Die verschleierte Frau

Heide Oestreich zum Stand der so genannten "Kopftuchdebatte"

Von Astrid LipinskyRSS-Newsfeed neuer Artikel von Astrid Lipinsky

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Was Heide Oestreich noch auf 200 Buchseiten packte, hätte heute allenfalls in einer jederzeit zu ergänzenden Loseblattsammlung Platz: Ein Bundesland nach dem anderen verbietet die Verschleierung von Beamtinnen, von den Schulen schwappt die Diskussion in die Kindergärten, über so genannte "Ehrenmorde" wird breit berichtet, und Alice Schwarzer schreibt zur Frauenfeindlichkeit muslimischer Migranten in Frankreich längst nicht nur in "Emma", sondern auch in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung". Zu einzelnen Kapiteln von Oestreichs Publikation gibt es inzwischen dicke Bücher: Zum "Islamismus" (Oestreichs Kapitel 4 mit 13 Seiten) aus dem Bundesinnenministerium einen gleichnamigen Band (2004 schon in der vierten Auflage; kann kostenlos bestellt werden unter www.bmi.bund.de), zu Oestreichs Kapitel 5 und 6 ("Frauen" und "Mehrheitsgesellschaft" stellt das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend eine dickleibige Studie zur Verfügung: Ursula Boos-Nünning, Yasemin Karakasoglu: Viele Welten leben. Lebenslagen von Mädchen und jungen Frauen mit griechischem, italienischem, jugoslawischem, türkischem und Aussiedlerhintergrund. Waxmann Verlag 2005) und zum Thema "Islam" (Oestreichs Kapitel 1) gibt es den "Europäisch-islamischen Kulturdialog" des Auswärtigen Amtes (Publikation u. a.: Der Westen und die Islamische Welt. ifa, Stuttgart 2004).

Für die Leserin und den Leser bietet Oestreich dennoch über das griffige Format hinaus drei Vorzüge:

Zum einen hat sie die einschlägigen Gerichtsurteile und Gesetzesentwürfe bis zur Drucklegung alle gelesen und fasst sie nutzerInnenfreundlich kurz zusammen. Zum zweiten spitzt sie die Thematik Islam/ Islamismus auf die weibliche Verschleierung zu und zum dritten schreibt sie als Journalistin der (taz) einen gut, ja spannend zu lesenden Stil, der auch das Plakative nicht scheut.

Aber: Für eine reine Dokumentations- und Quellensammlung ist Oestreichs Stil zu tendenziös. Die kritische Leserin, die sich eine Hilfestellung für das eigene Urteil erhofft, ist enttäuscht, dass Oestreich sich jeder abschließenden Bewertung enthält. Dabei hält das Buch still und klammheimlich sein Urteil bereit, und wenn die Leserin darüber stolpert, dann ärgert sie sich. Das fängt beim Titel an: Der so genannte Kopftuchstreit ist eine Auseinandersetzung um unterschiedliche Formen der Verschleierung, die im Extremfall unter das Vermummungsverbot fallen. Dass es hier überhaupt nicht um ein "Tuch" geht, fällt Oestreich auch nach 200 Seiten nicht auf - oder sie merkt es und vermeidet die kritische Diskussion von Benennungen bewusst.

In beiden Fällen ist hier eine Leerstelle, die im Zeitungsartikel verständlich, aber im speziellen (Sach-)Buch nicht nachvollziehbar ist, zumal der Kopftuchbegriff Teil der öffentlichen Diskussion ist (vergleiche beispielsweise die Veranstaltung "Integration gestalten" des Deutschen Frauenrates vom 27.05.2004; Veranstaltungsprotokoll erhältlich unter www.frauenrat.de). Wie Oestreich verniedlichend-locker, ja verharmlosend vom "Tuch", von "Kopftuchfrauen" und einer "Kopftuchdemonstration" schreibt, stößt der LeserIn sich angesichts häufender Berichte über "Ehrenmorde" von Frauen, die es wagten, wie Deutsche - unverschleiert - leben zu wollen, und über zwangsverheiratete Frauen, denen nur in Ausnahmefällen und mit viel Glück die Flucht in eines der Schutzhäuser gelingt, bitter auf.

Die verschleierten Lehrerinnen, auf die sich Oestreich konzentriert, betrachtet sie als harmlos und verschweigt, warum diese Bewertung zunehmend umstritten ist. Die Ehrenmorde unterschätzt sie genauso wie die politische Bedeutung der Verschleierung. Dass der Schleier der Königsweg der "Integration" sein könnte, ist wohl eine verfehlte Hoffnung, wenn nicht für die Frauen, dann umso mehr für Männer, die jede unverschleierte Frau als Hure einstufen und sich eine Kommunikation mit Frauen auf gleicher Augenhöhe generell nicht vorstellen können. Das Thema ist ernst, die (erzwungene) Verschleierung eine Menschenrechtsverletzung. Ob wir für den Schleier sind oder dagegen: Heide Oestreichs "Quadratmeter Islam" nimmt uns nicht ernst. Die Verschleierung auch nicht, und das ist ein Fehler.

Wer aber das Thema diskutieren will, der muss alle ihre Facetten kennen. Diese Informationen finden sich in Oestreichs Buch, für Deutschland, Europa und das islamische Ausland. Die Lektüre wird deshalb empfohlen, und dagegen, dass jede/-r sich dann ein eigenes Urteil bildet, hat Heide Oestreich sicher nichts.


Titelbild

Heide Oestreich: Der Kopftuchstreit. Das Abendland und ein Quadratmeter Islam. 2. Aktualisierte und mit einem Nachtrag versehene Auflage.
Verlag Brandes & Apsel, Frankfurt a. M. 2004.
207 Seiten, 15,90 EUR.
ISBN-10: 3860997866

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