Kein Meisterwerk

Stephen Kochs Buch über Ernest Hemingways und John Dos Passos' Rolle im spanischen Bürgerkrieg vergreift sich im Ton

Von Jörg AubergRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Auberg

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Zu Beginn der 20er Jahre des letzten Jahrhunderts urteilte die Majorität der amerikanischen Intellektuellen und Künstler vernichtend über den kulturellen Zustand ihres Landes. In allen Sphären der US-Gesellschaft machten sie - wie in Harold Stearns' Umfrage "Civilization in the United States" (1922) deutlich wurde - Ignoranz und Mittelmaß, Philistertum und Kleingeistigkeit, puritanische Heuchelei und skrupellosen Kommerz aus. Im eigenen Land wähnten sie sich verloren und ausgestoßen, umgeben von einer provinziellen Kultur, die nichts hervorzubringen vermochte, was sich mit den europäischen Traditionen hätte messen können. So kehrten schließlich viele Protagonisten der "Lost Generation" dem ungeliebten, rohen Land den Rücken, um im vom Ersten Weltkrieg zerrütteten Europa Zuflucht zu suchen.

Während Paris in kultureller und künstlerischer Hinsicht als das "Laboratorium des zwanzigsten Jahrhunderts" (Harold Rosenberg) galt, stellte das scheinbar rückständige Spanien, in dem die kapitalistische Entwicklung nur mit Verzögerung voranschritt, ein Chaosmal inmitten der kapitalistischen Weltordnung dar. Es war - wie John Dos Passos in seinem Essayband "Rosinante to the Road Again" (1922) schrieb - die "klassische Heimat des Anarchisten". Obwohl Dos Passos' Kollege und damaliger Freund Ernest Hemingway in Spanien kaum den utopischen Ort eines zukünftig Besseren sah, faszinierte ihn die Vitalität des Landes, auf das er seine Vorstellung von Männlichkeit und Machismo projizieren konnte. Während jedoch Hemingway stets nur ein touristisches Verhältnis zum Land hatte, war Dos Passos mit Spanien seit seinem Aufenthalt im Jahre 1916 nicht nur emotional, sondern auch künstlerisch verbunden: Pío Barojas "Spanische Trilogie" (1904) übte erheblichen Einfluss auf Dos Passos' "USA-Trilogie" (1938) aus. Der Spanische Bürgerkrieg markierte schließlich den Scheideweg zwischen beiden Autoren: Während Dos Passos zunehmend kritisch der Linken begegnete, wurde Hemingway zum neuen Liebling der Kommunistischen Partei an der Volksfront.

1937 war Dos Passos noch einmal auf die Iberische Halbinsel zurückgekehrt, um mit dem holländischen Filmemacher Joris Ivens an dem Dokumentarfilm "The Spanish Earth" zu arbeiten, doch zerstritt er sich bald mit der Filmcrew, und als sein langjähriger Freund José Robles, der an der Johns-Hopkins-Universität in Baltimore spanische Literatur gelehrt und in Madrid als Dolmetscher für den sowjetischen General Gorev gearbeitet hatte, im Zuge der stalinistischen Säuberungen spurlos verschwand und liquidiert wurde, verabschiedete sich Dos Passos von Europa und der Linken. Seine Stelle nahm Hemingway nicht nur in der Produktion von "The Spanish Earth" ein, sondern auch als Vorzeige-Literat der kommunistischen Linken in Zeiten der Volksfront.

Die Entfremdung zwischen Hemingway und Dos Passos in den 30er Jahren ist das erklärte Thema des Buches "The Breaking Point" von Stephen Koch, das jedoch ein übermäßiges Ärgernis ist. Vorgeblich geht es Koch um die Rekonstruktion der Ermordung Robles' und den auseinander driftenden Entwicklungen der beiden Schriftsteller, doch ist das Buch in erster Linie ein extrem ideologisch ausgerichtetes Stückwerk, in dem historische Realität und Fiktion vermengt werden. Zwar rühmt es der neokonservative Historiker Ronald Radosh als "Meisterwerk", das die "ganze Geschichte hinter dem Hemingway-Dos Passos-Bruch" entwirre, doch davon kann keinesfalls die Rede sein. Es ist schlichtweg eine plumpe, schwarzweiß gezeichnete Geschichte, in der Dos Passos die Rolle des "good guy" zufällt, während Hemingway den "bad guy" mimen muss. Am schlechtesten kommt jedoch Joris Ivens weg, der als politischer Filmemacher nicht ins Gewicht fällt, sondern kurzerhand zum stalinistischen Agenten erklärt wird, der sein Unwesen auf den Kontinenten trieb. Seine beiden Hauptfiguren nennt Koch mit Vorliebe "Hem" und "Dos", als wären sie seine Kneipenbekanntschaften. Auch die Journalistin Josephine Herbst nennt er penetrant "Josie".

Ohnehin sind Kochs Methoden äußerst fragwürdig. Fast ausschließlich zieht er englischsprachige Quellen heran und lässt spanische Dokumente vollkommen außen vor. Einseitig bezieht er sich auf konservative Historiker wie Hugh Thomas und Radosh, lässt keine kritischen Gegenstimmen zu und vermengt Dos Passos' journalistische und fiktionale Arbeiten, um die Geschichte nachzuerzählen. So benutzt er beispielsweise für die "Rekonstruktion" eines Aufeinandertreffens von Hemingway und Dos Passos ein autobigrafisches Spätwerk des Letzteren ("Century's Ebb" aus dem Jahre 1975). Historische Recherchearbeit wird zu Gunsten ideologisch verbrämter Fiktion mit dem Gestus "So ist es gewesen" unterlassen. Das Buch ist der gründlich misslungene Versuch, Biografie, Geschichte, Politik, Fiktion und ideologische Ranküne in einen Text zu gießen, der auch stilistisch und sprachlich vieles zu wünschen lässt. Ein fehlendes Register rundet den miserablen Gesamteindruck ab.

Die Ereignisse in den späten 1930er Jahren markierten - wie Herbert Marcuse einmal schrieb - "das Ende einer geschichtlichen Periode, und der Schrecken der kommenden kündigte sich an in der Gleichzeitigkeit des Bürgerkriegs in Spanien und der Prozesse in Moskau". Die Komplexität dieser historischen Realität vermag Koch nicht zu erfassen. Stattdessen wird in einem Aufguss aus dem postmodernen Projekt "McCarthyism Reloaded" ideologischer Schund präsentiert, in dem man einen neuen Gedanken vergeblich sucht. Das Lesen dieses Buchs wird zunehmend zur Tortur, zumal es für den Leser nicht den geringsten Erkenntnisgewinn anzubieten hat. Es ist so aufregend wie Andy Warhols Acht-Stunden-Film "Empire", der sich auf eine Einstellung reduziert. So wiederholt Koch bis zum Erbrechen das Immergleiche im ideologischen Smog. Doch offenbar scheint es selbst für solche Unterfangen einen Markt zu geben.


Titelbild

Stephen Koch: The Breaking Point. Hemingway, Dos Passos, and the Murder of Jose Robles.
Counterpoint Press, New York 2005.
308 Seiten, 23,50 EUR.
ISBN-10: 1582432805

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