"Ich, allzu Ungeduldiger, gehe voraus."

Der abschließende vierte Band der Briefe Stefan Zweigs von 1932 bis 1942 dokumentiert die erfolglose Überlebensanstrengung eines Verzweifelnden

Von H.-Georg LützenkirchenRSS-Newsfeed neuer Artikel von H.-Georg Lützenkirchen

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der vierte Band der Briefauswahl Stefan Zweigs umfasst die Jahre 1932 bis zum Todesjahr des Schriftstellers 1942. "Die Auswahl aus den Briefen", so erläutern die Herausgeber in ihren sehr knappen Angaben zur Konzeption der Briefsammlung, "erfolgt nach autobiographischen Gesichtspunkten". Was damit gemeint ist, macht eine weitere Vorbemerkung der Herausgeber deutlich: "Es ist unser Anliegen, bislang wenig bekanntgewordene Einzelheiten seines durchaus nicht immer konstanten Sinnen und Trachtens, Denkens und Handelns zum besseren Verständnis seiner Eigenart, seines Erfolges und seines Schicksals offenzulegen, das Persönlichkeitsbild Stefan Zweigs zu präzisieren." Gewissermaßen soll die Briefsammlung die nicht geschriebene Autobiografie ersetzen. Ein ziemlicher Anspruch, der freilich umso dringender die Frage nach den genauen Kriterien der Briefauswahl aufwirft. Überspitzt gefragt: Was wissen die Herausgeber mehr oder anderes vom Leben Stefan Zweigs, das sie berechtigt, bestimmte Briefe aufzunehmen, weil sie dem selbstbenannten Anspruch genügen oder eben wegzulassen, weil sie diesem nicht dienen? In jedem Fall bleibt die Subjektivität der Briefauswahl unhinterfragt und wird nicht erläutert.

Doch soll mit dieser Vorbemerkung die Bedeutsamkeit der Briefauswahl nicht grundsätzlich in Zweifel gezogen werden. Wer eintaucht in diese Briefe, darauf haben zuletzt auch die Besprechungen des Vorläuferbands mit Briefen aus den Jahren 1920 bis 1932 immer wieder verwiesen, wird reichhaltig belohnt. Auch mithilfe der zuweilen freilich auch etwas überbordenden Anmerkungen wird eine vergangene Kultur erlebbar, in der Geist und Sprache eine ebenso zentrale wie gestaltende Kraft entfalten. So ist in diesen Briefen die Erinnerung gegenwärtig: "Wir alle, Felix," schrieb Stefan Zweig einmal dem Schriftstellerfreund Felix Braun hellsichtig, "werden ja der nächsten Generation schon Curiosa sein, letzte Exemplare einer ausgestorbenen Rasse, homo austriaco-judaicus."

1932 gerät die Existenz als österreichischer Jude zunehmend ins Wanken. Noch bewohnt Stefan Zweig in Salzburg ein repräsentatives Haus mit umfangreicher Bibliothek und berühmter Autographensammlung, doch schon spürbar wird die nationalsozialistische Bedrohung aus dem Nachbarland. Dem Freund Romain Rolland schreibt er am 20. Oktober 1932: "Die Politik ekelt mich überall, ich bin der Dummheit überdrüssig... überall sehe ich, daß der Bürokrat, die Bürokratie, die Methode über den Geist triumphiert. Der Individualismus erscheint überall als Feind, wir gehen zum Superlativ des ,Herdentriebs' über."

Die Lage verschärft sich nach der Machtergreifung der Nazis. Wie dem begegnen? Der PEN-Kongress in Ragusa böte die Möglichkeit einer machtvollen Geste des Geistes, des anderen Deutschlands gegen den Antisemitismus und den totalitären Zerstörungswillen der Nazis. Doch hat Zweig Zweifel. An Felix Salten schreibt er am 7. Mai 1933: "Unter uns gesagt, halte ich auch jedes Auftreten und Vortreten jüdischdeutscher Schrifsteller auf Congressen jetzt für falsch. Die andern müssen jetzt unsere Sache nehmen, weil es die der Freiheit und der Ehre des Wortes ist." Er schlägt ein anderes Vorgehen vor: "Wir deutschen Schriftsteller jüdischer Rasse sollten jetzt gemeinsam ein Manifest verfassen an die Deutschen und an die Welt [...]. Dieses Manifest dürfte nichts fordern - nur darstellen und dies in einer Weise, daß es als Meisterstück deutscher Prosa, als Zeitdocument die Zeiten überdauern sollte."

Da ist er wieder, der Glaube an die Kraft des Geistes und des Wortes. Er sollte behauptet werden gegen die Ansprüche einer auf Macht und Interessenverfolgung zielenden Politik, der Zweig zutiefst misstraute. So lehnt er auch folgerichtig und dabei die Entwicklungen verkennend, eine Mitarbeit in Klaus Manns "Sammlung" ab. Am 18. September 1933 schreibt er Mann: Das Unternehmen sei entgegen der Ankündigung nicht die "literarisch, unpolitische Zeitung", an der mitzuarbeiten er bereit gewesen sei. "Aber sie selbst sind es, lieber Klaus Mann, der diesem Plan ein anderes Gesicht gegeben hat und der Zeitschrift einen agressiven Charakter." Und weiter: "Ich persönlich glaube, und wahrscheinlich auch ihr Vater und Werfel und Bruno Walter, daß auf die Herabsetzung unserer Bemühungen die einzige Antwort Leistung ist." Erforderlich sei "ein großes gemeinsames Manifest von hoher Haltung" statt "kleinliche impotente Angriffe". Eine tragische Fehleinschätzung, die zudem noch den Nazis in die Hände spielte. Denn natürlich wurde die politisch ,naive' Absage von den Nazis funktionalisiert als Aussage gegen das Exil. Noch einige Zeit verfolgte Zweig die Sache mit dem Manifest. Letztlich aber wurde nichts daraus.

Dagegen verschärfen sich die Bedrohungsängste. Immer öfter tauchen in Briefen an den Freund Rolland Überlegungen auf, Salzburg zu verlassen. "Ich bin innerlich darauf eingestellt wegzugehen [...] in Zeiten wie der unseren braucht man freie Schultern", hatte er bereits im Juni 1933 geschrieben. Als nun im Verlauf der brutalen Kämpfe der Regierung in Österreich gegen die Arbeiter im Februar 1934 eine Hausdurchsuchung bei ihm stattfindet, ist die Entscheidung gefallen: "Natürlich verlasse ich mein Haus." schreibt er am 14. Februar 1934, "jetzt ist es vorbei." Und aus London schreibt wenig später "der Vagabund": "Insgesamt verdanke ich Herrn Hitler [...] einen neuen Lebensschwung. Ich lief schon Gefahr, mich einzunisten, ein guter Bürger zu werden [...]. Nun entdecke ich noch einmal die Welt [...]". Doch klingt dieser Lebensoptimismus bereits angestrengt und trügerisch. Dem "Studentenleben", der Rückkehr in eine "unbeschwerte Jugend, die in uns lebt, und die oft zu sehr vom häuslichen Leben erstickt wird" gesellt sich bereits, zunächst noch beiläufig, ein Todesmotiv zu: "Ich habe überhaupt keine Lust, einen zweiten Krieg zu überleben."

Viele der Briefe drücken diese wachsende Verzweiflung aus. Einerseits deutet Zweig vor allem in den Briefen an den Geistesfreund Romain Rolland an, wie sehr ihn die pessimistischen Aussichten bedrücken, andererseits ist er nach wie vor um sein eigenes Werk einerseits und zunehmend auch um das Überleben anderer bemüht. In einem Brief an dem kurz vor dem Abgrund stehenden Joseph Roth vom 25. September 1937 wird die verzweifelte Bemühung spürbar: "Nein Roth, nicht hart werden an der Härte der Zeit, das heißt sie bejahen, sie verstärken! Nicht kämpferisch werden, nicht unerbittlich, weil die Unerbittlichen durch ihre Brutalität triumphieren - sie lieber widerlegen durch das Anderssein, sich höhnen lassen für seine Schwäche statt seine Natur zu verleugnen. Roth, werden Sie nicht bitter, wir brauchen Sie, denn die Zeit, soviel Blut sie auch sauft, ist doch sehr anämisch an geistiger Kraft. Erhalten Sie Sich! Und bleiben wir beisammen, wir Wenige!"

Wie sehr die Hilfsbereitschaft Zweigs, der materiell gut gestellt war, zu einer Bedrückung wird, verdeutlicht ein Brief vom 5. August 1939 an Felix Braun. Er schildert, wie sehr ihn die täglichen Briefe von Hilfesuchenden erschüttern. "Diese Fälle, Felix, wo man mit Geld nicht helfen kann und nicht mit seinem Einfluß, - mit nichts und nichts, diese täglichen Niederlagen gegenüber der Niedertracht der Welt, nur sie, nur sie bedrücken mich." Und eben deshalb schmerzen andere Verluste umso mehr. So wie im Falle Hans Carossas, der sich von den Nazis auszeichnen ließ, "[...] kann ich nicht mehr nachsichtig sein gegen selbst liebste Menschen, welche diesen Verbechern die Bluthand drücken [...]. Ich verlange von niemandem Heldenmut und wäre der Letzte, der Carossa zugemutet hätte zu emigrieren." Aber "man muß nicht diese Hände drücken [...]. Man kann abseits bleiben, wenn man will [...]" Denn "Schwäche ist Schuld" hatte er einige Tage zuvor an Felix Braun geschrieben.

Bemerkenswert, wie klar das Ende eingeleitet und durchgeführt wird. In den letzten Briefen an die Exfrau Friderike Maria Zweig, sowie in einer letzten "Declarado" erläutert er den Suizid, den er am 23. Februar 1942 gemeinsam mit seiner Frau Lotte Zweig durch "Einnahme einer giftigen Substanz" in Brasilien unternimt. Es ist "dieser Krieg, dieser nicht enden wollende Krieg, der seinen Höhepunkt noch längst nicht erreicht hat. Ich war all dessen so leid und müde." Und weil der Verzweifelnde spürt, mit dem eigenen Werk, mit Geist und Wort den Dingen nicht mehr entgegenzuwirken zu können, ist die letzte Entscheidung geradezu zwangsläufig. "Love and friendship and cheer up, knowing me quiet and happy" lautet der letzte Satz im Brief vom 21. Februar 1942 an Friderike. Und die hinterlassene "Declarado" schließt: "Ich grüße alle meine Freunde! Mögen sie die Morgenröte noch sehen nach der langen Nacht! Ich, allzu Ungeduldiger, gehe ihnen voraus."


Titelbild

Stefan Zweig: Briefe 1920-1931.
Herausgegeben von Knut Beck und Jeffrey B. Berlin.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2000.
640 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 310097090X

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Titelbild

Stefan Zweig: Briefe 1932-1942.
Herausgegeben von Knut Beck und Jeffrey B. Berlin.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
815 Seiten, 46,90 EUR.
ISBN-10: 3100970934

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