Von Joyce her betrachtet

Fritz Senns gesammelte Essays

Von Ralf Georg CzaplaRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ralf Georg Czapla

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es gibt nicht viele, die den Kosmos Joycescher Sprachkunst mit seinen Gipfeln und Abgründen auszuloten vermögen. Fritz Senn ist fraglos einer von ihnen. Seit vier Jahrzehnten schlägt der ehemalige Präsident der James Joyce Foundation und jetzige Leiter der James Joyce Stiftung in Zürich mit seinen Aufsätzen, Essays, Rezensionen und Übersetzungsproben eine um die andere Schneise der Verständlichkeit durch das Werk eines Schriftstellers, den gelesen haben zu wollen, zwar zur selbstverständlichen Pose eines jeden Intellektuellen gehört, der in Wirklichkeit aber immer die Sache von einigen wenigen Eingeweihten geblieben ist und wohl auch bleiben wird. Eine Auswahl dieser kleinen, zumeist im Feuilleton von Tageszeitungen oder in literarischen Zeitschriften erschienenen Arbeiten hat Friedhelm Rathjen, wie Senn ein ausgesprochener Joyce-Kenner, nun in einem Band zusammengefaßt. "Nicht nur Nichts gegen Joyce" heißt er und setzt den Band "Nichts gegen Joyce. Joyce Versus Nothing" fort, den Franz Cavigelli 1983 ebenfalls im Haffmans Verlag herausgegeben hatte. Im Unterschied zum Vorgängerband beschränkt sich "Nicht nur Nichts gegen Joyce" jedoch nicht auf Arbeiten über den großen irischen Dandy und Avantgardisten. Senn hat sich, was nur wenigen bekannt sein dürfte, auch zu Homer und George Orwell geäußert und hat einigen zwar weniger bekannten, gleichwohl aber lesenswerten Autoren zu ihrem Recht verholfen. Dass diese Autoren vom Herausgeber in die Kategorie "Non-Joyce" eingereiht wurden, ist Programm und zeigt letztlich, wie sehr die gesamte Literaturgeschichte von Joyce her betrachtet wird, dem Senn zwar nicht, wie ihm oftmals nachgesagt wird, sein Leben gewidmet hat, von dem aber für ihn eine Faszination ausging, der er sich nicht entziehen konnte. Zu den literarischen Betrachtungen, die Friedhelm Rathjen für den vorliegenden Band ausgewählt hat, gesellt sich eine kleinere Anzahl von Rezensionen zu Joyce-Büchern. Darunter dürfte Arno Schmidts "Der Triton mit dem Sonnenschirm" wohl das bekannteste gewesen sein, das Senn einer kritischen Begutachtung unterzog. Die literaturwissenschaftlich bedeutendsten Arbeiten, die sich in "Nicht nur Nichts gegen Joyce" finden lassen, gelten dem Problem der Übersetzung. Am Beispiel von Dieter Stündels monumentaler Übersetzung von Joyces "Finnegans Wake" thematisiert Senn das Problem der Äquivalenz von Original und Übersetzung, ein Problem, zu dem er auch in theoretischen Aufsätzen wiederholt Stellung genommen hat. Ein humoristischer Beitrag aus dem Jahre 1995 schließt den Sammelband ab. In ihm beschäftigt sich Senn mit der Ochlokinetik, dem Umstand, warum sich der Mensch immer so hinstellen muss, dass er seinen Mitmenschen den Weg versperrt.

Senn, so belehrt das Konversationslexikon, ist ein Hirt auf einer Alm, der auch die Butter- und Käsezubereitung besorgt. Schmackhaftes verschiedenster Art findet man in "Nichts nur Nichts gegen Joyce" allenthalben. Friedhelm Rathjen hat es zu einem Buch arrangiert, das zwar erwartungsgemäß nicht mit SENNsationellem aufwartet, aber mit der nötigen SENNsibilität einen Schriftsteller und einen seiner bedeutendsten Interpreten vorstellt.

Titelbild

Fritz Senn: Nicht nur nichts gegen Joyce. Neue Aufsätze über Joyce und die Welt Hrsg. v. Friedhelm Rathjen.
Gerd Haffmans bei Zweitausendeins, Zürich 1999.
398 Seiten, 22,50 EUR.
ISBN-10: 3251004271

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