Kühe sehen dich an

Martin Mosebachs neuer Roman "Das Beben"

Von Maja RettigRSS-Newsfeed neuer Artikel von Maja Rettig

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Martin Mosebach macht es niemandem leicht. Zwei denkbare Lesergruppen lässt er an seinem neuen Roman "Das Beben" auflaufen: Diejenigen, erstens, die sich von der Hochliteratur ein Mindestmaß an Innovationswillen erwarten, sei der nun modern oder postmodern orientiert. Zweitens diejenigen, die sich gern in konventionell gut erzählten Geschichten verlieren. Beide müssen enttäuscht sein oder doch nachhaltig irritiert von diesem Text, der weder das eine noch das andere bedient.

Geradezu dreist ist für Erstere die Selbstverständlichkeit, mit der Mosebach sprachlich altertümelt: Es wimmelt von "gleichsam" und vorangestelltem "nun"; der Erzähler als "homme de qualité" vermerkt Dinge "in Parenthese" und ahnt, "zu welchem Behuf" etwas geschieht. Jede neu auftretende Figur wird in sturer Gründlichkeit beschrieben und dabei durchaus von der Nase auf den vorandrängenden Geist geschlossen. Viel Raum gibt er dem Essayistischen und allzu vielen bildungsbürgerlichen Einwürfen: Der Architektenerzähler wartet mit Goethe auf, er hat die europäische Geschichte intus und germanische wie griechische Götter jederzeit parat. "Sopha", "Telephon" und "Elephant" tun ihr Übriges.

Nein, das ist nirgends ironisch überspitzt oder sonstwie gebrochen. Auch hat diese Sprache hier keine Beglaubigung durch ein historisches Sujet wie in "Der Nebelfürst" (2001). Die Handlung im aktuellen Roman: Der wohl noch junge Architekt, spezialisiert auf die "Hotelisierung" historischer Gebäude, verliebt sich schwer. Die junge, göttinnengleiche Frau hintergeht ihn vermutlich. Er flieht vor ihr nach Indien, wo er einen Königspalast auf Hoteltauglichkeit prüfen soll. Der letzte Teil führt alles unvermutet neu zusammen und sogleich wieder dramatisch auseinander.

Doch trotz der Dramatik und Exotik, die diese Handlung verheißt, kommt auch die zweite Lesergruppe nicht auf ihre Kosten. Eine wirkliche Figurenpsychologie fehlt, obwohl der Erzähler ständig kommentiert und psychologisiert. Die Dialoge sind gekünstelt essayistisch oder gleich ganz in indirekter Rede gehalten. Und der zweite, der Indien-Teil, ist lang und ereignisarm.

Die interessanten Brüche aber entstehen durch subtile Widersprüche. Der so beflissen mit westlich-aufgeklärtem Bildungsgut hantierende Erzähler stößt damit im indischen Fürstentum auf Desinteresse - und auf seine eigenen Verständnisgrenzen. Allem Erklären, Schlautun und Psychologisieren zum Trotz: Den König versteht er so wenig wie Manon, die Frau, so wenig, wie man die Blicke der heiligen Kühe begreift - hier fährt sich der Text selbst in die Parade oder der Autor dem Erzähler. Manon und der König sind ihm ein "offenes" Geheimnis, undurchschaubar. Sie faszinieren durch ihre Oberfläche, ihre königlich-göttliche Haltung. Das Königtum des Königs von Sanchor ist nichts als Haltung, seit Indien Republik ist - diese aber erfüllt er vollkommen. Macht und Reichtum sind dahin, der Palast verfällt - darum wird es auch nicht zum Hotelumbau kommen. Aber der ursprüngliche Zweck der Reise verflüchtigt sich sowieso, ständig wird aufgeschoben und abgeschweift. Der Erzähler lässt sich treiben. Er beobachtet nur und bekommt doch das Entscheidende nicht mit, so dass die finale Katastrophe ihn kalt erwischt.

Dann also doch eine Abstrafung des Helden, per dramaturgischer Ironie, poetischer Grausamkeit? Oder lacht nicht auch Manon schon früher über ihn, über sein Dozieren? Und ist nicht die einzige Selbstbeschreibung die, wie er im Turban eine lächerliche Figur abgibt?

Zwitterhaft schief liegt dieser Roman zwischen den Traditionen. Und schillert aufreizend in seinem großen Irritationspotenzial.


Titelbild

Martin Mosebach: Das Beben. Roman.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
412 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3446206612

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