Angry Old Man

Anmerkungen zum Nobelpreisträger Harold Pinter

Von Peter MünderRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Münder

"Neunundzwanzig Stücke sind genug", hatte Harold Pinter noch im Frühjahr konstatiert und gleichzeitig angekündigt, nur noch gelegentlich Gedichte zu schreiben, um sich vorrangig über politische Konflikte äußern zu können. Sein letztes Drama "Celebration", eine vernichtende Kritik gedankenloser bourgeoiser Hedonisten, hatte der 75Jährige vor fünf Jahren verfasst.

In den letzten Jahren hatte man von Pinter vor allem polemische Attacken gegen Präsident Bush und seinen mit Hilfe von Täuschungsmanövern zustande gekommenen Irak-Krieg ("Ein außer Kontrolle geratenes Monster") sowie gegen Tony Blair ("ein verwirrter Idiot und Handlanger der Amerikaner") vernommen. Schon zum ersten Golfkrieg hatte sich dieser "Angry Old Man" 1991 in furiosen, mit four letter words garnierten Poemen zu Wort gemeldet, die mit den subtilen, fein ziselierten Verbalstrategien der Bühnenfiguren früherer Stücke - etwa im "Hausmeister" (1960), der "Heimkehr" (1965) oder in "Betrogen" (1978) - nichts mehr gemein hatten. Außerdem meldete er sich immer dann mit giftigen Kommentaren zu Wort, wenn es um kontroverse NATO-Strategien im Kosovo-Krieg, um Nahost-Fragen oder um plumpe amerikanische Machtinteressen ging. Ob Nicaragua, Kuba oder die Kurdenfrage: Pinter hat sich in rund zwanzig Menschenrechtsorganisationen engagiert und mischt sich unüberhörbar mit Petitionen und Stellungnahmen ein.

Ganz abgesehen davon, dass angesichts dieser betriebsamen Protestaktivitäten der literarische output auf der Strecke blieb, scheint Pinter mitunter auch merkwürdige Affinitäten zu entwickeln. Denn offenbar ist er davon überzeugt, dass das Tribunal gegen den serbischen Ex-Diktator Milosevic von den Amerikanern für ihre eigenen politischen Interessen instrumentalisiert wird - jedenfalls hat sich Harold Pinter in einem Komitee für die Verteidigung von Slobodan Milosevic engagiert. Wen wundert es also, wenn es nach der Preisentscheidung für Pinter zu heftigen Diskussionen kam und sich nicht nur der "emeritierte" Nobel-Kommissar und Jelinek-Kritiker Knut Ahnlund über die Nobel-Entscheidung für Pinter ereiferte, der dieses Votum als abermalige Fehlentscheidung und erneute Abwertung des Nobelpreises bezeichnete? Der scharfzüngige Kritiker Denis Scheck sprach ja sogar von einer "Beleidigung der Weltliteratur", während der FAZ-Theaterkritker Gerhard Stadelmeier sich über den "intellektuellen Stammtischpolitiker" Pinter mokierte und befand: "Hier spreizt und produziert sich ein eingebildet Engagierter".

Aber gab es diese Kontroversen nicht schon seit der Verleihung des ersten Nobelpreises? Wer erinnert sich denn noch an den obskuren Schwyzer Freizeitliteraten Carl Spitteler, der 1919 den Literatur-Nobelpreis erhielt?

Er sei jetzt angesichts der weltweiten brisanten politischen Konflikte meistens "sehr aufgebracht und außer Kontrolle", beschrieb Pinter seinen gegenwärtigen Zustand. Dabei hatte es ja viele Jahre lang so ausgesehen, als wäre der britische Sprachartist ein geradezu militanter Vertreter einer politisch indifferenten l'art pour l'art-Position. Noch während des Vietnam-Krieges hatte er sich über den missionarischen Eifer einiger Autorenkollegen beschwert, die sich als "Seifenkistenredner" betätigen und alle Welt mit Agitprop-Slogans behelligen wollten: "Hütet euch vor dem Autor, der euch sein Anliegen aufzudrängen versucht, der keinen Zweifel an seinem Altruismus aufkommen lässt, der sein Herz auf dem rechten Platz zu haben behauptet und der dafür sorgt, dass man es in seiner ganzen Größe sehen muss: Was einem da mit viel Zeitaufwand und als ein Gefäß aktiven und positiven Denkens vorgestellt wird, ist in Wahrheit ein in leere Definitionen und Klischees hoffnungslos verstrickter Mensch" proklamierte Pinter in seiner Dankrede, als ihm die Hamburger Universität 1970 den Shakespeare-Preis verlieh. Wie erklärt sich nun Pinters radikales Umdenken, seine Flucht aus dem Elfenbeinturm hin zum dezidierten Polit-Engagement?

Sein entscheidendes politisches Erweckungserlebnis hatte Pinter 1985 während eines Besuchs in der Türkei, als er zusammen mit Arthur Miller im Auftrag von PEN-International die Lage verfolgter Autoren und die Situation der Kurden untersuchte und dabei mit brutalen Foltermethoden der damaligen Militärdiktatur konfrontiert wurde. In seinem einfühlsamen Nachruf auf den im Frühjahr verstorbenen Arthur Miller evozierte er noch einmal die deprimierenden Gespräche mit den verfolgten Autoren und erinnerte an ein Dinner beim amerikanischen Botschafter in Ankara, das mit dem Rauswurf der beiden prominenten kritischen Beobachter endete. Der Botschafter hatte die US-Unterstützung für das brutale türkische Regime mit den "besonderen Bedingungen vor Ort", vor allem auch mit der Bedrohung durch die Sowjets begründet, während Pinter vehement gegen dieses merkwürdige Demokratieverständnis protestierte und den US-Diplomaten mit der Frage provozierte: "Wie würde es Ihnen denn gefallen, wenn Ihr Penis mit Stromschlägen traktiert würde?" Als Pinter sich dann mit der Bemerkung "Ich glaube, jetzt hat man mich rausgeworfen" an Arthur Miller wandte, reagierte der ebenso prompt wie entschieden und sagte nur "Dann gehe ich mit". Pinter beendete den Nachruf mit dem Satz: "Mit Arthur Miller aus der amerikanischen Botschaft in Ankara rausgeworfen zu werden, das war einer der stolzesten Momente in meinem Leben".

Zweifellos hat diese emotional aufwühlende Erfahrung, die Begegnung mit gefolterten türkischen und kurdischen Autoren wie auch die Konfrontation mit der Arroganz der Macht in Gestalt eines ignoranten amerikanischen Diplomaten, bei Pinter einen Prozess der politischen Neuorientierung ausgelöst und aus dem ehemaligen Laissez-Faire-Briten einen radikal denkenden Demokraten gemacht. In Stücken wie "One for the Road" ("Noch einen Letzten") und "Mountain Language" ("Bergsprache") hatte Pinter dann diese Eindrücke thematisiert, indem er das brutal-bedrohliche Verhalten von Folterknechten und die Diskriminierung eines Bergvolkes sowie den Verlust einer eigenen Sprache beschrieb.

Sicher sind manche Attitüden und Proteste des Angry Old Man, der seinen Speiseröhrenkrebs nur knapp überlebte, überzogen. Man wird sich auch damit abfinden müssen, dass Harold Pinter seine Dankrede anlässlich der Preisverleihung in Stockholm als eher drastische Gardinenpredigt gestalten dürfte, in der Präsident Bush und Tony Blair als unerträgliche Bedrohung für den Weltfrieden angegriffen werden. Doch die Diskussionen über das politische Engagement dieses streitbaren Preisträgers haben die Auseinandersetzung mit dem literarischen Werk in den Hintergrund treten lassen - dabei sollte der Nobelpreis doch vor allem der Würdigung des Gesamtwerks gelten.

Sicher sind Pinters große Stücke - wie ja auch die faszinierenden Drehbücher der Filme "Accident", "The Servant", "The French Lieutenant's Woman" - schon vor etlichen Jahrzehnten verfasst worden. Doch welcher zeitgenössische Autor hat sich schon so souverän und eindrucksvoll mit dem seit Eugene O'Neill ("Der Eismann kommt") und Ibsen ("Die Wildente") altvertrauten Motiv der Lebenslüge auseinandergesetzt wie Pinter im "Hausmeister"? Da suggeriert sich der obdachlose Hausmeister-Aspirant Davies, dem vom gutmütigen Aston ein Quartier angeboten wird, zwar selbst permanent, eines Tages werde er bestimmt seine Papiere aus Sidcup holen und sich dann einen herrlichen Schuppen bauen. Doch er verstrickt sich in bösartige Intrigen, spielt Aston gegen dessen geschäftstüchtigen Bruder Mick aus und hat am Ende alles verspielt - ohne Zukunftsperspektive und Quartier muss diese zum ewigen Vagabundieren verdammte tragische Figur wieder von vorn anfangen und sich neue Lebenslügen zurechtzimmern, um sein Scheitern zu rechtfertigen.

In diesem frühen Stück demonstriert Pinter schon seine große Kunst, hinter banalen Alltagsphrasen bedrohliche Dimensionen ungefilterter, bis ins Paranoide gesteigerter Ängste und Aggressionen aufflackern zu lassen. Seit Tschechow hat sicher kein Dramatiker so nuanciert und elektrisierend den Subtext unterhalb konkreter Inhaltsebenen mit dramatischen Spannungsmomenten aufgeladen und damit auf eine bedeutungsschwangere Beziehungsebene transponiert. Das ergibt dann wohl den immer wieder beschworenen "pinteresken" Aspekt der Stücke, der zwar mehr oder weniger diffus an Kafka erinnert, der aber immer noch ganz unvergleichlich ist.

Anmerkung der Redaktion: Peter Münder, Freier Journalist in Hamburg, hat über "Harold Pinter und die Problematik des absurden Theaters" promoviert. Er bereitet eine Monographie über Harold Pinter vor, die im Rowohlt Verlag erscheinen wird.