Verbrannte Montgolfiere

Wie der russische Schriftsteller Valentin Katajew dazu kommt, Stalin mit einer Wespe zu vergleichen, dabei ins Trudeln gerät und zu des Lesers Vergnügen von seiner Erzählkunst verschlungen wird

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es muss hellhörig machen, wenn die in den 80ern stehende Dame Swetlana Geier mit einer neuen Übertragung aus dem Russischen aufwartet, bürgt doch ihr langes Übersetzerleben für höchste Qualität. Der Text "Kubik", einer der letzten, den der 1986 verstorbene Autor Valentin Katajew verfasst hatte, stellt in der Tat eine gewaltige Überraschung dar. Es liegt kein Roman vor, aber auch keine klassische Erzählung oder Novelle, vielmehr tut sich vor den Augen des verblüfften Lesers eine ganze Seelenwanderung auf: faszinierend in ihrer dichten Bilderabfolge und packend in der genauen Beobachtung psychologischer Verzwicktheiten. Zu Recht bezeichnet der in Odessa geborene Autor seinen Text als "Fagottsolo mit Orchesterbegleitung". Valentin Katajew bemüht seinen "Lehrer" Ivan Bunin: "Das Wichtigste ist für mich, den Ton zu finden und sobald ich ihn gefunden habe - geschieht alles andere von selbst".

Das Buch beginnt mit Kindheitsimpressionen der Schwarzmeerküste. Ein Junge mit Steinschleuder und ein Nachbarmädchen im karierten Kleidchen, das nach Zwiebeln riecht, erleben ihre unbeschwerte Kindheit in einer verzauberten Atmosphäre. Der frühe Tod des Mädchens wird in einem Nebensatz erwähnt, die Idylle ist ständig von Gefahren umlauert. Reflexionen setzen ein. Manchmal spricht der Autor, dann ein Ich-Erzähler, später ein kleiner Junge, der jetzt erwachsen ist. Auch die Schauplätze variieren.

Nach der Schwarzmeerküste finden Erlebnisse auf der Wartburg statt, wo des legendären Tintenfasses des deutschen Reformators Martin Luther gedacht wird, welches jener bei der Übersetzung der Bibel nach dem Teufel geschleudert haben soll. Dann finden eindrucksvolle Erlebnisse in Paris und in Monaco statt. Ganz offen ist inzwischen von einer Seelenwanderung die Rede, welche es ermöglicht, dass aus den verschiedensten Perspektiven und Zeiten berichtet wird. Sogar Kubik, ein Hund, hat sich inzwischen eingefunden, um die Blickwinkel der Erzählung zu bereichern.

All dieses kreisende und dahinfliesendene Plaudern besticht durch die Vielzahl der Assoziationen und die Dichte der verwendeten Bilder: "Ein Bluterguß, der einem Stiefmütterchen ähnlich sah". In Windeln eingeschlagene Säuglinge erinnern den Erzähler an Quarktaschen, am Schwarzen Meer beobachtete er "Delphine, die mit ihren Lederrücken das Wasser aufschlitzten" und einige wohlhabende Kinder wurden nach dem Gottesdienst mit dem Taxi nachhause gefahren: "weil die Kerzen zu groß waren, ragten sie aus den geöffneten Fenstern wie die Läufe der Schiffsartillerie". Die Seiten sind förmlich gespickt von Beispielen, die diese Genauigkeit in der Beobachtung unter Beweis stellen.

Hier schreibt ein russischer Schriftsteller, der die verheerenden Jahre des Stalinismus überlebt hat. Lew Kopelew hatte einst Valentin Katajew einen "begabten Schriftsteller" aber auch einen "langjährigen vielerfahrenen Opportunisten, der sich jeder Obrigkeit angepaßt hat" genannt, nicht ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass im Jahr 1967 auch Katajew zu jenen sowjetischen Schriftstellern gehört hatte, die sich tapfer vor ihren Kollegen Alexander Solschenizyn gestellt hatten. Und die vorliegende Schrift "Kubik" war in den Jahren 1967 und 1968 entstanden. In jener Schriftstellersiedlung Peredelkino außerhalb Moskaus, wo auch Boris Pasternak, Kornej Tschukowski oder Anatoli Rybakow ihre Datschen hatten.

Ganz offensichtlich hatte sich Valentin Katajew innerlich befreit. Eine derartig dichte Prosa, voller Bilder, Überlegungen und Stimmungen kennzeichnen einen freien Geist. Die Phase höchster Kunst ist erreicht, wenn eine scheinbar lässige Skizze das Höchstmaß an Charakteristik bietet. Soeben hatte der Erzähler sich über die verschiedensten Mineralwasser ausgelassen, um sich zu einer neuen Episode zu unterbrechen: "Hier folgt die Beschreibung meines Zweikampfes mit der Wespe - eine Erinnerung, die möglicherweise durch den haarfeinen musealen Klang von zitterndem Blattgold geweckt wurde". In solchen Moment gelingt Katajew das Kunststück, im Erzählen sinnliche Wahrnehmungen zu bündeln. Farben und feinste Töne rühren bereits an eine verborgene Aura, deren Geheimnisse in einer sensiblen Weltsicht das gewöhnliche Leben kennzeichnen und zugleich übersteigen. Ein Erzählen ist erreicht, das von einem anderen Zustand nicht mehr zu reden braucht.


Titelbild

Valentin Katajew: Kubik.
Übersetzt aus dem Russischen von Swetlana Geier.
Dörlemann Verlag, Hamburg 2005.
196 Seiten, 17,80 EUR.
ISBN-10: 3908777135

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