Prägnante Worte in Versform

Samuel Becketts späte Dichtung in neuer Übersetzung

Von Evelyne von BeymeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Evelyne von Beyme

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er gilt als Begründer des absurden Theaters. Überall, wo sein Name fällt, bringt man ihn mit dem Theaterstück "Warten auf Godot" (1952) in Verbindung. Doch Beckett war nicht nur Dramatiker. Neben seinen Theaterstücken veröffentlichte der gebürtige Ire auch etliche Romane, Erzählungen, Essays und nicht zuletzt auch einige Gedichte. Letztere sind bisher im deutschsprachigen Raum eher weniger bekannt gewesen.

Nun ist in diesem Herbst unter dem Titel "Trötentöne / Mirlitonnades" bei Suhrkamp eine Ausgabe seiner späten Gedichte mit deutscher Übersetzung von Barbara Köhler erschienen. Dabei handelt es sich um eine Neuübertragung. Bereits Anfang der 80er Jahre wagten sich Karl Krolow und Elmar Tophoven an eine Übersetzung Becketts später Gedichte unter dem Titel "Flötentöne". Köhlers Übersetzung bezieht jedoch erstmalig auch das letzte Stück der 1978 vom französischen Verlag Les Editions de Minuit publizierten "Mirlitonnades" in ihre Ausgabe mit ein, worauf bereits der gleichnamige Titel verweist. "Mirlitonnades" ist dem französischen Ausdruck "vers de mirliton" ("Trötenvers") entlehnt. Die Franzosen verstehen darunter schlichte Reime, die sich weder auf einen konkreten Themenkreis beschränken, noch von poetischen Ambitionen getragen werden. Bei Becketts "vers de mirliton" jedoch gerät die Einfachheit zur Illusion.

Unter formalem Aspekt betrachtet fällt auf, dass keines der Gedichte mit einem Titel versehen ist. Die reimlosen Verse stehen unter der Dominanz der Kleinschreibung und eines Enjambements, welchem aufgrund der fehlenden Interpunktion keine Grenze gesetzt wird. Im Vergleich mit Samuel Becketts frühen Gedichten kennzeichnet seine späte Lyrik eine stechende Prägnanz.

Das Französische zeichnet sich durch seine Polisemantizität aus, mit welcher der Dichter für seine lakonischen Verse hier flagrant auf der Inhaltsebene experimentiert. Seine Gedichte fügen sich somit nicht nur formal, sondern auch inhaltlich in sein Gesamtwerk, das das Spiel mit den Grenzen in verschiedenster Weise immer wieder neu thematisiert.

Das Timbre seiner Versdichtung ist melancholisch-sarkastisch. Aus ihnen tönt die Suche eines stummen Ich nach dem Sinn des Daseins heraus, die unbeantwortet von dem weiten Himmel der schwarzen Nacht absorbiert wird. Das künstliche Licht schaltet das lyrische Ich wieder aus, um - mit dem Gesicht ans Fenster gepresst - der Nacht das existenzielle Geheimnis abzuringen: "éteindre voir / la nuit voir / collé à la vitre / le visage" (nach Köhlers nicht ganz treffender Übersetzung: "licht aus / nacht sehn / gedrückt an glas sehn / das gesicht"). Dem lyrischen Ich bleibt die Erkenntnis verwehrt, wie es durch das Fenster als eine zivilisatorisch geschaffene Trennung von den Weiten der Nacht zum Ausdruck gebracht wird. Zugleich spiegelt es die Einsamkeit und Isolation des lyrischen Ich wider. Auch in anderen seiner Gedichte spielt das Motiv des Himmels in seinen verschiedenen Variationen u. a. als Morgendämmerung oder Nacht eine entscheidende Rolle. Mehrfach trifft man auch in seiner Dichtung auf den Konflikt eines Ich, das der Diskrepanz von innerer und äußerer Welt unterliegt.

Bezeichnend für Becketts "Mirlitonnades" ist auch das Spiel mit den Wörtern, das aus den eingebauten Alliterationen und Wortwiederholungen entspringt, wie etwa bei folgendem seiner reimlosen Gedichte: "imagine si ceci / un jour ceci / un beau jour / imagine / si un jour / un beau jour ceci / cessait / imagine" (in Köhlers Übersetzung: "stell dir das / eines tags / eines schönen tages / vor stell dir das / hört eines schönen / tages auf / stell dir vor").

Wie schon in seinem Roman "Der Namenlose" trifft man in der Lyrik auf ein ungefestigtes Ich, das durch seine distanzierte Position, die es gegenüber seiner Umwelt einnimmt, der Differenzierungsfähigkeit zwischen Imaginiertem und Realität entbehrt, aber das in seiner Außenseiterrolle zugleich zum kritischen Betrachter der Gesellschaft heranwächst.

Das lyrische Genre wird bei Beckett zu einer Variante des verdichteten Schreibens neben seinen in den 70er und 80er Jahren geschriebenen Monodramen, die alle nicht länger als einige Minuten Aufführungszeit in Anspruch nehmen. Gerade die letzte Phase seiner Schaffensperiode steht unter dem Signum der Verdichtung des künstlerischen Materials mittels Kürzungen: "J'ai toujours quelque chose en train. Ça peut être long, mais ça se réduit de plus en plus." ("Ich habe immer etwas in Arbeit. Das kann umfangreich sein, aber das reduziert sich zusehends"). Indem der Ire zum Teil seine frühen Entwürfe in die Dichtungen seines Spätwerks montierte, gewinnt auch sein Gesamtwerk einen Charakter der Geschlossenheit.

Köhler ist nicht die erste unter den deutschsprachigen Autoren, die sich an einer Lyrik-Übersetzung versucht. Vor ihr taten dies zahlreiche andere, wie etwa Paul Celan, Ingeborg Bachmann oder auch Walter Benjamin.

Dabei garantiert die Beherrschung der Sprache oder aber des Schreibens selbst nicht immer auch das Gelingen einer Übersetzung. Die Problematik, vor die der Übersetzer gestellt wird, ist die Entscheidung, wem der Vorzug gilt: der Form und der durch die Sprache transponierten Stimmung oder aber - dem epischen Prinzip Folge leistend - einer an den gemeinten Worten des fremdsprachigen Verfassers orientierten Übertragung.

Die Beckett-Übersetzerin entschied sich für das Erstere: eine lyrische Übersetzung. Dies erwies sich als fatal, da Becketts Gedichte dadurch ihres Sinns nahezu völlig beraubt wurden.

Die Translation eines französischen Texts beansprucht ein stark kontextorientiertes Verfahren für eine adäquate Sinnwiedergabe. Hinzu kommt, dass es sich hier um Dichtung handelt. Schon eine Übersetzung von Baudelaires Sonnetten der "Fleurs du Mal" erwies sich selbst für einen Walter Benjamin als ein nicht gerade einfaches Unternehmen. Doch Baudelaires lyrische Verse stehen im Zeichen der Moderne. Sie sind dem Rezipienten noch zugänglich, bemühen sich noch um den Leser - ja, waren ihm sogar gewidmet. Baudelaire wollte gelesen werden.

Nicht so Beckett. Zwar ist seine Sprache schlicht, doch die Chiffre liegt in einer Wortkargheit begründet, hinter der sich eine schwer zugängliche zweite Sinn-Ebene verbirgt, die von keinem Bezug zu einer Handlung, keinem Verweis auf das Situative beherbergt wird. Eine solche Dichtung verlangt eine textnahe Übersetzung.

Dennoch ist die zweisprachige Suhrkamp-Ausgabe lesenswert aufgrund der erstmaligen Miteinbeziehung des letzten Stücks der "Mirlitonnades", das bisher den deutschsprachigen Lesern unzugänglich war. Insbesondere verdient sie Aufmerksamkeit für ihre visuelle Originalität: den Abdruck einiger handschriftlicher Entwurfskizzen zu den Gedichten.


Titelbild

Samuel Beckett: Trötentöne. Mirlitonnades. Gedichte. Französisch und deutsch.
Übersetzt aus dem Französischen von Barbara Köhler.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
92 Seiten, 11,80 EUR.
ISBN-10: 3518223925

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