Zu dieser Ausgabe

"Stifter ist auf den längsten Strecken seiner Prosa ein unerträglicher Schwätzer, er hat einen stümperhaften und, was das Verwerflichste ist, schlampigen Stil und er ist tatsächlich außerdem auch noch der langweiligste und verlogenste Autor, den es in der deutschsprachigen Literatur gibt", erfahren wir in Thomas Bernhards Spätwerk "Alte Meister" (1985).

Starker Tobak. Doch auch Arno Schmidt rümpfte seit Ende der 50er-Jahre die Nase gegenüber den "sprachlichen Endmoränen" der großen Stifter-Romane "Der Nachsommer" (1857) und "Witiko" (1865/67). Letzteren kanzelte Schmidt gar als "Handbuch für Offiziersanwärter" ab, bekopfschüttelte seinen "geistigen Leerlauf" als "durchwürzte & beblümte Ledertümlichkeit" und bescheinigte seinen Bewunderern kurzerhand "ein Symptom der Schrumpfung im Humanen".

Ja, er verwies sie sogar auf die küchenpsychologische Couch und rief ihnen, die "steifhosigen Moralvorschriften" des selbstmörderischen Katholiken Stifter verspottend, nach: "Die STIFTER=Fans sollten jedenfalls ihrem Gott danken, daß sich noch kein begabter Tiefenpsychologe über ihren 'Schwarm' hergemacht hat: da möchten kuriose Sächelchen zum Vorschein kommen; ganze Perlenschnüre unbewußter Meineide".

Schmidts literarisches Urteil über Stifters Altersstil im "Witiko" gleicht dabei dem in Bernhards Roman bis aufs Wort: "'Epische Breite'?: oh weh, I Stümper vergreift sich an der geheiligten Form aller Formen, der des großen Prosagebildes! Nein; der Wassergehalt des Stückes, sowie die Klischeevorstellungen & die Zungenverfettung seines Verfassers verbieten es, von einem 'Kunstwerk' zu sprechen."

Grund genug für literaturkritik.de, nach Adalbert Stifters 200. Geburtstag am 23. Oktober 2005 gleich den gesamten November nachzufeiern und dabei in verschiedenen Essays und Rezensionen der Frage nachzugehen, was es mit diesem Dichter und seinen bis heute so kontrovers beurteilten Werken auf sich hat.

Außerdem gratulieren wir natürlich Harold Pinter zum Nobelpreis und reagieren auf die erregte Debatte, die kurz vor der diesjährigen Verleihung um die letzte Preisträgerin Elfriede Jelinek entbrannte.

Viel Vergnügen beim Lesen wünscht:

Ihr

Jan Süselbeck