Verhältnis auf Abstand

Hermann Broch und Ruth Nordens "Transatlantische Korrespondenzen"

Von Jörg SundermeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jörg Sundermeier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Er wurde 60 Jahre alt, doch er schonte sich nicht: "Ich habe meinen Schlaf auf 4 bis 5 Stunden heruntergeschraubt und bin aufs äußerste interessiert, wie lange ein Organismus das noch aushalten kann" schrieb Hermann Broch 1946 an Ruth Norden.

Seine Briefpartnerin verstand ihn gut. Als Lektorin in Berlin hatte sie sich 1934 an Broch gewandt, da sie von seinen ersten Romanen begeistert war. Broch hatte zunächst nur eine "normale" Bewunderin in ihr gesehen. Bald jedoch bildete sich ein Vertrauensverhältnis.

Sie emigrierte früh nach New York, Broch dagegen hielt sich anfangs noch in Österreich auf. Zu Beginn ihres Briefwechsels ist vor allem das Leben in der Emigration Thema. Broch, der als Mathematiker und Literat eher das Studierzimmer liebte, entwickelte sich zum politischen Aktivisten, derweil sein Österreich unausweichlich zerfiel. Norden hingegen musste sich in der amerikanischen Literaturszene neu orientieren. Ihr politisches Bild war stets scharf gefasst. Broch hingegen stürzte sich in immer neue Anstrengungen, die oft aussichtslos waren.

Die Korrespondenz bricht 1938 ab und setzt erst sieben Jahre später wieder ein. Broch emigrierte ebenfalls in die USA und konnte Ruth Norden nun persönlich treffen. Sie wurde seine Geliebte, die er mal mied, mal suchte. Ruth Norden wurde 1945 als Rundfunkkoordinatorin nach Deutschland entsandt, Broch blieb in Princeton. Hatte Broch in seinen ersten Briefen zunächst sehr um das "liebe[s] Fräulein", die "liebe Freundin" geworben und heftig geflirtet, so findet sich in den Briefen der Nachkriegszeit viel Zurückhaltung. Aufgeben aber wollte er sie nicht.

Während der betriebsame Broch ihr weiterhin ausführlich über seine Arbeit schrieb und sie um kleinere Gefallen bat, schickte er ihr keine neuen Manuskripte von sich, obschon sie danach fragte. Ihrer Kritik wich er aus. Zudem hielt er sie fern, indem er behauptete, Norden wolle als "normale Frau" leben - und als 20 Jahre Jüngere könnte sie dies mit ihm nicht. Dann wieder lockte er sie: "Ich bin mit allen Gedanken bei Dir". Redete sie aus Verzweiflung über ihre Selbstmordgedanken, warf er ihr vor, ihm Kummer zu bereiten.

Bei all dem aber erscheint Broch nicht als Ekel, er liebt sie und liebt sie nicht und kann sich nicht entscheiden. Er verkannte allerdings, zu wem er sprach - diese Intellektuelle interessierte das Hausfrauendasein nicht. 1947 bricht der Briefwechsel wieder ab, denn Norden kehrte in die USA zurück. Broch und sie führten ihr Verhältnis auf Abstand fort. Erst nach Brochs Tod im Jahr 1951 erfuhr Ruth Norden von seiner zwischenzeitlichen Heirat. Ihre "transatlantische Korrespondenz" spiegelt eine auf traurige Weise fesselnde Liebesgeschichte.

Anmerkung der Redaktion: Der Text ist bereits in der "Berliner Zeitung" erschienen. Wir danken dem Autor für die Publikationsgenehmigung.


Titelbild

Hermann Broch / Ruth Norden: Transatlantische Korrespondenz. 1934-1938 und 1945-1948.
Herausgegeben von Paul M. Lützeler.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
274 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3518416758

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