Fußnoten zum Narrativ der Moderne

Fredric Jameson erzählt kleine Geschichten von der großen Erzählung

Von Johan Frederik HartleRSS-Newsfeed neuer Artikel von Johan Frederik Hartle

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Fredric Jameson ist bereits zu Lebzeiten ein Klassiker. Im kulturtheoretischen und kunstkritischen Diskurs fällt Jamesons Name sehr bald nach denen der großen französischen Denker der 80er und 90er Jahre. Seine Arbeit über den Postmodernismus, die jenen in den kulturellen Zusammenhang des Spätkapitalismus rückte, war bahnbrechend. Besonders bemerkenswert sind Jamesons Schriften immer auch deswegen gewesen, weil sie einen politischen und soziologischen Blick auf kulturelle Prozesse richteten und jederzeit frei waren von typisch amerikanischen Berührungsängsten gegenüber kontinentalem Denken neo- und postmarxistischer Prägung.

Nun ist das Vermögen, einschlägige und Epoche machende Bücher zu schreiben, allerdings noch lange keine Gewähr dafür, eben dieses auch immer zu tun. Die "Mythen der Moderne", die aus seinen Lectures "Eine neue Moderne" am Essener Kulturwissenschaftlichen Institut hervorgegangen sind, sind schwerlich als bahnbrechend zu bezeichnen. Überhaupt sind sie schwer zu bezeichnen, idiosynkratisch und sprunghaft wie sie sind. Die Sprache seiner "Mythen der Moderne" - manchmal möglicherweise ein Übersetzungsproblem - ist ausufernd und nicht immer präzise. Neunzeilige Sätze, in denen etwa "die Dichtung" "huldvoll" "und in metaphorischer Bereitwilligkeit" die "Anerkennung, die ihr durch die anderen Künste und Medien zuteil wurde "zurückgäbe", erinnern mitunter an erste Übersetzungsübungen aus dem Altgriechischen, allzu blumig und von bemerkenswerter grammatikalischer Umständlichkeit. Seine wissende Wortkombinatorik (wenn etwa vom "Kultur-Malthusianismus" die Rede ist) mag einige Eingeweihte zu spontaner Zustimmung bewegen. Wer sich allerdings noch auf dem Weg ins Innere von Jamesons Kopf befindet, entdeckt in ihnen nur wenige Hilfestellungen.

Wie ihm zufolge die Moderne selbst ist auch Jamesons Buch ein Narrativ aus Narrativen, in dem sich eher Bescheid wissende als informative Bemerkungen zu zahllosen Theorien und Theoretikern finden. Ein Narrativ ist nun noch keine Theorie. Und so wie der Begriff des Hunds nicht bellt, ist eine Theorie des Narrativs selbst kein solches. Üblicherweise hat Theorie eine eigene Diktion, die Jameson spielerisch und literarisch unterläuft. Das gereicht seinem Buch nicht zum Vorteil.

Die inhaltliche Pointe des Buchs besteht darin, die Moderne als ein Narrativ zu rekonstruieren, das im Wesentlichen drei Ebenen hat: eine ökonomische (die Moderne als Epoche, für die die Liberalisierungsschübe des Marktes charakteristisch sind), eine philosophische (eine Epoche, die sich selbst im Begriff zu fassen versucht) und eine ästhetische (die eine neuartige Orientierung in der formalen Verdichtung ästhetischer Objekte schafft). Moderne ist für Jameson eine Kategorie, die performativ und selbstreferentiell eine neue Periodisierung eröffnet. Das klingt differenziert und ist durchaus plausibel. Überraschend ist es indes nicht. Zweifellos ist die Moderne eine symbolische Ordnung, die sich, ungeachtet aller ökonomischen Voraussetzungen, die ihr zugrunde liegen, selbst erst qua Beschreibung gesetzt hat. Dem hätte man auch ohne diese Publikation schon beipflichten können.

Im Gegensatz zu den gängigen Beschreibungen der Modernität steht allerdings die Entkopplung von Moderne und Subjektivität, die Jameson vornimmt. Das "Modernitätsnarrativ", sagt Jameson, "kann nicht um Kategorien der Subjektivität herum organisiert werden". Hier ist er strukturalistischer Erbe mit systemtheoretischem Einschlag: an die Stelle der Subjektivität, die in der Philosophie der Moderne von Hegel bis Habermas bestimmend ist, setzt Jameson das Paradigma der Selbstreferenzialität. Dass dieses nicht einfach mit Selbstbewusstsein zu verwechseln ist, macht die Selbstreferenzialität des Geldes ebenso deutlich wie die der Zeichen. Und wer Selbstreferenzialität sagt, meint Differenzierung (oder kritisch: Atomisierung). Jameson formuliert: "Differenzierung neigt zu immer weiterer Differenzierung, ohne dass ein Ende abzusehen wäre."

Zwischen den Bonmots, mit denen zahlreiche Denker der Moderne beiläufig abgehandelt werden, finden sich immer wieder auch nützliche und geistreiche Formulierungen. Manchmal schlägt ein Geistesblitz ein und eröffnet eine exaktere Sicht dieser oder jener theoretischen Pointe dieses oder jenen Denkers. Diese mitunter präzisen Pointen zur Philosophie der Moderne sind jedoch ebenso flüchtig geschrieben wie sie gelesen werden sollten. Eigentlich sollte man das flüchtig geschriebene Buch insofern einfach flüchtig wieder aus der Hand legen. Damit täte man Jameson den einzigen Gefallen, dem man ihm als geneigter Leser dieses Buches tun möchte: es nicht an der unbestrittenen theoretischen Bedeutung seines Autors rütteln zu lassen.

Titelbild

Frederic Jameson: Mythen der Moderne.
Übersetzt aus dem Englischen von Hans-Hagen Hildebrandt.
Kulturverlag Kadmos, Berlin 2004.
240 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3931659461

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch