Learning to fly

Janne Lehtinens Flugversuche in "Sacred Bird"

Von Marion MalinowskiRSS-Newsfeed neuer Artikel von Marion Malinowski

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Tollkühn steht er da auf dem Fünf-Meter-Turm, der junge Mann in der roten Windjacke. Soll sie ihm Auftrieb geben? Nötig wäre es, denn angesichts der filigran-löchrigen Flügelkonstruktion, die er sich auf den Rücken geschnallt hat, scheint die Bruchlandung vorprogrammiert. Und das rettende, nicht vereiste Wasser im Schwimmbecken wird er bei seiner Sprungrichtung ins Leere über den Zaun vermutlich verfehlen.


Auf jedem sorgfältig arrangierten Bild des kleinformatigen, unscheinbar wirkenden Fotobands "Sacred Bird" findet man einen roten Fleck. Es handelt sich um den Fotografen selbst, in abenteuerlicher Position inmitten einer weiten, leeren Landschaft. Karg ist es, blasse Fehlfarben dominieren - und so wird das Rot zum Signal. Sommers wie Winters steht er da, auf einem Hügel, auf der Eisscholle, einem Heuballen... unverdrossen mit immer neuen Fluggerätschaften vom Regenschirm bis zum Fallschirm. Ungerührt nimmt er Anlauf zum Absprung - oder hängt gescheitert in den Ästen einer Kiefer. Für diesen Ikarus bleibt die Sonne unerreichbar, allenfalls Hüpfer sind mit seinen lächerlich anrührenden Flugkörpern denkbar.

Nicht umsonst wurde dieses wunderbare Buch mit dem Deutschen Fotobuchpreis 2005 ausgezeichnet. In einer Zeit, in der jeder mit Hilfe von Google Earth aus dem All virtuell auf die Erde stürzen kann und dabei fest am sicheren Boden bleibt, erteilt der Finne eine Lektion in Utopie und Wagemut. Die Befreiungsversuche von den Widrigkeiten der Physik sind zugleich Befreiungsversuche von der Vernunft. Glaube verleiht Flügel, nur den Gesetzen der Schwerkraft kann man damit nicht wirklich trotzen. Aber mit jedem Bild hebt die Fantasie des Betrachters ab und lernt fliegen: Springt er doch nicht? Ist er unfallversichert? - So fragen wohl skeptisch Veranlagte und identifizieren sofort das aussichtslose Unterfangen eines Bruchpiloten. "Stürzt er ab?", überlegen dagegen optimistischere Naturen und denken vielleicht über Verbesserungen an diesen Flugmaschinen nach. Letztendlich leiden und fliegen alle mit und stellen erleichtert auf jeder neuen Seite fest, dass dieser sympathische Luftikus unversehrt überlebt hat.

Dem Realitätsprinzip beugt er sich deswegen nicht, hält ein Modellflugzeug in die Luft, versucht es mit drei Luftballons oder sticht auf einem Schaukelstuhl in See, den Horizont fest im Blick. Doch die erdenschwere Wirklichkeit entlässt ihn nicht. Dem Mangelwesen Mensch bleiben immerhin todesmutige Flugversuche im Kopf und die Verehrung der Vögel.


Titelbild

Janne Lehtinen: Sacred Bird. Text von Didier Mouchel.
Herausgegeben von Chateau d'Eau.
Hatje Cantz Verlag, Stuttgart 2005.
80 Seiten, 29,80 EUR.
ISBN-10: 3775716815

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