Taschenbuchkompakt

Russische Literatur im Überblick von Reinhard Lauer

Von Ute EisingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Eisinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Etwas Derartiges unternehmen meist nur Amerikaner: Die ganze Geschichte eines Kosmos', wie die russische Literatur einer ist, in einem einzigen Buch darzustellen: Reinhard Lauers "Kleine Geschichte der russischen Literatur" - Ergebnis vierzigjähriger Arbeit - ist eine seltene, im Alleingang geleistete Gesamtdarstellung von tausend Jahren russischer Literatur. Er stellt sie exotischen Nachbarn gegenüber und vergleicht ihre Strömungen mit Tendenzen in anderen Kulturen. Ein riesenhaftes Unterfangen, wie es üblicherweise akademischen Teams überantwortet wird, zusammengesetzt aus Spezialisten mehrerer Fachgebiete mit unterschiedlichen Vorlieben, um die Stofffülle aufzuteilen.

Dagegen konzentriert sich Lauer in seiner nun als Taschenbuch vorliegenden Literaturgeschichte auf das Wesentliche. Sein sicherer Blick, vor dem Hintergrund eines fundierten Detailwissens, vermittelt einen grundsätzlichen, klaren Eindruck vom irritierend wechselhaften Wesen der russischen Literatur.

Im Gegensatz zu vielen Vorläufern ist Lauer nicht befangen, sondern um Neutralität bemüht - was angesichts einer Literatur, die über lange Epochen zweigleisig geführt wurde: staatstreu und im Exil, nicht unbedingt einfach ist. Haben doch sowohl DDR-Russisten als auch ihre in den Westen emigrierten Kollegen großartige Literaturgeschichten verfasst.

Gewiss, mit Felix Philipp Ingolds Prachtband "Der große Bruch" zum Schicksalsjahr 1913 der Russischen Moderne oder Ralph Dutlis sympathisch leidenschaftlicher Darstellung der - nur als zweisprachiger Hörbuch-Genuss erhältlichen - "Geschichte der russischen Literatur" kann Lauers akademische Gesamtdarstellung nicht konkurrieren.

Auch könnte man dem Autor ankreiden, dass seine Einschätzung der gegenwärtigen Strömungen in der russischen Literatur hilflos wirkt. Vielleicht hätte er sich gar nicht darauf einlassen sollen. Immerhin fehlen die selbst hierzulande bekannten Autoren Olga Sedakova, der in Köln lebende Alexej Parshchikov und Ilya Kutik. Über die letzten beiden, Hauptvertreter der so genannten Metaphoristen, zu denen Lauer fälschlicherweise auch Elena Swarc zählt, ist also weiterhin selbst in deutschen Literaturzeitschriften mehr zu finden als in literarwissenschaftlichen Untersuchungen.

Doch zur generellen Orientierung innerhalb der wechselhaften russischen Literaturgeschichte gibt der Band den optimalen Einstieg.

Wer einen neutralen, schnellen Überblick zur Literatur in russischer Sprache sucht, wird in diesem kleinen Nachschlagewerk die wünschenswert knappen Grundinformationen finden.


Titelbild

Reinhard Lauer: Kleine Geschichte der russischen Literatur. Von den Anfängen bis zur Gegenwart.
Verlag C.H.Beck, München 2005.
284 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3406528252

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