Drei Arten von Mut

Hilde Domin, die 'grand dame' der deutschen Nachkriegsliteratur, ist gestorben

Von Peter MohrRSS-Newsfeed neuer Artikel von Peter Mohr

"Hilde Domins Dichtung ist eine Dichtung, die außerhalb jeder Regel steht. Sie ist anders als Lyrik in deutscher Sprache in unserem Jahrhundert, es ist eine Lyrik, die sich durch enorme Klarheit, enorme Entschiedenheit und enorme Unabhängigkeit bewährt", befand Marcel Reich-Ranicki 1995 in seiner Domin-Laudatio anlässlich der Verleihung des Konrad-Adenauer-Preises.

Hilde Domin, die am 27. Juli 1909 (bis vor wenigen Jahren hatte sie 1912 als Geburtsjahr angegeben) in Köln als Tochter eines jüdischen Rechtsanwaltes geboren wurde, hatte zunächst keine künstlerische Karriere im Sinn. Sie studierte bei Jaspers und Mannheim und promovierte 1935 in Florenz im Fach Staatsrecht. Zu dieser Zeit war sie bereits aus dem nationalsozialistischen Deutschland geflohen und hatte sich mit ihrem späteren Ehemann, dem Kunsthistoriker Erwin Walter Palm, auf eine lange "Exilwanderung" begeben. Über die USA führte sie der Weg in die Dominikanische Republik, wo sie als Deutschlehrerin tätig war. In Anlehnung an ihre Exilheimat (dort entstanden Anfang der 50er Jahre ihre ersten Gedichte) entstand auch das Pseudonym "Domin".

In einem Interview antwortete die Schriftstellerin vor 20 Jahren auf die Frage, wieviel Mut ein Schriftsteller benötigt: "Ein Schriftsteller braucht drei Arten von Mut. Den er selber zu sein. Den Mut, nichts umzulügen, die Dinge beim Namen zu nennen. Und drittens den, an die Anrufbarkeit der anderen zu glauben."

Als Lyrikerin hat die "Spätberufene" stets Mut bewiesen; weder inhaltlich noch formal hat sie Zugeständnisse gemacht, ist keinen künstlerischen Moden und keinen tagespolitischen Ereignissen nachgelaufen. Und doch bezeichnet sich Hilde Domin selbst (zu recht) als "Einmischerin".

Erst 1954 kehrte das Ehepaar Palm zurück nach Deutschland. Nach Erscheinen ihres ersten Gedichtbandes "Nur eine Rose als Stütze" (1959) wuchs das Ansehen der nun schon seit vielen Jahren in Heidelberg ansässigen Autorin rapide. Ihre Gedichte sind von manchmal geradezu schlichtem Vokabular geprägt: völlig unpathetisch, aber zupackend, selten metaphorisch, dafür um so öfter appellativ; kurz - Gedichte, die auch dem nicht-professionellen Leser leicht zugänglich sind. Zuletzt war 1999 ihr Gedichtband "Der Baum blüht trotzdem" erschienen.

Hilde Domin hat zeitlebens an die Kraft, ja geradezu an die Allmacht des Wortes geglaubt. In einem ihrer Gedichte heißt es: "Lieber ein Messer als ein Wort / Ein Messer kann stumpf sein / Ein Messer trifft oft / am Herzen vorbei / Nicht das Wort."

Die herausragende Vertreterin der deutschen Nachkriegslyrik hat sich jedoch nicht nur mit zahlreichen Gedichtbänden und ihrem vielbeachteten Roman "Das zweite Paradies" (1968), sondern auch als Übersetzerin und Essayistin einen Namen gemacht. Unvergessen noch heute: ihr 1968 erschienener Aufsatz ("Wozu Lyrik?"), in dem sie den Gedichten die sicherlich auch ihrer eigenen Biographie geschuldete Funktion zusprach, "die Leute zu retten in den Gezeiten ideologischer Blindheit". Am 22. Februar 2006 ist Hilde Domin, die "grande dame" der deutschen Nachkriegsliteratur, in Heidelberg im Alter von 96 Jahren gestorben.