Das ultimative Symbol weiblicher Unterdrückung

Ein Gespräch mit der Frauenrechtlerin und Islamismuskritikerin Seyran Ates

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Seit längerem schon ist Seyran Ates als eine der kämpferischsten Kritikerinnen religiös begründeter Frauenfeindlichkeit islamischer Männer bekannt. 1963 in der Türkei geboren, kam sie mit sechs Jahren nach Deutschland, wo sie seither lebt. In den 1980 Jahren engagierte sich die Feministin im Berliner "Treff- und Informationsort für Frauen aus der Türkei", wo sie bei einem Schussattentat eines Mitglieds der türkisch-faschistischen "Grauen Wölfe" lebensgefährlich verletzt wurde. Eine zweite Frau kam bei dem Anschlag ums Leben.

1997 beendete sie ihr Jurastudium und ist seither als Rechtsanwältin tätig. Ihre Klientel besteht zu einem großen Teil aus Frauen, die zwangsverheiratet wurden oder von Zwangsverheiratung bedroht sind. Im Jahr 2003 veröffentlichte sie den autobiografischen Bericht "Die große Reise ins Feuer". Im November 2005 wurde sie vom Verband deutscher Staatsbürgerinnen als "Frau des Jahres" geehrt.

Das folgende Interview wurde im Dezember 2005 und im Januar 2006 per e-Mail geführt.

Rolf Löchel: Frau Ates, unlängst haben Sie in einem Ihrer Texte konstatiert, es könne nicht über muslimische Frauen gesprochen oder geschrieben werden, ohne das Kopftuch als - wie Sie schreiben - "ultimatives Symbol" ihrer Unterwerfung zu erwähnen. Lassen Sie uns also über das Kopftuch reden. Warum ist dieses Thema so wichtig?

Seyran Ates: Für mich ist das Kopftuch kein religiöses Symbol. Es hat ausschließlich politischen Charakter und dient der Manifestierung der untergeordnete Rolle der Frau innerhalb der (muslimischen) Gesellschaft. Damit geht stets eine Unterdrückung einher, wobei Unterdrückung nicht immer mit körperlicher Gewalt oder sonstigen Repressalien in Verbindung stehen muss. Eine Unterordnung ist bereits eine Form der Unterdrückung. Diese für viele Menschen sehr radikal anmutende und angeblich religionsfeindliche Ansicht ist selbstverständlich nicht mit einem Satz zu begründen. Zum Verständnis müssen wir uns den Grund für das Tragen des Kopftuchs genau ansehen.

Ich unterstelle, dass keine Frau das Kopftuch trägt, um ihre besondere Gottgefälligkeit zur Schau zu stellen. Sprich, sie drückt damit nicht aus, "Ich bin besonders gläubig und um Gott/Allah zu gefallen, und zwar in meinem Verhältnis zu Allah, trage ich das Kopftuch". Das Kopftuch wird getragen, um im Verhältnis zu "den Männern" in der Umgebung der Frau ein Signal zu setzen. Nämlich das Signal, ich bin Moslem, ich bin sittlich und moralisch unfehlbar, ich bin unberührbar für fremde Männer, ich will keine Blicke fremder Männer auf meine Scham lenken. Im Ergebnis geht es darum, die untergeordnete Rolle der Frau in der Gesellschaft durch das "Bedecken" der weiblichen Mitglieder der Gesellschaft nach außen deutlich und sichtbar zu machen. Und was am aller wichtigsten ist, es geht darum, die Sexualität der weiblichen Mitglieder zu kontrollieren und verdeckt zu halten.

Im engsten Sinne geht mit dem Kopftuch eine extreme Sexualisierung der weiblichen Mitglieder einher, die mit sexistischer Werbung vergleichbar ist. Die Frau als Sexualobjekt. Mädchen und Frauen werden im öffentlichen Leben mit ihren sexuellen Reizen zur Schau gestellt. Dabei ist es egal, ob man sie dazu enthüllt, wie in der Werbung oder verhüllt, wie mit dem Schleier.

Im Ergebnis steht das Kopftuch gegen eine selbstbestimmte Sexualität der Frauen im Islam. Jedenfalls für die, die den Islam so auslegen. Dieses Verständnis zieht sich durch das gesamte gesellschaftliche Leben hindurch. Daher ist es von großer Bedeutung, bei dem Thema Kopftuch den Aspekt der Geschlechterdemokratie zu erwähnen. Das Kopftuch steht gegen eine Geschlechterdemokratie. Damit haben wir einen klaren Ausgangspunkt dafür, welches Gesellschaftsmodell mit dem Kopftuch vertreten wird. eine nach Geschlechter getrennte Gesellschaft, in der Frauen eine untergeordnete Rolle spielen.

RL: Sehr einleuchtend finde ich Ihre Bemerkung, das Kopftuch diene dazu, die weibliche Sexualität zu kontrollieren. Überhaupt scheint mir das Kopftuch mehr zu sein als ein bloßes Symbol der weiblichen Unterdrückung - was es natürlich auch ist. Aber ist es nicht zugleich auch ein Instrument der Unterdrückung, in dem es die freie Entfaltung der Persönlichkeit seiner Trägerin einschränkt? Jedenfalls diejenige der Frauen, die das Kopftuch nicht freiwillig tragen. Diese Funktion als Instrument der Unterdrückung scheint mir weithin übersehen zu werden.

AS: Sie haben tatsächlich recht, dass bei der gesamten Debatte die Frauen, die das Kopftuch gegen ihren eigenen, meist sogar erklärten Willen tragen, vergessen oder übergangen werden. Dabei stellen sie die Mehrheit dar. Kürzlich habe ich zufällig eine Talkshow im türkischen Fernsehen gesehen, in der gesagt wurde, das nach neuestes Umfragen in der Türkei 80 % der befragten Frauen angaben, das Kopftuch gegen ihren Willen zu tragen. Sie nannten verschiedene männliche Familienmitglieder, die sie dazu zwangen, das Kopftuch zu tragen.

Ein Professor, der auch Talkgast war, sagte, dass er dagegen sei, das Kopftuch in den Universitäten zuzulassen, weil es sonst bald keine einzige Studentin mehr gäbe, die kein Kopftuch tragen würde. Es ist unbestrittenermaßen auch in Deutschland zu beobachten, dass ein Kopftuch weitere Kopftücher mit sich bringt. In einem Projekt für muslimische, türkische, kurdische Mädchen, welches ich Anfang der 80er Jahre mitgegründet habe, trug beim Start des Projekts Mitte der 80er Jahre kein einziges Mädchen ein Kopftuch. Jetzt im Jahre 2000 tragen alle Mädchen in den Schulungsklassen ein Kopftuch, ausnahmslos.

Wenn man sich die Zahl der Frauen ansieht, die Unfreiwillig das Kopftuch tragen bzw. sich dem System unterordnen, kann man die Bedeutung des Kopftuchs als Unterdrückungsinstrument ganz deutlich sehen.

Es ist daher schon bezeichnend, dass die vielen "freiwillig" Kopftuch tragenden Frauen, die im Fernsehen zu sehen sind, sich kaum zu dem Thema äußern. Sie sagen höchstens, dass sie selbstverständlich dagegen sind, dass Zwang ausgeübt wird. Denn der Islam kenne keinen Zwang. Umso spannender ist die Frage, warum die Mehrheit unter das Kopftuch gezwungen wird?

Natürlich geht es darum, weibliche Mitglieder der Gesellschaft bzw. Glaubensgemeinschaft daran zu hindern, ein selbstbestimmtes Leben zu führen und eine freie Persönlichkeit zu entwickeln. Eine Gemeinschaft, die davon lebt, dass alle Mitglieder sich ausschließlich der Gemeinschaft verpflichten, kann keine frei Entfaltung der Persönlichkeit dulden. Denn damit würde ein Individualismus einhergehen, und das scheut der fanatische Moslem wie der Teufel das Weihwasser. Jede individuelle Kraft ist eine Bedrohung für die Religionsgemeinschaft.

RL: Was Sie zur Kopftuchfrage in der Türkei sagen, erinnert mich an einen Vortrag, der unlängst im Rahmen eines Workshops an der Universität in Marburg gehalten wurde. Die Referentin - wenn ich mich recht erinnere, eine deutsche Ethnologin - berichtete über ihre Forschungen zur, wie sie es nannte, "islamistischen Frauenbewegung" in der Türkei, die das dortige Kopftuchverbot an Universitäten als sexistisch kritisiere, da nur Frauen von ihm betroffen seien. Hinter dem Verbot, so hieß es weiter, stünden patriarchalisch-wirtschaftliche Gründe. Denn es diene dazu, Frauen den Zugang zu qualifizierter Ausbildung und somit zu besser bezahlten Jobs zu verwehren, damit diese weiterhin von Männern besetzt werden könnten. Der Kampf gegen das Kopftuchverbot sei also letzten Endes ein Kampf um wirtschaftliche Gleichstellung und Unabhängigkeit und somit ein grundlegender Akt feministischen Emanzipationsstrebens. Eine Argumentation, der sich die Vortragende anschloss. Sie doch sicher nicht?

SA: Diese Argumentation ist absoluter "Quatsch". Dieser Ausdruck muss hier erlaubt sein. Denn eine bessere Beschreibung für den Unsinn, der damit verbreitet wird, gibt es nicht. Umgekehrt wird ein Schuh daraus. Patriarchalisch-wirtschaftliche Gründe stehen für die "Kopftuchpflicht".

Bei historischer und aktueller Betrachtung wird nicht zu bestreiten sein, dass mit dem Unterwerfen der Frauen unter ein Kopftuch-Diktat deren Beteiligung am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Leben unterbunden werden soll und unterbunden wird. Man muss sich doch nur die Ländern anschauen, in denen das Kopftuch oder der Schleier staatlich verordnet getragen werden müssen. Haben Frauen dort etwa eine besonders nennenswerte wirtschaftliche Macht und erreichen unproblematisch Spitzenposition in Wirtschaftunternehmen, wenn sie nicht gerade ein Familienmitglied sind? Welche Frau darf in den arabischen Emiraten z. B. Auto fahren? Um nur ein Beispiel zu nennen. Die Erlaubnis, das Kopftuch an Schulen und Universitäten zu tragen, wird uns genau in solch eine Gesellschaftsordnung treiben: In extrem patriarchale Strukturen.

Nicht, dass wir auch in aufgeklärten zivilen Gesellschaften keine patriarchalen Strukturen hätten, auch ohne das Kopftuch. Es ist aber ein ultimatives Symbol der Frauenunterdrückung für jeden Bereich des menschlichen Zusammenlebens. Im Iran wurden Frauen zu Tausenden aus dem Berufsleben gerissen, nachdem der Schleier über sie verhängt wurde. Und zwar hochqualifizierte Frauen aus Spitzenpositionen. Leider machen sich hier manche Frauen - und leider auch einige Feministinnen - zu Mittätern für sexistische Machtspiele von fundamentalistischen Moslems. Mit der Argumentation, dass Kopftuch sei ein Instrument der Emanzipation und deren Ablehnung würde Frauen den Zugang zu Bildung und Karriere verhindern, will man/frau nur das Kopftuch etablieren, um im Anschluss Frauen auszuschließen. Für mich persönlich ist es kein Unterschied, ob Frauen dadurch zu Sexualobjekten gemacht werden, indem sie halbnackt zu Werbezwecken auf Motorhauben von Autos gelegt werden, oder ob sie unter das Kopftuch oder den Schleier gesteckt werden. Beides hat den Sinn und Zweck, die Sexualität der Frau in den Vordergrund zu drängen und sie damit auf eben diese zu reduzieren.

Im Übrigen gibt es im türkischen Radiosender "Metropol FM" bereits eine Werbung von einer gynäkologischen Praxis mit Kinderwunsch-Sprechstunde mit dem Hinweis, dass auf Wunsch eine Behandlung von einer Ärztin mit Kopftuch stattfinden kann. Wo die massenhaft Medizin studierenden Frauen in einer islamischen Gesellschaftsordnung landen sollen wird damit mehr als deutlich. Es ist ziemlich naiv zu glauben, dass fanatische Moslems Frauen in Spitzenpositionen zulassen werden. Sie benötigen die ausgebildeten Frauen lediglich dort, wo Kontakt zu Frauen aus dem Volk besteht.

RL: Sie sprechen vom Kopftuch als ultimativem Symbol weiblicher Unterdrückung im Islam. Nun gibt es aber auch Stimmen, die dem 'Streit ums Kopftuch' nur einen eher marginalen Stellenwert einräumen. Andere Formen der Unterdrückung, wie Zwangsheirat, Ausschluss von Bildung etc. seien weit gravierender und drohten durch die Konzentration der Debatte auf das Kopftuch in den Hintergrund gedrängt zu werden. Vielleicht ist diese Argumentation doch nicht so ganz von der Hand zu weisen?

AS: Auch das ist ein ausgesprochener Unsinn. Schauen Sie sich doch gerade die Debatte über die Zwangsheirat an. Wir haben es geschafft, dass innerhalb von drei Jahren, seit Terre des Femmes die Plakataktion gemacht hat, die Zwangsheirat mit der Überschrift eigener Straftatbestand dem Bundestag als Gesetzesantrag vorgelegt wurde. In den letzten Monaten habe ich ausschließlich zum Thema Zwangsheirat und Ehrenmorde referiert, manchmal drei mal in der Woche, und zwar bundesweit, aber auch in Barcelona, Amsterdam, New York und Wien. Meinen Mitsstreiterinnen geht es nicht anders. Wir sind alle sehr beschäftigt damit, über Zwangsheirat aufzuklären. Alle Themen fokussieren sich beim Thema "freie selbstbestimmte Sexualität". Am 04.12.05 ist sogar ein Artikel in der "New York Times" erschienen, in dem Serap Cileli, Necla Kelek und ich über Zwangsheirat und Ehrenmorde gesprochen haben.

Das Kopftuch ist zurzeit eher in den Hintergrund geraten!

Die von Ihnen angeführte Argumentation ist eine reine Schutzbehauptung. So sagen wir Juristinnen(en), wenn wir eigentlich meinen, dass jemand nicht die Wahrheit sagt. Diese Leute lesen offensichtlich weder Zeitungen noch schauen sie Nachrichten.

Das Kopftuch ist nach außen dass ultimative Symbol der Unterdrückung von Frauen. Dabei bleibe ich. Es ist eine Sichtbarmachung der Rollenverhältnisse. Andere Mechanismen sind weniger deutlich wahrnehmbar. Deshalb hat auch gerade die deutsche Öffentlichkeit Zwangsheirat und Ehrenmorde bisher nicht wahrnehmen wollen. Erst der 11.09.2001 hat die Welt aufgerüttelt, was all diese Themen anbelangt. Im Grunde werden die Diskussionen über die Rechtlosigkeit und Unterdrückung der muslimischen Frauen nur geführt, weil die Weltöffentlichkeit sein "Problem" mit dem "Islam" lösen muss. Denn es hat auch schon viele Jahre vor dem 11.09.2001 Zwangsheirat, Ehrenmorde, mangelnden Zugang zu Bildung für muslimische Frauen und das Kopftuch gegeben.

Wobei wir die Kopftuchdebatte auch zu einem großen Anteil Frau Schavan zu verdanken haben, die sich irgendwann richtig aufklären ließ und die Courage besaß, im Interesse der Frauen zu handeln.

Die Herren und Damen, die sich sehr stark für das Kopftuch in der Schule und in den Universitäten einsetzen, sehen sie im übrigen selten auf Seiten der zwangsverheirateten und getöteten Frauen und Männer. Die selben Herren und Damen streiten nun darüber, dass die Zwangsheirat von der arrangierten Ehe abgegrenzt werden soll, wobei die arrangierte Ehe als Tradition zu schützen sei. Im Ergebnis verteidigen diese Leute die Zwangsehe. Da die arrangierte Ehe, von der sie sprechen, die Eheschließung von 14-20-Jährigen betrifft, die im Ergebnis sagen, dass sie das machen, was ihre Eltern wollen. Also keinen Anspruch auf eigene Meinung erheben und keinen eigenen Willen äußern, weil man/frau das in ihrem System nicht darf.

RL: Sie erwähnen, dass die Frauenunterdrückung in islamischen Gesellschaften erst nach dem 11.9.2001 in westlichen Staaten thematisiert wurde. Also erst, nachdem man selbst angegriffen worden war. Da scheint es eine gewisse Parallelität zum Verhalten des 'weißen' Frankreichs gegenüber den französischen 'nicht-weißen' Vorstädten zu geben, in denen die Gewalt seit Jahrzehnten zunimmt, und für die sich die Öffentlichkeit erst nach den Gewaltexzessen des letzten Herbstes zu interessieren begann, also als es unterschiedslos jeden traf und sogar die 'weißen' Innenstädte bedroht schienen.

Alice Schwarzer hat dann ja darauf hingewiesen, dass es durchaus keine 'Jugendkrawalle' waren, wie es immer hieß, sondern dass es sich um dezidiert männliche Gewalt handelte, ausgeübt von Jungens, männlichen Jugendlichen und von jungen Männern. Von den Gleichen also, die schon seit Langem die Frauen der Viertel, vornehmlich die jungen Frauen, in 'anständige Mädchen' und 'Huren' einteilen, terrorisieren und auch schon mal ermorden.

Ganz anders als nach dem 11.9. scheint in einer breiteren Öffentlichkeit diesmal die Gewalt gegen die Frauen der Vorstädte auch nach Frankreichs heißem Herbst nicht thematisiert zu werden. Oder sehen Sie irgendwelche Anzeichen hierfür? Ich frage auch, weil Sie letztes Jahr das Vorwort für ein Buch geschrieben haben, in dem es genau um die sexistische Gewalt in französischen Vorstädten geht - und darum, wie sich die Mädchen und Frauen gegen sie wehren.

A.S.: Ich sehe keine sehr deutlichen Anzeichen dafür, dass die sexistische Gewalt nach den Ausschreitungen besonders diskutiert oder hervorgehoben wurde. Ich denke, dass bei dem Thema an sich schon die sexistische Gewalt ins Bewusstsein gerückt ist, mehr jedenfalls als vor dem 11.09.01.

Auch bei Selbstmordattentätern handelt es sich hauptsächlich um islamistische junge Männer, selten sind Frauen beteiligt. Diese Männer haben ein ganz klares Frauenbild. Frauen werden in "Anständige" und "Unanständige = Huren" eingeteilt. Wenn wir Bilder von Islamisten sehen, haben wir sofort ein extrem patriarchalen Mann vor Augen. Es braucht keine Worte, um zu erklären, dass all die fanatischen Moslems, die wir in den Medien sehen, Frauen wie gerade beschrieben aufteilen. Das steht in ihren Gesichtern geschrieben.

Damit will ich sagen, dass die sexistische Gewalt nicht unbeachtet geblieben ist, sondern in der Diskussion stets immer mit schwingt. Jedenfalls ist das meine Erfahrung. Überall, wo ich über die Ausschreitungen spreche, spreche ich die sexistische Gewalt selbstverständlich an.

RL: Ich möchte nicht versäumen, ein Thema anzusprechen, das Sie ganz persönlich betrifft: Die Anfang letzten Jahres von der in Deutschland erscheinenden Ausgabe der türkischen Zeitschrift "Hürriyet" losgetretene Hetzkampagne gegen Sie und ihre Mitstreiterinnen Serap Cileli und Necla Kelek, in der Sie unter anderem als "verrückt" dargestellt wurden. "EMMA" und verschiedene überregionale Tageszeitungen berichteten darüber. Wie wirkte sich diese Hetze über das Tagesgeschehen hinaus auf das öffentliche Interesse Ihrer Arbeit - oder auch in anderer Hinsicht - aus und wurde die Kampagne gegen Sie inzwischen eingestellt?

SA: Eine Freundin (Türkin und selbst politisch sehr aktiv) sagte zu mir, dass es keine schlechte Werbung gibt, als ich mit ihr über die "Hürriyet"-Hetze sprach. So war es schließlich auch. Das öffentliche Interesse an meiner Arbeit stieg. Nicht unbedingt ungemein hoch, und es kann nicht gesagt werden, dass das Interesse nicht auch ohne diese Hetze da gewesen wäre. Denn der eigentliche Grund, warum wir Frauenrechtlerinnen plötzlich eher wahrgenommen werden, ist ein anderer.

Schlimm war, dass plötzlich auch Stimmen zu hören waren, die sagten, dass man mir mal eins auf die Schnauze hauen sollte. Der Vater meines Kindes, mit dem ich keinerlei Verhältnis mehr habe, wurde gefragt, ob er mich nicht zur Vernunft bringen könne, etc. Typisch! Männer bestimmen über "ihre" Frauen. Es waren "intellektuelle", die diese Dinge sagten. Die unreflektierte Wut und der Ärger von sogar vermeintlich Linken, die plötzlich zu "Hürriyet" Anhängern geworden waren, legte sich aber nach vier bis fünf Tagen. Denn sogar diese Menschen hatten begriffen, dass ich gar nicht so unrecht habe. Sie hatten angefangen, über Themen wie häusliche Gewalt und Frauenunterdrückung zu sprechen/diskutieren. Es wurde mir am Ende dafür gratuliert, dass ich die Leute zum Sprechen gebracht habe.

Die Kampagne gegen mich ruht. Es gibt eine neue Strategie, die ich noch nicht durchschaut habe bzw. keine Zeit hatte zu recherchieren. Die "Hürriyet" bat mich um einen Artikel zum Thema, Situation von türkischen Frauen in Europa und das Bild, welches in Europa verbreitet wird, also über Missstände und Vorurteile.

Ich habe etwas geschrieben, was stark gekürzt veröffentlicht wurde. Ein sehr kleines Friedensangebot?

RL: Die Haltung der deutschen Ausgabe von "Hürriyet" ist in der Tat sehr widersprüchlich. Einerseits diese Hetze gegen Sie und andere Feministinnen, andererseits die Kritik an Frauenrechtsverletzungen in der Türkei und der Versuch, hiesige Frauenrechtsorganisationen wie etwa Terre des Femmes für ein gemeinsame Kampagne in Sachen Frauenrechte zu gewinnen, was Terre des Femmes nach der Hetze gegen Sie natürlich abgelehnt hat. Wenn ich nicht irre, steckt hinter dieser Doppelzüngigkeit eine Kontroverse zwischen der Redaktion der deutschen Ausgabe und der 'Mutter'-Redaktion in der Türkei, wobei letztere neuerdings einen eher frauenfreundlichen Kurs steuert und darauf gedrängt hat, dass die von ihr initiierte Kampagne gegen 'Ehren'morde und andere Frauenrechtsverletzungen auch von der Redaktion der 'deutschen' Ausgabe geführt wird, während in der Hetze gegen Sie und die Anderen die eigentliche Haltung der Redaktion in Deutschland zum Ausdruck kommt.

Die Soziologin Corinna Trogisch kritisiert in der jüngsten Ausgabe der "beiträge zur feministischen theorie und praxis" (Bd. 66/67, 2005) die von Ihnen mitunterzeichnete "Becklash"-Erklärung, die sich gegen Marieluise Becks "Aufruf wider ein Lex Kopftuch und für religiöse Vielheit" richtete. In dem gleichen Text führt sie die Hetzkampagne von "Hürriyet" auf ein am 28.2.2005 in der "taz" erschienenes Interview mit Ihnen zurück. Das erstaunt insofern, als die Hetzkampagne ja nicht nur Ihnen, sondern auch ihren beiden Mitstreiterinnen galt. Trogisch selbst wirft Ihnen vor, Sie trieben in dem Interview die Ethnisierung des Sexismus voran und behauptet zudem, Sie schlössen sich in einem in der von feministischen Juristinnen herausgegebenen Zeitschrift "Streit" unter dem Titel "Religionsfreiheit nicht auf Kosten von Frauen und Mädchen" erschienen Aufsatz "der Vorgehensweise Joschka Fischers an, Auschwitz legitimatorisch zur Verfechtung militärischer Eingriffe einzusetzen". Fühlen Sie sich da recht verstanden?

AS: Zu der "Hürriyet" kann ich nicht mehr sagen, als Sie schon selbst in der Frage formuliert haben. Die Mutter-Redaktion, vorne weg die Tochter oder Ehefrau des Eigentümers (ich weiß es leider nicht mehr genau), besteht auf frauenpolitischen Themen und hat wohl auch sehr gute Ideen. In Deutschland sind die Redakteure sehr konservativ, ganz unabhängig davon, dass sie nicht besonders seriös arbeiten, und hängen dem Wahn nach, der diese Frau Trogisch offensichtlich auch anhängt, nämlich, dass alles, was über Türken (Kurden) in Deutschland gesagt wird, rassistisch, verallgemeinernd und ethnisierend ist. Dieses Todschlagargument vereist die Gehirne von sehr vielen Menschen.

Ich kenne den Text von Frau Trogisch nicht. Ich bin auch ehrlich gesagt nicht besonders interessiert. Denn diese Leute haben lange genug Integration verhindert und die Situation von muslimischen Frauen sträflich vernachlässigt. Solche deutsche Frauen begegnen mir hin und wieder. Sie gehören zu denen, die schon vor 20 Jahren weggehört haben, wenn ich gesagt habe: "Klar geht es Türkinnen und Kurdinnen weitestgehend nicht anders als deutschen Frauen. Wir haben ein patriarchales Problem. Aber von Zwangsheirat sind in Deutschland nun mal keine deutschen 15 bis 18-jährigen Mädchen betroffen". Das einzige, was Frauen wie Frau Trogisch gemacht haben, war, muslimische Frauen in ihrer Opferrolle "wissenschaftlich" für ihre Zwecke zu nutzen.

Im Grunde ist mir die Zeit inzwischen zu schade, auf diese Dinge zu reagieren. Sie sollte mein Buch und andere Dinge von mir lesen und vor allem vielleicht eine Veranstaltung von mir besuchen, bevor sie solche Plattheiten in die Welt setzt.

Wir sind in der Diskussion glücklicherweise schon weiter. Ich mag nicht mehr bei Null anfangen. Vor allem eben nicht mit solchen pseudowissenschaftlichen Damen. Die gesamte männerdominierte Welt ist sexistisch. Das weiß jede Feministin. Das wissen aber auch inzwischen alle einigermaßen interessierten Menschen. Und? Heißt das, dass wir nicht ins Detail gehen dürfen und schauen, wo sich aktuelle Differenzen in den einzelnen Gesellschaften befinden?

Im Ergebnis haben Sie die Frage mit der "Hürriyet" und Frau Trogisch richtig zusammengestellt. Es ist die selbe Denkstruktur. Diese Leute verstehen schon, was ich sage. Es passt aber nicht in ihr Menschen- und Weltbild. Vor allem nicht in ihre Politik. Wer Frau Marieluise Becks Ideen anhängt, kann meinen Argumenten nicht zugänglich sein. Sie müssten dann nämlich über ihren eigenen Rassismus und Sexismus offen und ehrlich nachdenken.

RL: Frau Ates, Sie sind Rechtsanwältin. Lassen Sie mich daher zum Schluss noch fragen, welche Änderungen des deutschen Rechtssystems, also der Gesetzeslage und der Rechtssprechung, besonders dringlich sind, um Musliminnen - aber auch Nicht-Musliminnen - vor dem islamspezifischen Sexismus und dessen frauenfeindlichen Praktiken besser schützen zu können. Wobei man natürlich davon ausgehen muss, dass grundlegenden sexistischen Haltungen, etwa der Einteilung in Jungfrauen und Huren, juristisch wohl nicht beizukommen ist.

Es ist tatsächlich schwer, sexistische Haltungen durch Gesetze zu verhindern oder sonstwie juristisch dagegen vorzugehen. Aber ich bin nicht der Ansicht, dass es gänzlich unmöglich ist. Zunächst können wir historisch betrachtet wohl sehen, dass gesellschaftliche Prozesse und auch soziales Verhalten zwischen Menschen durch Gesetze veränderbar ist. Nur als kleines aber bedeutendes Beispiel, der alte § 175 StGB, wonach Homosexualität bestraft wurde. Mit der Abschaffung dieses Paragraphen hat der Staat ein Signal gesetzt. Mit der Einführung des Gewaltschutzgesetzes und zuvor mit der Regelung, dass die Vergewaltigung in der Ehe ebenfalls strafbar ist, hat der Staat nicht nur Signale gesetzt, sondern zum Schutz von Opfern einen großen Beitrag geleistet. Nicht anders verhält es sich mit Straftaten, die mehrheitlich im Migrantinnenmilieu realisiert werden, wie z. B. die Zwangsverheiratung. Durch die Einführung eines eigenen Straftatbestandes Zwangsverheiratung wird der Staat ein Signal setzen und einen gesellschaftlichen Prozess in Gang bringen. Es wird, wie mit vielen anderen Themen, ein Unrechtsbewusstsein geweckt werden.

Wir benötigen also unbedingt den eigenen Straftatbesthand Zwangsheirat. Wir benötigen aber auch eine Rechtsprechung, die sich nicht zum Nachteil der Opfer auf die kulturellen Eigenheiten von Minderheiten beruft. Es ist begrüßenswert, dass immer weniger Richter/Richterinnen einer Befreiung z. B. vom Sexualkundeunterricht, Schwimmunterricht oder Klassenfahrten zustimmen. Die Rechtsprechung scheint erkannt zu haben, dass die bisherige Rechtsprechungspraxis Integration eher verhindert hat. Ich hätte keine Probleme damit, wenn der Staat seinen Bildungsauftrag restriktiver durchsetzt und gegebenenfalls gesetzliche Veränderung vornimmt, um eine gleichberechtigte Bildung für alle Menschen in diesem Land unabhängig vom Geschlecht zu gewährleisten.

Ich halte zum Beispiel die elektronische Fußfessel, die sich im übrigen in den USA z. B. sehr gut bewährt, für eine gute Idee, um Frauen vor gewalttätigen Männer zu schützen.

Es müsste geklärt werden, was der "islamspezifische Sexismus" ist. Sicherlich ist nicht alles darunter zu fassen. Denn in vielen Punkten geht es um eine Machokultur oder um patriarchale Strukturen, die Religionen übergreifend existieren.

Wie kann erreicht werden, dass Männer nicht mit einem Bild von Frauen aufwachsen, das sie nur in Huren oder anständige Frauen (u. a. Jungfrauen) zu unterteilen sind, wobei mit Hure stets die Verbindung zur professionellen Prostituierten herstellt wird? Juristisch können wir lediglich auf Instrumente zurückgreifen, die dem Staat erlauben, in die Bildung und Erziehung einzugreifen. Denn der Staat hat neben dem Bildungsauftrag auch einen Erziehungsauftrag. Die Kindergartenpflicht und die frühe Bildung und Erziehung in punkto Gleichberechtigung der Geschlechter würde auch deutschen Kindern sehr gut tun.