Die schreibende Schwester der Berliner Romantik

Ewa Eschler legt eine enttäuschende Dissertation über die Schriftstellerin Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring vor

Von Mechthilde VahsenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Mechthilde Vahsen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Literatur über die Romantikerinnen ist seit den 1970er-Jahren und der damals verstärkt einsetzenden Forschung zur deutschen Romantik stetig angewachsen. Nach Briefsammlungen und ersten Biografien folgte die literaturwissenschaftliche Frauenforschung und -geschichte mit dezidierten Untersuchungen zu Leben und Werk, übergeordneten Themen und vergleichenden Arbeiten. Zu diesem Kreis historisch interessanter und bedeutender Frauen gehört auch Sophie Tieck, bisher als Schwester des Autors Ludwig Tieck rezipiert und das mit negativen Zuschreibungen. Dabei haben beide an der so genannten Berliner Romantik mitgewirkt. Sophie Tieck schrieb Theaterrezensionen, Erzählungen, Gedichte und Romane, sie stand mit vielen Zeitgenossen in Kontakt und Austausch und liebte ein geselliges Haus.

Um die Erforschung dieses Lebens haben sich Carola Gerlach und vor allem Hannelore Scholz mit Aufsätzen und einer Ausstellung über die bisher noch wenig behandelte Schriftstellerin bemüht. Hier lässt sich auch die an der TU Berlin 2004 vorgelegte Dissertation von Ewa Eschler einordnen.

Im Gegensatz zu den bereits erwähnten Arbeiten wartet die Arbeit, gemessen an wissenschaftlichen Kriterien für eine Dissertation, nur bedingt mit neuen Erkenntnissen auf. Nur am Rande erwähnt seien die zahlreichen Flüchtigkeitsfehler, die Verwechslung von Geburts- und Todesdaten, die falsche Schreibweise von Eigennamen, unvollständige Sätze und das ständige Lamentieren darüber, dass Sophie Tieck es ja so schwer hatte als Frau. Laut Eschler sind ihre Werke 1845 das letzte Mal aufgelegt worden, dabei hätte eine genauere Recherche ergeben, dass der Olms Verlag beide Romane in den vergangenen Jahren wieder aufgelegt hat, der trafo verlag in Berlin die "Wunderbilder und Träume" 2003 neu herausgab und Werke von Sophie Tieck digitalisiert auf der CD "Deutsche Literatur von Frauen" vorliegen.

Neben diese formalen Unpässlichkeiten treten inhaltliche. Oft widersprechen sich Aussagen, mal hat die in Berlin geborene Autorin Freundinnen, dann doch wieder nicht, dann wieder sind diese Frauen alle neidisch und eifersüchtig. Solche Behauptungen werden nicht belegt und sind daher als Aussage nur schwer nachvollziehbar. Konnten die gelehrten Frauen der Aufklärung wirklich nur im familiären Bereich dichten? Frau Gottsched, Frau Zäunemann, die Pietistinnen, Frau Neuber, Frau Ziegler und all die anderen, deren Werke mittlerweile erforscht und wiederentdeckt wurden, dichteten nicht im stillen Kämmerlein, sondern standen in der Öffentlichkeit und publizierten. Waren Ehrgeiz und Wunsch nach Ruhm wirklich untypisch für eine Romantikerin? Bei Sophie Mereau, die in der Arbeit nicht erwähnt wird, treffen wir zumindest den Ehrgeiz und den Wunsch nach Anerkennung an. Und ob Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring tatsächlich den Anfang der europäischen Entwicklung der Frauenliteratur mitbestimmte, bleibt weiter offen, denn die dargelegte Biografie kann diese Frage nicht überzeugend beantworten. Es fehlt die literaturgeschichtliche Einordnung ebenso wie die in der Einführung gesetzte Vorgabe, die Autorin im Kontext von Geschlecht und Literatur um 1800 zu fixieren und in die Tradition weiblicher Autorschaft zu stellen.

Auch die am Schluss der Biografie getroffene Gesamtaussage über die zeitgenössische Anerkennung von Sophie Tieck als Autorin kann nicht stehen bleiben, denn immer wieder heißt es, dass ihr eben diese Anerkennung ständig verwehrt wurde, teils sogar auf der gleichen Seite, nur wenige Abschnitte weiter oben.

Natürlich ist die Biografie dieser Romantikerin "ein spannendes Forschungsfeld", doch versäumt es die Verfasserin, das literarische Schaffen Tiecks genauer zu untersuchen, sie integriert in die sehr ausführliche Beschreibung der Biografie lediglich die Chronologie der Werke. Ebenso erfolgt der literaturwissenschaftliche Vergleich mit den Werken anderer Autorinnen der Zeit nicht. Daher irritieren pauschale Aussagen wie "Mit der Arbeit möchte ich beweisen, dass Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring eine den anderen Romantikerinnen gleichrangige und ebenso interessante Schriftstellerin war und dass sie als Frau und Autorin zu Unrecht verkannt wurde." Tieck war tatsächlich eine interessante Schriftstellerin, das erfahren wir aber nicht aus der vorliegenden Dissertation, sondern aus der Untersuchung von Monika Haberstok, auf die Eschler nur ganz kurz eingeht und die sie dann nicht mehr berücksichtigt. Entsprechend fehlen grundlegende Forschungsergebnisse aus den literaturwissenschaftlichen Gender Studies zu den Autorinnen um 1800, ihren Schreib- und Lebensbedingungen, auch wenn Eschler mehrmals auf deren schwierige Situation verweist. Zudem fehlen dezidierte Erläuterungen der sozialhistorischen und politischen Bedingungen der Zeit.

Was jedoch gelingt, ist der formulierte Ansatz, Tieck als "autonome Person zu präsentieren". Vor allem die Kritik an der bisherigen Forschung zu Ludwig Tieck und der Berliner Romantik wird deutlich artikuliert und revidiert das vorherrschende, ablehnende Urteil über die Tieck-Schwester. In diesem Kontext richtet sich der Fokus der Untersuchung auf das Verhältnis der Tieck-Geschwister untereinander, das in Teilen an das Verhältnis anderer gemischtgeschlechtlicher Geschwisterpaare (Goethe und Cornelia Goethe) erinnert. Beziehungen zu anderen Autorinnen oder den Frauen der Romantiker werden spärlich angedeutet, auch hier wird Sophie Tieck eine Außenseiterinnenposition zugewiesen, ohne Fakten oder Argumente vorzulegen. Karoline von Rochow wird nicht als spätere Frau von Fouqué identifiziert und als Verfasserin von Trivialromanen abgetan, Dorothea Schlegel, mit der Sophie Tieck nachweislich etwas intensiveren Kontakt hatte, wird nur am Rand erwähnt.

Die passende Beschreibung zu ihrer Dissertation liefert die Verfasserin selbst: "Diese Arbeit stellt die Biographie eines romantischen Frauenlebens anhand einiger komplizierter Beziehungen zu Männern dar." Die Autorin hat ihre Chance verpasst, ist der Eindruck, gerade auf der Grundlage der Arbeit von Monika Haberstok hätten vertiefende Analysen zum Erkenntnisgewinn beitragen können. Das tut die vorliegende Arbeit nicht. Der Erkenntnisgewinn bezieht sich hier lediglich auf die letzten Lebensjahre von Sophie Tieck, die sie in Estland verbrachte, und die Eschler in dortigen Archiven recherchiert hat. Außerdem korrigiert sie einige falsche Angaben, was die Werke von Sophie Tieck betrifft. Das ist lobenswert, auch die beigefügten Fotos tragen zur Plastizität dieser Frauenbiografie bei. Sophie Tieck mit der Dissertation einen Platz in der Literaturgeschichte einzuräumen, wie es die Verfasserin beabsichtigt hat, kann jedoch auf diese Weise nicht geleistet werden.

Was bleibt nach der Lektüre? Die Texte von Sophie Tieck wieder lesen, die als Bücher und digital zur Verfügung stehen. Sie sind empfehlens- und lesenswert, was nicht auf jeden Autor/jede Autorin der damaligen Zeit zutrifft.


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Ewa Eschler: Sophie Tieck-Bernhardi-Knorring (1775-1833). Das Wanderleben und das vergessene Werk.
trafo verlag, Berlin 2005.
343 Seiten, 25,00 EUR.
ISBN-10: 3896261509

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