Im Osten nichts Neues

Jens Bisky zur deutschen Einheit

Von Frank HertelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Frank Hertel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt sie noch, die Idealisten, die hervorragende Bücher schreiben, sich damit große Mühe machen und lange am Text feilen, bis er perfekt ist. Es gibt tatsächlich noch Leute, die ernsthaft und unter dem schweren Gefühl der Verantwortung nachdenken, abwägen und dann das errungene Ergebnis der Öffentlichkeit vorlegen. Es gibt Menschen, die kämpfen, mit sich ringen, in sich hineinhören und unter starken Schmerzen eine neue Wahrheit gebären. Jens Bisky gehört allerdings nicht dazu.

Er schreibt von der deutschen Einheit, genauer: über Ostdeutschland. 1966 erblickte er in Leipzig das Licht der DDR und scheint daher besonders geeignet zu sein, um dieses Thema zu bearbeiten. Ostdeutsche schreiben über Ostdeutschland - Frauen über Frauenprobleme. Es ist schon ein Jammer. Komisch, Frau Merkel ist da ganz anders. Vielleicht tut sich doch noch etwas.

Aber worum geht es in Biskys Buch? Eigentlich kann man sich das fast schon selbst beantworten. Der Mann ist SZ-Redakteur und daher gedanklich fest im Mainstream verankert: Die Einheit ist insgesamt ganz gut gelaufen. Nur hapert es noch hier und dort. Es muss ein Ruck durchs Land gehen. Deutschland muss neu gegründet werden - natürlich mit den selben Parteien. Man sollte mehr Geld in die Bildung investieren und weniger in die Arbeitsagentur. Freiheit statt Sicherheit als neue Losung. Hartz IV ist hart, aber absolut notwendig. Wir müssen uns auf eine "Gesellschaft des Weniger" einstellen, wie es schon Ulrich Beck vorformulierte. Und überhaupt dürfen wir von der Zukunft wirtschaftlich nicht allzu viel erwarten. Es wird keinen Aufschwung mehr geben. Kurz: Die fetten Jahre sind vorbei. Länger: Jens Bisky hat bewiesen, dass er mit Leib und Seele im Westen angekommen ist, die westlichen Standardparolen wunderbar nachbeten kann und seinen Arbeitsplatz damit bis auf Weiteres gesichert.

Seiner Grundthese, dass der Osten eine andere Gesellschaft sei, dass in Deutschland zwei verschiedene Gesellschaften existierten, ist nicht zuzustimmen. Wenn man schon die Historie als gesellschaftsprägendes Element bemüht, dann hat Deutschland nicht zwei, sondern viele Gesellschaften unter einem Dach versammelt. Bayern hat eine eigene Geschichte, das Ruhrgebiet eine andere. Was ist mit dem Saarland, mit den Hansestädten oder gar den Schwaben? Natürlich ist nach 15 Jahren noch eine eigene Mentalität vorhanden, aber mit Sicherheit spielt da die veröffentlichte Meinung eine Führungsrolle. Der "Ossi" und der "Wessi": Diese beiden lächerlichen und irreführenden Bezeichnungen gehören in die unterste Schublade jeder seriösen Redaktion. Es gibt Thüringer und Sachsen und Brandenburger, aber bitte keine "Ossis". Wenn man hier ein bisschen postmoderne Gaudi-Infantilität ablegen könnte, wäre schon viel gewonnen.

Natürlich ist das Buch gut geschrieben. Es liest sich leicht, hier und da gibt es ein paar interessante Happen. Die ostdeutsche Führungselite musste man auswechseln, weil sie ursprünglich aus der Unterschicht kam. Das ist schon was. Das bleibt hängen. Insgesamt hinterlässt der Text aber den faden Geschmack einer kulturindustriellen Konserve. Wo ist das Außergewöhnliche, das Neue, das Mutige, das Helle? Man findet nichts davon. Statt dessen Zahlen über Zahlen, Statistiken, Wirtschaft, Industrievolumina, Fakten, Fakten, Fakten ... Irgendwann schaltet man ab.

Auf der Frankfurter Buchmesse wurden dieses Jahr 100.000 Neuerscheinungen vorgestellt. Da muss man schon ein bisschen aussortieren.


Titelbild

Jens Bisky: Die deutsche Frage. Warum die Einheit unser Land gefährdet.
Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2005.
220 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3871345261

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