Theorie der Liebe

Das halbherzige Hörbuch zum romantischen Ideal "Lucinde"

Von Ute EisingerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ute Eisinger

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Über zweihundert Jahre alt ist Schlegels romantisches Ideal der Liebe unter gleichberechtigten Partnern - eine immer noch taugliche Utopie für die "romantische Ehe", beruhend auf Lust-und-Geist-Harmonie.

Friedrich Schlegels Utopie einer Beziehung war seiner Zeit - sagen wir: bis 1968 - voraus. 1799, als dieser Un-Roman erschien, war ein Mann im Sinne der Aufklärung nützlich und vernünftig verheiratet, unterhielt sexuelle Beziehungen zu Weibspersonen minderen Stands sowie platonische Beziehungen zu gebildeten Damen, die seine geistigen Bedürfnisse stillten. Künstlernaturen benötigten darüber hinaus noch unerreichbare Musen zum Entfachen ihres leidenschaftlichen Genies.

Im Sturm und Drang wurde nun diese - ausschließlich männliche - Ordnung gründlich durcheinander gewirbelt. Wenn ein Herr Geheimrat als Student so manchem Lieschen und Gretchen Gedichte geschrieben hatte, sah man ihm dies nach; sogar, dass Goethe mit dem ersten empfindsamen Briefroman aus Männerhand, "Werther", eine Welle jugendlicher Liebes-Selbstmorde ausgelöst hatte. Dass derselbe die dralle Christiane, die keiner Weimarerin gesellschaftlich das Wasser reichen konnte, zu sich ins Haus nahm und nach zwei Jahrzehnten Dienst und (Kind-)Bett auch ehelichte, nahm man ihm allerdings krumm - besonders seine vornehme Gesprächspartnerin, die Frau von Stein; die zwar nicht mehr von Goethen geehelicht werden konnte, doch stets verehrt sein wollte...

- Während der viel gerühmte Dichterfürst derlei Verstrickungen und Verwicklungen nur abstrakt darstellt und problematisiert - mit einer Metapher aus der Chemie in den "Wahlverwandtschaften" -, verfuhr Friedrich Schlegel weitaus direkter, rigoroser: Sein aus Ratlosigkeit immer als fragmentarisch bezeichneter Roman "Lucinde" besteht aus Briefen, Aphorismen, Gedanken und Betrachtungen über die Liebe. Der Protagonist Julius resümiert darin freiherzig über seine Erfahrungen, die ihn die ideale Beziehung finden ließ. Er beschreibt sie als Einssein in "geistiger Wollust" und "sinnlicher Seligkeit".

Das Buch, eines der wichtigsten Dokumente des Geists der Frühromantik in Europa, ist wegen seines theoretischen Anspruchs leider recht mühsam zu lesen; ein typisch deutsches Manko - vergleicht man es mit zeitgleichen Werken wie den Romanen Jane Austens, die auch heute immer noch genießbar sind und alle paar Jahre neu verfilmt werden.

Umso lobenswerter, dass das junge Berliner Hörbuch-Label "herzrasen" sich vorgenommen hat, "Lucinde" dennoch zugänglich zu machen - mit zweifelhaftem Ergebnis: Thorsten Jantschek und Andrea Gerk haben den Text um zwei Drittel gekürzt, wobei leider auch das berühmte Motiv der verheizten Treppe zur Außenwelt gestrichen wurde, welche die beiden einander genügenden Liebenden entbehren.

Den in der Ausdrucksweise des ausgehenden 18. Jahrhunderts sperrigen Text liest die Schauspielerin Nina Hoss - was nicht wenig verwirrt, da ja bei Schlegel sowohl Julius als auch die gleich berechtigte "Lucinde" zu Wort kommen. Dass ab und zu Papier raschelt und dann und wann auf Schlegels anstrengend schwülstige Ausführungen elektronische Sounds folgen, macht "Lucinde" noch disparater, als der Text ohnehin schon immer war.

Hauptsünde wider die Literaturvermittlung ist allerdings das Cover: Um es einem jugendlichen Publikum recht zu machen, versuchte man drei verschiedene Strategien: Was drei unterschiedliche Appetite anregen soll, hat man höchst irreführend zu einer höchst missglückten Verpackung verquickt: Wie aus einem Teenie-Magazin lächelt Nina Hoss mit Schulmädchenzöpfen (eigenartig, wo doch der Text eine erfahrene, reife Lucinde idealisiert). Den Hintergrund bildet eine vor suggerierter Geschwindigkeit verschwommene Straße, die Dynamik verspricht, doch von "Lola rennt" hat "Lucinde", eine statische Auseinandersetzung mit dem Wesen der besten Liebe, rein gar nichts. Und als dritte Layout-Sünde prangt auch noch ein computergeneriertes rosa Blümchen über dem Klappentext, das man auch für ein Atomsymbol halten könnte - ein Holzweg, der in keiner Beziehung zum Gebotenen, Schlegels halbherzig bearbeitetem Text, steht und zudem verkompliziert, was ohnehin schon harte Kost ist: Wer sich an "Lucinde" wagt, sollte wohl mehr Mut aufbringen als die Verfasser dieses Hörstücks.


Titelbild

Friedrich Schlegel: Lucinde. Ein Hörstück mit Nina Hoss. 1 CD.
Herzrasen Verlag, Berlin 2005.
74 Minuten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3937362045

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