Verkörperung der Dauerkrise

Monika Szczepaniak untersucht die Problematik der Männlichkeit anhand der literarischen Figur des "Blaubart"

Von Céline LetaweRSS-Newsfeed neuer Artikel von Céline Letawe

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Monika Szczepaniak, Literaturwissenschaftlerin am Lehrstuhl für Germanistik der Universität Bydgoszcz in Polen, legt mit ihrem Buch "Männer in Blau" die erste umfassende Darstellung der Blaubart-Bilder in der deutschsprachigen Literatur vor. Sie untersucht insgesamt mehr als sechzig Bearbeitungen des Blaubart-Stoffs in der Form von Märchen, Gedichten, Dramen, Erzählungen und Romanen. Ihr umfangreicher Textkorpus reicht von Charles Perraults Märchentext (1697) bis zu Judith Kuckarts Erzählung "Nadine aus Rostock" (2001).

Es handelt sich hier aber nicht nur um eine literaturwissenschaftliche Studie, sondern auch um einen Beitrag zur Problematik der Männlichkeit in der westlichen Welt. Durch die Analyse der Texte will die Autorin nämlich auch den historischen und soziokulturellen Kontext erhellen. Und Literatur ist dafür besonders gut geeignet: "Die literarischen Texte bieten - im Unterschied zu wissenschaftlichen und sozial-kulturellen Diskursen - die Gelegenheit, die einzelnen Akteure anzuschauen, die aus gesellschaftlichen Sanktionen und Tabus resultierenden rollenimmanenten Spannungen sichtbar zu machen, die Unsicherheiten und inneren Konflikte in individuellen männlichen Lebensläufen zum Ausdruck zu bringen." Die Blaubart-Figur betrachtet Szczepaniak als eine Verkörperung der sich in Dauerkrise befindenden Männlichkeit, die Blaubart-Texte als Dokumente der Problematisierung des Mannseins. Sie zeigt, wie die jeweilige literarische Figur die Zeit ihrer Entstehung widerspiegelt und stellt dadurch eine interessante Entwicklung sowohl der Blaubart-Figur als auch der Mentalitäten dar.

Blaubart fand Eingang in die Literatur dank Charles Perraults Märchen "La Barbe bleue", das als "archetypische" Blaubart-Geschichte betrachtet werden kann und als Vorlage für die Texte bis zur ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt. Den Kern dieser traditionellen Blaubart-Geschichten hält Szczepaniak in einer farbspielerischen Zusammenfassung fest: "Da ist ein reicher, erfahrener Mann, in dessen Adern meistens blaues Blut fließt und ein recht blauäugiges Mädchen, das von ihm umworben wird. Er verspricht ihr das Blaue vom Himmel herunter, sie lässt sich mit ihm ein, muss aber bald ihr blaues Wunder erleben. Er stellt nämlich harte Bedingungen und ärgert sich grün und blau, weil sie sich nicht daran hält. Die Lage ist kritisch, sie ist vom Tode bedroht, doch kommt sie mit einem blauen Auge davon."

Bei den Blaubart-Texten, die später entstanden sind, herrscht dagegen eine große Heterogenität. Die Varianten reichen "von extremen Radikalisierungen einerseits bis hin zu brisanten Entschärfungen und Verharmlosungen andererseits".

Die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts wird von verharmlosenden Blaubart-Bildern dominiert: Blaubart existiert nur als Hirngespinst, "als Ausgeburt der Phantasie von hysterischen Frauen oder sensationslüsternen Bediensteten". Szczepaniak diagnostiziert in den Texten der Zeit eine Tabuisierung des Themas, die sich auf das damals herrschende repressive Klima zurückführen lässt. Bei Eulenbergs "Ritter Blaubart" (1905) stellt sie dann einen klaren Bruch fest. Männlichkeitskrise, Antifeminismus und Veränderungen in der Mentalität, die unter anderem mit der Entstehung der Psychoanalyse verbunden sind, lassen Blaubart in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Neurotiker erscheinen; die Blaubart-Bilder sind in extremer Weise von Gewalt und Sexualität dominiert. Das Ende des 20. Jahrhunderts ist, stellt Szczepaniak fest, von einer zweiten Männlichkeitskrise geprägt, die in den Blaubart-Texten einmal mehr deutliche Spuren hinterlässt. Der Titel der Anthologie "Blaubärtchen" (1990) ist in diesem Sinne viel sagend. Von Brautwerbung kann meistens nicht mehr die Rede sein - nun sind es die Frauen, die sich bemühen, um den Mann zu gewinnen. Blaubart erscheint auch nicht mehr als Frauenmörder, sondern als "ein schwacher, passiver Mann, der die Frau nicht lieben kann".

Die Studie beruht auf einer guten theoretischen Grundlage: Das erste Viertel des Bands enthält Überlegungen zu der Geschichte und der Problematik der Männlichkeit, die auch einzeln gelesen werden können. Erfreulich sind auch die vierundvierzig Abbildungen, die den Text begleiten. Neben Gemälden von Lucas Cranach und Lithografien von Franz Pocci stehen viele neuere Illustrationen zum Thema Liebe und Gewalt, zu denen auch erstaunlichere Beiträge wie zum Beispiel eine anonyme Schülerzeichnung zu Perraults Blaubart zählen.

In ihrer Untersuchung gelingt es Szczepaniak, ein Märchen, das ursprünglich als Warngeschichte über weibliche Neugier geschrieben und gelesen wurde, aus der Sicht der Männlichkeitsforschung neu zu perspektivieren. Sie fragt nach dem Grund für Blaubarts beunruhigende Gewalt - und wagt sogar eine Antwort: "male trouble - ein Männlichkeitsproblem, das nicht manifest werden darf und sorgfältig kaschiert werden muss".


Titelbild

Monika Szczepaniak: Männer in Blau. Blaubart-Bilder in der deutschsprachigen Literatur.
Böhlau Verlag, Köln 2005.
325 Seiten, 44,90 EUR.
ISBN-10: 3412156051

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