (WimS), eine Nonsensdoppelseite der Zeitschrift "pardon", gemeinsam veröffentlichten wir 1966 die fiktive Biografie "Die Wahrheit über Arnold Hau". Hören wir dazu F. K. Waechter: "Wir entwickeln eine Produzierweise, die davon lebt, daß auch das Dümmste, Banalste, Schrägste, Abseitigste, Rätselhafteste, Abgedroschenste, Geschmackloseste auf den Tisch darf. Zunächst aber scheinen wir mit unserem Spaß ziemlich allein dazustehen."

Wohl wahr. Unser "Hau" verkauft sich zunächst miserabel, doch Waechters anschließende Alleingänge und Soloernten im komischen Revier finden mehr und mehr Bewunderer unter Eltern, Kindern und all jenen, denen es gleich ist, ob sie unter oder über ihrem Niveau lachen - Hauptsache, es ist lustig.

Eine Lustigkeit, die sich auf Waechters Blättern aus allem speist, was Lust bereiten kann, und die reicht von der Erfindungs- und Erzähl- bis zur Verarschungs- und Zerstörungslust.

Ein Spagat, der nicht jedermanns oder jederfraus Sache ist. "Am Abend hilft die Jägerin dem Jäger in die Negerin" - ist die verbale sowie bildliche Darstellung dieses Sachverhalts nun frauenfeindlich? Oder jägerfreundlich? "Und hier aus dem Angebot unsere Dritte-Welt-Puppe, die "Hunger" sagen kann" - geht die Verkäuferin, die da auf dem Cartoon ein schwarzes Püppchen in geschmackvoller Verpackung feilbietet, zu weit? Oder tritt Friedrich Karl Waechter dem Elend Afrikas zu nah?

Der komische Zeichner Waechter hat Feder, Stift, Pinsel und all die anderen von ihm so meisterhaft eingesetzten Materialien aus der Hand legen müssen, doch mit seinen Werken werden die Fragen weiterwirken, welche sie im Laufe der letzten vierzig Jahre aufgeworfen und angestoßen haben. Auch über Deutschlands Grenzen hinaus? Wann wird es sich bei unseren Nachbarn herumsprechen, dass, wer über deutsche Komik mitreden will, nicht von Waechter schweigen kann?

Anmerkung der Redaktion: Der Artikel ist am 18. September 2005 in der "Welt am Sonntag" erschienen. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.