Unzugängliche Stummheit

Vladimír Körner hat sich ein Herz gefasst und Leichen im Keller einer gemeinsamen Vergangenheit gefunden

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

In seinem Nachwort fragt sich der renommierte tschechische Germanist Václav Maidl, wie es geschehen konnte, dass die Novelle "Adelheid" 1967 in der Tschechoslowakei erscheinen konnte, in der Bundesrepublik Deutschland aber übersehen wurde und erst fast vierzig Jahre später in deutscher Sprache veröffentlicht werden konnte. Denn allein schon das beschriebene Umfeld und die Figurenkonstellation stellen für die tschechische Literatur etwas Außergewöhnliches dar.

Nicht mehr und nicht weniger als die deutsch-tschechische Problematik in den Monaten nach dem beendeten Zweiten Weltkrieg wird in dieser Novelle in eindringlicher Weise inszeniert. Eine emotionale und ideologisch aufgeheizte Stimmung sowie nicht zuletzt eine leidlich überlebte deutsche Okkupation hatten dafür gesorgt, dass es in der Nachkriegstschechoslowakei kaum zu einer künstlerisch überzeugenden Verarbeitung dieser widerspruchsvollen und doppelbödigen Thematik gekommen war. Jaroslav Durychs "Gottes Regenbogen" bildete einen Meilenstein, konnte aber im eigenen Land erst 14 Jahre nach der Niederschrift im Jahr 1955 erscheinen.

Die vorliegende Novelle ist ein Sonderfall, zumal sie in Prag 1969 unter der Regie von František Vlacíl sogar verfilmt worden war.

Ein nüchterner Stil, der fast protokollartig das Geschehen notiert, um einer Kamera Anweisungen auszustellen, welche Handlungsequenzen abzubilden wären. Ein junger Tscheche, der im Krieg auf Seiten der Engländer gegen die Deutschen gekämpft hat, kehrt in den späten Sommermonaten in seine mährisch-schlesische Heimat zurück. Müde und innerlich leer sucht Viktor nach Ruhe, um wieder zu sich finden zu können. Eine sonderbare Stimmung empfing ihn in diesem Spätsommer 1945: "Die tschechoslowakische Fahne flatterte hinter ihnen und klebte dann an der Fensterscheibe fest. Frische Blumen in den Fenstern der Schule umkränzten die Bilder von Beneš und Stalin. Es waren Portraits aus der Zeitung, von der Sonne gebleicht".

Viktor wird die Villa einer ehemaligen Nazi-Ortsgröße zugeteilt, in die er sich zurückziehen kann. Ein tschechischer Oberwachtmeister, der die Geschicke dieser Gegend verwaltet, sorgt dafür, dass ihm als Haushaltshilfe ein Mädchen zugeteilt wird. Es stellt sich bald heraus, dass es sich bei ihr um die Tochter des ehemals berüchtigten Nazis handelt. Viktor Chotovický stellt Spuren von Misshandlungen an der jungen Frau fest. Soll er Mitleid haben - oder Verständnis für Rache und Hass? Schritt für Schritt verdichtet sich die Handlung. Eine unterschwellige Spannung stellt sich ein, die geladen ist von den politischen, geschichtlichen und ideologischen Geschehnissen, zugleich aber auch von einer unterschwelligen Erotik immer mehr überlagert wird. Die Dinge bleiben jedoch in Widersprüchlichkeit bestehen, eine einfache Auflösung in ein glückliches Ende findet nicht statt, auch wenn es immer wieder scheint, als gelänge endlich die Wende zu einer glücklichen Fügung.

Es bleibt das Diktat der Distanz, die letztlich alle Beteiligten in irgendeiner Weise beherrscht. Der Heimkehrer aus dem britischen Exil ist von Beginn an ein Fremder im eigenen Land, die verbliebenen Deutschen in den Dörfern sind verhuscht und dennoch soll von einigen von ihnen immer noch Gefahr ausgehen. So jedenfalls empfinden der tschechische Oberwachtmeister und vor allem sein ungestümer junger selbsternannter Revolutionsgardist. Dass Viktor und Adelheid aufgrund ihrer verschiedenen Sprachen kaum und nur äußerst bruchstückhaft kommunzieren, verdichtet das Bild einer unzugänglichen Stummheit. Das Ganze endet tragisch, als hätte es gar keinen anderen Ausweg geben können.

Ob alles anders verlaufen wäre, wenn Adelheids vermisst geglaubter Bruder nicht aufgetaucht wäre?

Fest steht, dass dem kleinen, aber engagierten Arco Verlag mit "Adelheid" ein weiterer guter Fang für seine Reihe "Bibliothek der Böhmischen Länder" gelungen ist. Ein Frontispiz des Autors sowie der kundige Anmerkungsapparat belegen die sorgfältige Aufmachung dieser beeindruckenden Novelle.


Titelbild

Vladimír Körner: Adelheid.
Übersetzt aus dem Tschechischen von Silke Klein.
Arco Verlag, wuppertal 2005.
200 Seiten, 16,00 EUR.
ISBN-10: 3980841081

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