Gott oder Urknall

Hans Küng über die unterschiedlichen Perspektiven von Religion und Naturwissenschaft

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Es werde Licht", so beschreibt die Hebräische Bibel den Anfang von Himmel und Erde. Michelangelo hat diesen Vorgang in der Sixtinischen Kapelle zur Anschauung und Joseph Haydn in seinem Oratorium "Die Schöpfung" zum Klingen gebracht.

Hingen die beiden Künstler noch einem naiv-unaufgeklärten Bibelglauben an, einem Glauben an einen anthropomorphen Gott, der die Welt in nur sechs Tagen geschaffen hat? Hat die Bibel uns die Urfrage der Kosmologie - woher kommt das alles? - beantwortet, fragt der Theologe Hans Küng und lässt keinen Zweifel daran, dass er die Bibel ernst, aber nicht buchstäblich nimmt.

Es werde Licht, lautete auch die Parole von Aufklärern, die sich in der Kirche schon früh für freie Forschung und vernunft- und zeitgemäße Verkündigung eingesetzt haben. Natürlich hat uns selbst die aufgeklärte Vernunft oft in die Irre geführt, aber ein Zurück hinter Kopernikus, Galilei, Newton und Darwin gibt es heute nicht mehr. Das weiß auch Küng und möchte auf naturwissenschaftliche Grundfragen eine kohärente und überzeugende Antwort geben. Er betont die unterschiedlichen Perspektiven von Naturwissenschaft und Theologie und bemüht sich, beide miteinander zu versöhnen. Immerhin treffen sie bei bestimmten Fragen aufeinander, zum Beispiel bei der Frage: Was ist der Anfang von Welt und Mensch? Nur zusammen können Naturwissenschaft und Religion, glaubt Küng, die Frage klären, was die Welt im Innersten zusammenhält.

Zunächst stellt Küng die neuzeitlichen Ergebnisse von Physik und Biologie vor, die ein neues Licht auf den Anfang von Welt, Leben und Menschen werfen, "wie es in völlig anderer Weise nach wie vor das zeitgemäß verstandene Zeugnis der Bibel ausstrahlt."

Er diskutiert das von Kopernikus, Kepler und Galilei entwickelte Weltmodell und geht dabei auch auf die Reaktion der katholischen Kirche ein, die sich mit dem Kollaps des mittelalterlichen Weltgebäudes nicht abfinden wollte. Den Paradigmenwechsel der neuzeitlichen Physik durch Albert Einstein, durch Heisenbergs Quantentheorie, Stephen Hawkings "Theorie für alle" samt Heisenbergs Hoffnung auf eine große Weltformel bringt Küng ebenso zur Sprache wie den Grundlagenstreit in der Mathematik.

In der Philosophie wiederum vollbrachte Descartes eine kopernikanische Wende, Kant reflektierte über die Grenzen der Vernunft und wies die Haltlosigkeit aller Gottesbeweise nach. Bedauerlich sei allerdings, schreibt der Autor, dass im 19. und 20. Jahrhundert zwischen Gottesglaube und Wissenschaft viele falsche Schlachten geschlagen wurden, und so ganz Unrecht hätten Feuerbach, Marx und Freud mit ihrer Religionskritik nicht gehabt. Zweifellos enthält Religion auch ein Moment der Projektion, wie Feuerbach behauptet, ebenso wirke Religion zuweilen wie Opium, darin sei Marx durchaus zuzustimmen, und sie könne auch Illusion sein, wie Freud gemeint hat. Aber zwingend notwendig sei weder das eine noch das andere und vor allem lasse sich Religion auf keinen dieser drei Faktoren reduzieren. Sogar der Atheismus sei verständlich, aber keineswegs dringend erforderlich.

Hans Küng plädiert für ein Komplementaritätsmodell kritisch-konstruktiver Interaktion von Naturwissenschaft und Religion, "in dem die Eigensphären bewahrt, alle illegitimen Übergänge vermieden und alle Verabsolutierungen abgelehnt werden, in dem man jedoch in gegenseitiger Befragung und Bereicherung der Wirklichkeit als ganzer in allen ihren Dimensionen gerecht zu werden versucht."

Immerhin sei die Wirklichkeit vieldimensional und vielschichtig. Jeder beschreibe und beurteile sie aus einer anderen Perspektive. Der Chemiker beispielsweise nimmt einen Bronzeguss aus der Antike anders wahr als der Historiker, und dieser wiederum unterscheidet sich in seiner Wahrnehmung vom Kunstliebhaber. Doch gibt es bei alledem, hebt Küng hervor, nur die eine Wirklichkeit, die vom Menschen auf Kosten des vollen Menschseins in dieser Welt aufgespalten wird. Auch gegenüber dem Dualismus von Glauben und Vernunft, Philosophie und Theologie müsse die Einheit und Wahrheit der Wirklichkeit immer wieder beachtet werden.

Hans Küng schneidet in seinem neuen, sehr lesenswerten und verständlich geschriebenen Buch viele Themen und Probleme an - wie etwa die Frage nach der Willensfreiheit und nach den Grenzen der Hirnforschung - und stellt sich brisanten Fragen: Was ist überhaupt Wirklichkeit? Wozu ist etwas da? Warum ist ein Ding so, wie es ist? Ist unser Universum eines unter vielen? Gibt es einen physikalischen Gottesbeweis? Warum gibt es nicht nichts? Seit wann gibt es Leben? Was ist Leben? Sind wir allein im Universum? Wie entstand Leben? War und ist alles Zufall oder Notwendigkeit? Wie ist Gottes Wirken zu denken?

Fraglos versagt das naturwissenschaftliche Instrumentarium bei der Frage nach dem letzten Woher unserer rätselhaften Wirklichkeit, meint Küng und überlegt weiter: Müssen Naturwissenschaftler jetzt kapitulieren und auf Fragen nach den letzten Ursachen verzichten oder sollen sie sich auf die Frage nach Gott einlassen? Zumindest könnten sie, schlägt Küng vor, Gott als Hypothese zulassen.

Wenn Gott existiert, dann wäre die Frage nach dem Anfang aller Dinge beantwortet und viele andere Fragen auch? Indes - wie wird mir gewiss, dass Gott nicht nur eine Hypothese ist? Der Theologe Hans Küng ist fest davon überzeugt, dass ein Ja zu Gott ein radikal begründetes Grundvertrauen zur Wirklichkeit ermöglicht. Vielleicht lasse sich dann auch verstehen, warum wir endliche Mängelwesen sind und doch Wesen von unendlicher Erwartung, Hoffnung und Sehnsucht. Denn so viel sei klar, die Bibel beschreibe keine naturwissenschaftlichen Fakten, sondern deute sie, auch für unser gegenwärtiges menschliche Leben und Handeln. Für Küng jedenfalls steht fest: Im Anfang der Welt war Gott, nicht der Urknall, sondern "das Wort, das Wollen, und es ward Licht." Man sollte sich freilich hüten, naturwissenschaftliche Erkenntnisse und religiöse Bekenntnisse miteinander zu vermischen.

Überdies schließt die Frage nach dem Anfang aller Dinge die Frage nach der Herkunft ethischer Werte ein. Obgleich das ethische Verhalten des Menschen in seiner Natur verankert ist, so erlernen wir Verantwortung nicht durch naturwissenschaftliche Fakten und nicht durch die Biologie. Zu bedenken sei ferner, dass Vergebung, Liebe und Freiheit nicht nur für Christen unaufgebbar sind. Danach leben und handeln noch viele andere. Das Kriterium des Christentums indes sei und bleibe der gekreuzigte Jesus. Deshalb wird Jesus im Neuen Testament "das Licht der Menschen" genannt. Andere Religionen haben andere Lichter. Der Christ müsse dies anerkennen, mahnt Küng und fügt hinzu: Keiner Religion steht es zu, "der anderen ihren Weg zum Heil streitig zu machen."


Titelbild

Hans Küng: Der Anfang aller Dinge. Naturwissenschaft und Religion.
Piper Verlag, München 2005.
245 Seiten, 18,90 EUR.
ISBN-10: 3492047874

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