Gaukler, Dirnen, Rattenfänger

Frank Meiers Analyse des Außenseitertums im Mittelalter

Von Stefanie HartmannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefanie Hartmann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Außenseiter gab es im Mittelalter zahlreiche, und zumeist weiß man über sie weniger als über Adlige, Geistliche und Ritter dieser Zeit. Das liegt vor allem daran, dass Randgruppen an einer Schriftkultur kaum teilnahmen und sich heutige Kenntnisse dieser Zeit auf Schriftstücke berufen. Dennoch haben sie in Kunst und Literatur Spuren hinterlassen. Der Historiker Frank Meier will diese Wissenslücke mit seinem Buch schließen, und das nicht nur beim breiten Publikum ohne Vorkenntnisse, sondern auch bei Studenten, die in Vorlesungen Informationen über Randgruppen vermissen und ihr Bild vom Mittelalter vervollständigen wollen.

Der Stil ist demnach ein sehr allgemein verständlicher, auch wenn der Autor nicht darauf verzichtet, mittelalterliche Zitate wiederzugeben, die allerdings stets ausführlich erläutert werden. Dass diese Zitate auf literarische Werke verweisen wie Sebastian Brants "Narrenschiff", Grimmelshausens "Simplizissimus", die von den Brüdern Grimm aufgezeichnete Sage vom Rattenfänger von Hameln oder das juristische Werk "Hexenhammer" zeigt die Bedeutung schriftlicher, auch indirekter Quellen und regt zum Weiterlesen an. Die zahlreichen Abbildungen zeitgenössischer Bilder und Zeichnungen veranschaulichen die Lektüre und lockern diese zugleich auf, wenn auch das Bildmaterial manchmal recht willkürlich den einzelnen Kapiteln zugeordnet wird.

Zu den Außenseitern der mittelalterlichen Gesellschaft gehören also alle, die verschuldet oder - und das war häufiger der Fall - unverschuldet in Armut gerieten. Waren für die Wohlhabenden Almosen an Bettler oft auch eine Versicherung ihres Seelenheils, so wurden Bettler in Zeiten von Epidemien, Krieg und Missernten zu einem ernsten Problem und fremde, umherwandernde Bettler an der Stadtmauer abgewiesen oder aber man versuchte ausgerechnet an ihnen zu verdienen, indem man ihnen spezielle, recht teure Herbergen zuwies und der Bevölkerung verbat, Bettler aufzunehmen.

Kein Wunder also, dass Armut oft auch zu Diebstahl führte und Bettler dann in einer anderen Außenseiter-Gruppe, bei den Verbrechern auftauchte. Hierzu gehörten auch verarmte Adlige, die sich ihr Auskommen gewaltsam verschafften, sowie Söldner, für die es nach Kriegsende keine Verwendung mehr gab. Auf zahlreiche Delikte stand die Todesstrafe, auf unterschiedlichste und grausamste Weise vollstreckt, auch wenn dies niemanden, der kurz vorm Verhungern stand, vom Mundraub abhielt. Diejenigen, die Enthauptung, Rädern, Verbrennung oder auch Folter ausführten, gehörten selbst zu den Außenseitern und mussten bei "stümperhafter" Ausführung der Strafe ebenfalls mit dem Tode rechnen.

Bei Frauen führte Armut leicht in die Prostitution, die von der Kirche verdammt wurde, von Städten aber zeitweise sogar selbst organisiert wurde, bis die Reformation dem ein Ende bereitete. Die Badehäuser waren oft Ort der Ausschweifung, und so gehörten auch die Bader zu den nicht geachteten Berufen.

Gegen Krankheiten wie Pest, Syphilis und Lepra war im Mittelalter kaum etwas auszurichten, und ein Zusammenhang mit den hygienischen Zuständen wurde noch nicht hergestellt. Es blieb nur Ausgrenzung der Betroffenen in eigenen Stadtteilen. So verloren beispielsweise Pestkranke ihr Bürgerrecht und waren nach einer symbolischen Beerdigung praktisch nicht mehr existent. Nach ihrem Tod wurden sie auf separaten Friedhöfen begraben. Auch die Gruppen, die mit ihrem Heilwissen warben, wurden stigmatisiert. Zum einem gab es die Hebamme, die aufgrund ihres Wissens um Kräuter stets im Verdacht stand, eine Hexe zu sein und von der die Kirche befürchtete, sie könne Abtreibungen vornehmen und Wissen über Verhütungsmittel weitergeben. Zum anderen gab es die umherziehenden Quacksalber, die häufig in einen Topf geworfen wurden mit anderem umherziehenden und damit suspekten Volk und deren Auftreten in der Tat oft eher an Unterhaltungskünstler als an seriöse Heiler erinnerte. Doch da es studierte Mediziner kaum gab, waren sie für viele die einzige Hoffnung auf Besserung ihrer Leiden.

Überhaupt waren die Umherziehenden oft auch gern gesehen. Die bunten, musizierenden Spielleute zum Beispiel traten oft am Hofe auf und manche der Hofnarren, bei denen man zwischen Schalksnarren und "natürlichen Narren" (Geisteskranken) unterschied, sind heute noch namentlich bekannt, wobei ausgerechnet an Till Eulenspiegels Authentizität gezweifelt werden muss.

Eine wichtige Rolle spielt die Ausgrenzung aus religiösen Motiven. Die verschwörungstheoretischen Vorwürfe, die beispielsweise gegen Juden erhoben wurden, wie Brunnenvergiftung, Raub von Christenkindern und Wucher sind den meisten Lesern bekannt, und hier erfährt man bei Meier kaum Neues. Er stellt die Ausgrenzung der Juden in einem Kapitel zusammen mit Ketzer- und Hexenverfolgung und macht damit auf die Inquisition aufmerksam.

Insgesamt lässt sich sagen, dass eine Diskriminierung fast immer einherging mit dem Ausschluss aus Zünften und der Verweigerung des Bürgerrechts. Viele lebten in eigenen Vierteln, wie die Juden und die Pestkranken und mussten bei Betreten der Stadt besondere Kleidung tragen oder sogar durch ein umgehängtes Glöckchen (Henker, Pestkranke) oder eine Klapper (Lepriöse) ihr Kommen ankündigen.

Frank Meier deutet bereits im Vorwort an, dass die Beschreibung des Mittelalters auch zu Parallelen mit der Gegenwart führt. So ersetze man bei einem Satz wie "In dem Maße, wie der Wert der Arbeit stieg, sank das Ansehen der Bettler" den Bettler durch den Arbeitslosen oder Hartz-IV-Empfänger und man erhält eine neue Aktualität. Oder man lese angesichts der Flüchtlingsdramen in den spanischen Enklaven: "Die mittelalterlichen Stadtmauern mit ihren bewachten Toren sollten vor allem den ungehinderten Zustrom von mißliebigen Personen aller Couleur erschweren."

Dass die von Meier herangezogenen Texte sich meist nur auf das späte Mittelalter beziehen, lässt sich möglicherweise durch die Quellenlage erklären, rechtfertigt aber nicht gänzlich den Titel des Buchs "Außenseiter im Mittelalter". Auch hätte man sich den ein oder anderen zusätzlichen Literaturhinweis bei einer solchen "Einführung" in die Thematik doch gewünscht. Beispielsweise hat auch Paracelsus ein ausführliches Traktat zur Pest geschrieben, das dem verwendeten Zitat des Bischofs Isidor von Sevilla in nichts nachsteht. Und bei der Verfolgung von Juden und Hexen wäre ein Hinweis auf die Untersuchungen von Wolfgang Wippermann (vgl. literaturkritik.de 12/2005) sehr erhellend gewesen, der die Parallelen bei der Stigmatisierung beider Gruppen zueinander in Bezug gesetzt hat und dabei auch auf Gemeinsamkeiten mit der Verfolgung von Sinti und Roma hingewiesen hat. Letztere fehlen als Außenseitergruppe bei Meier ganz.

Auch warum der Beruf des Schneiders mit Vorurteilen belastet war, wird nicht ganz klar, denn nur der Hinweis darauf, dass er seinen Kunden das Tuch stehle, könnte auch in ähnlicher Weise für jeden anderen Händler gelten.


Titelbild

Frank Meier: Gaukler, Dirnen, Rattenfänger. Außenseiter im Mittelalter.
Jan Thorbecke Verlag, Ostfiltern-Ruit 2005.
208 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 3799501576

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