Deutschland, deine Mörder

100 Jahre Mediendiskurse über deutsche Serienmörder

Von Stefan HöltgenRSS-Newsfeed neuer Artikel von Stefan Höltgen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Worin liegt der Grund für das seit dem Fall "Jack the Ripper" (1888) anhaltend große öffentliche Interesse am Serienmord? Es sei "der Versuch der Massenmedien", schreiben Katrhin Kompisch und Frank Otto in "Bestien des Boulevards", "dem tödlichen Schrecken der Wahl- bzw. Motivlosigkeit der Taten eine Möglichkeit der Plausibilisierung entgegenzustellen, durch die eine hysterische Furcht in schauderndes Interesse, das sicher verkaufsfördernd ist, abgeschwächt wird." In dieser Analyse zeigt sich bereits, dass die Trennung von Ursache und Wirkung der medialen Berichterstattung zum Serienmord nicht so leicht zu vollziehen ist, wie es auf den ersten Blick scheint: Ohne "Wissenwollen" kein "Berichten" und umgekehrt, könnte die Formel lauten. Aber auch die Kausalität von Tat und Berichterstattung unterliegt keiner klaren Struktur: Ohne die mediale Berichterstattung hätten Serienmörder wie z. B. Peter Kürten einen (wichtigen!) Grund weniger zu morden gehabt: Dass die Täter die Berichterstattung über sich nicht nur aufmerksam verfolgen, sondern in ihr nicht selten ein Ziel ihrer Taten sehen, ist hinlänglich bewiesen.

Der Aufriss dieser komplizierten Diskurs-Phänomenologie des Serienmordes ist nur ein Beispiel für die Beschäftigung mit dem Thema, wie die Hamburger Historiker Kathrin Kompisch und Frank Otto sie in ihrer zweibändigen Abhandlung über "Deutschland und ihre Serienmörder" vornehmen. Der 2003 erstmals gebunden erschienene und nun als Taschenbuch vorliegende erste Band "Bestien des Boulevards" beschäftigt sich mit der Geschichte deutscher Serienmörder bis 1945. Im einleitenden Kapitel begründen die Autoren ihr Interesse am Forschungsgebiet: Es soll keineswegs darum gehen, die eigentlich trivialen Täter, wie dies zumeist geschieht, einmal mehr als Meisterverbrecher oder "Monster" zu stilisieren, indem ihre Taten ein weiteres Mal minutiös nacherzählt werden. Derartige Pitaval-Geschichten kursieren seit jeher, und detaillierte kriminalhistorische Aufarbeitungen der Fallgeschichten, wie etwa durch den Düsseldorfer Kriminologen und Publizisten Stephan Harbort, leisten hier bereits Ausreichendes. Vielmehr soll die Berichterstattung über Serienmörder aspektiert werden, um damit die Frage zu klären, wie gerade aus diesem Tätertyp eine Art "Anti-Held der Moderne" werden konnte und auf welche Weise die Berichterstattung über Serienmord und -mörder politisch, ideologisch und anderweitig instrumentalisiert worden ist und immer noch wird.

Der erste Teil von Band I beschäftigt sich zunächst mit den Fällen von Fritz Haarmann, Karl Denke und Carl Großmann. Hier wird vor allem - wie sich am Haarmann-Fall zeigt - die erhitzte ideologische Debatte in der Weimarer Republik an den Fällen gespiegelt. So schien etwa der Linken der Fall dazu geeignet, auf Grund der ungeklärten Vorwürfe, Haarmann sei Polizeispitzel gewesen, den Prozess insgesamt in Frage zu stellen oder die Hinrichtung des geständigen Mörders als Fanal gegen die Todesstrafe zu instrumentalisieren. An allen drei Fällen skizzieren die Autoren auch, wie die seitdem sich ständig wiederholende Metonymisierung von Taten und Tätern ihren Lauf genommen hat. Von Haarmann als dem "Werwolf von Hannover" über Peter Kürten als "Vampir von Düsseldorf" bis hin zum erst ein paar Jahre zurückliegenden Fall der "Bestie von Beelitz" (Pressekosename des Serienmörders Wolfgang Schmidt, überführt 1992) zeichnen Kompisch und Otto eine Tradition der "Vertierung" der Täter in der Presse nach. Gerade für den Fall Peter Kürtens, um den sich seinerzeit sogar internationale Medienmythen rankten (bei denen Fritz Langs Film "M - Eine Stadt sucht einen Mörder" von 1931 noch zu den am wenigsten spekulativen zählte), liefert der ersten Band eine beeindruckende Fülle an Diskursbeiträgen.

Die Auswertung der Serienmordfälle zur NS-Zeit nimmt den zweiten Teil des ersten Bandes ein. Neben dem nachweislich pädophilen Alfred Seefeld, dem die Gestapo 12 bis 40 Morde an Knaben "nachwies" und dem Münchner Johann Eichhorn, dem 1939 ein "kurzer Prozess" gemacht und der für kriminalbiologische Argumentationen des NS-Regimes benutzt wurde, ist es vor allem der Fall Bruno Lüdkes, der die Justiz jener Zeit wie kaum ein anderer kennzeichnet. Dem geistig zurückgebliebenen Lüdke wurden 1943 bis zu 53 ungeklärte Morde aus dem ganzen Reichsgebiet "untergeschoben", indem man ihn unter äußerst zweifelhaften Bedingungen zu Geständnissen bewegte. Kritische Stimmen, die während der Ermittlungsarbeit laut wurden, brachte der NS-Apparat systematisch zum Verstummen, und als der Fall sich schließlich als enorme Peinlichkeit für das Regime zu entlarven begann, wurde daraus kurzerhand eine "Geheime Reichssache" und Lüdke klammheimlich und ohne Prozess exekutiert.

Bruno Lüdkes angebliche Mordserie bildet das Bindeglied zwischen dem ersten und dem zweiten Band der Autoren, denn der Fall hatte ein "Nachspiel" in der bundesrepublikanischen Presse und sogar als Kinofilm, die die Behauptungen der NS-Justiz unkritisch kolportierten. In "Monster für die Massen" verfolgen Kompisch und Otto die Nachkriegsgeschichte nunmehr west- und ostdeutscher Serienmörder. Namen wie Jürgen Bartsch, Peter Boost (der so genannte "Liebespaarmörder") oder Joachim Kroll stehen für den bundesrepublikanischen Horror des Serienmordes, den die Medien nun - der Gewinnträchtigkeit des Themas voll bewusst - mit allen Mitteln ausschlachteten. Vor allem die Boulevardpresse nahm und nimmt sich solcher Fälle immer wieder an, instrumentalisiert sie für fast schon volksverhetzendes Schüren von Vor-Urteilen und nimmt sie je nach Interessenlage als Belege für Sittenverwahrlosung und kommenden Weltuntergang. Die Verknüpfung der Tatgeschichte, der Berichterstattung und zeitgenössischer sozialer, ökologischer und ideologischer Krisen ist die Hauptleistung der Autoren im zweiten Band. Dass sich ein mutmaßlicher und bis heute ungeständiger Serienmörder wie der "Liebespaarmörder" Peter Boost in den Zeiten der Grenzschlepperei (frühe 1950er Jahre) politisch viel besser instrumentalisieren lässt als jemand wie der bezeichnenderweise spitznamenlos gebliebene Olaf Däter, der für die Presse unattraktive Morde an alten Menschen begangen hat, erscheint nach der Argumentation der Autoren geradezu zwangsläufig. Hierin offenbart sich die aufmerksamkeitserzeugende Rolle der Medien in besonderer Weise. Die Betrachtungen von Kompisch und Otto kulminieren in einem Ausblick, der die Serienmordhelden des US-amerikanischen Kinos als Belege für die Ausbeute des Marktwertes der doch eigentlich langweiligen echten Mörder interpretiert.

Mit ihrer zweibändigen Medien-Geschichte des Serienmords in Deutschland legen die Autoren eine in Umfang und Detailarbeit beeindruckende Analyse dieses Tatphänomens vor. Insgesamt 16 Fallgeschichten stellen sie vor und verfolgen die öffentliche Diskussion um Täter, Opfer und Prozesse mit teilweise detaillierten (im Buch faksimilierten) Belegen. Der streckenweise etwas verbitterte Tonfall, den sie dabei an den Tag legen, mag in der teils menschenverachtenden Art und Weise, wie über das Phänomen Serienmord hierzulande berichtet wird, zu begründen sein. Dass Serienmord eben nicht nur ein pathologisches, sondern auch (und in Zeiten informationeller Totalausbeute von Neuigkeiten immer stärker) mediales Phänomen ist, weisen die beiden Bände nach. Die Geschichte des Serienmordes besteht zu einem großen Teil eben auch aus dessen Geschichten.


Titelbild

Kathrin Kompisch / Frank Otto: Monster für die Massen. Die Deutschen und ihre Serienmörder.
Militzke Verlag, Leipzig 2004.
202 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3861897229

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Titelbild

Kathrin Kompisch / Frank Otto: Bestien des Boulevards. Die Deutschen und ihre Serienmörder.
Militzke Verlag, Leipzig 2005.
224 Seiten, 8,90 EUR.
ISBN-10: 3861896265

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