Homo homini lupus

Liza Marklund zeigt ihre Heldin in "Der Rote Wolf" in moralischen Nöten

Von Petra PortoRSS-Newsfeed neuer Artikel von Petra Porto

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Blut hatte er noch nie gut sehen können. Das hatte mit der zähflüssigen Konsistenz zu tun, mit dem warmen Pulsieren. [...] In letzter Zeit hatte der Ekel ihn in seinen Träumen heimgesucht und Formen angenommen, die sich jeglicher Kontrolle entzogen."

Da reist ein Mann nach Jahren des Exils wieder in seine Heimat, nach Luleå in Nordschweden zurück, todkrank, mit einer Tasche voller Geld auf dem Rücken - und mit Träumen von Blut, wann immer er einschläft. Es handelt sich um einen Terroristen, der in den 60er Jahren Mitglied einer maoistischen Splittergruppe war und nun alte Kontakte, Freunde und die ehemalige Geliebte aufsuchen will. Es gilt, noch einiges zu klären und ein paar Rechnungen zu begleichen, bevor er stirbt: "La mort est ici. Der Tod ist hier."

Zur gleichen Zeit ist Annika Bengtzon, Liza Marklunds detektivisch begabte Journalistin, ebenfalls unterwegs nach Luleå. Sie recherchiert einen 30 Jahre zurückliegenden Anschlag auf den dortigen Militärflughafen der schwedischen Luftwaffe. Die Verantwortlichen wurden damals nicht gefasst, die Hintergründe nie gänzlich aufgeklärt. Im unwirtlichen Norden will Annika einen Kollegen treffen, der angeblich neue, exklusive Informationen über die Täter hat - und auch darüber, warum die Behörden seltsam wenig Interesse daran zeigen, Näheres herauszufinden.

Als Annika eintrifft, ist der Kollege allerdings bereits tot. Und was zuerst wie ein Unfall scheint, erweist sich schnell als vorsätzlicher Mord. Ein dreizehnjähriger Jugendlicher, der die Tat beobachtet hat, vertraut sich der Journalistin an, und sie rät ihm, bei der Polizei auszusagen - wenig später wird auch er ermordet. Bengtzon, die sich für den Tod des Jungen verantwortlich fühlt, beginnt, ein wenig tiefer zu graben.

Die Journalistin, immer noch gezeichnet von den Ereignissen aus "Olympisches Feuer", als sie eine Mörderin in einem Tunnel als Geisel hielt, ist dabei nicht in bester Verfassung: Sie leidet unter Panikattacken, hört immer wieder einen Engelschor singen: "Haare wie Regen [...], Lichtgestalt und Sommerwind, es ist nicht schlimm, Kirschenlinde". Bengtzon kämpft mit ihren inneren Dämonen - und mit ihrer Angst.

"Sie ist ein maßloser Mensch", meint ihr Chefredakteur. "Ihr fehlt jeglicher Selbsterhaltungsinstinkt. Sie ist bereit, sich Dingen auszusetzen, auf die normale Menschen nicht einmal im Traum kämen. Weil ihr irgendetwas fehlt. Auf ihrem Lebensweg ist etwas abhanden gekommen, mit der Wurzel ausgerissen worden, und die Narben sind mit den Jahren abgeschliffen worden, sodass sie sich selbst und der Welt gegenüber schonungslos wurde. Erhalten hat sich ihr Gerechtigkeitspathos, die Wahrheit als Leuchtturm in einem Gehirn voller Finsternis."

So weit, so salbungsvoll. Annika scheint gelegentlich überlebensgroß - in der Kritik wird häufiger darüber spekuliert, ob sich Marklund, die früher ebenfalls als Journalistin arbeitete, in ihrer Hauptfigur nicht selbst ein literarisches Denkmal setze. In "Der Rote Wolf" lernt der Leser jedoch auch eine andere, ungleich dunklere Seite der fiktiven Journalistin kennen: Denn auch deren Privatleben, das in diesem Buch unerwartet viel Raum einnimmt, ist alles andere als rosig. Annikas Freundin Anne, gewöhnlich eine zuverlässige Stütze, hat Probleme im Beruf und gibt sich einem Alkoholrausch nach dem anderen hin. Und Annikas Ehemann findet immer mehr Gefallen an seiner hübschen Kollegin, mit der er seine hart arbeitende Frau schlussendlich betrügt. Diese kämpft um ihre Ehe und schreckt dabei auch vor unfairen und moralisch fragwürdigen Methoden nicht zurück. Von Gerechtigkeit und Wahrheit bleibt da nicht mehr viel übrig.

Von der Krimihandlung allerdings auch nicht: Zwischen so viel psychischem Ballast, Freundschaftsdiensten, Ehekrieg, Ärger mit dem Vorgesetzten - der Annika selbstverständlich irgendwann verbietet, den Fall noch weiter zu verfolgen - und der Notwendigkeit, die Pressefreiheit zu verteidigen, verschwindet der Plot beinahe.

Neue Morde geschehen, immer findet sich ein Mao-Zitat am Tatort, was auf ein Mitglied der ehemaligen terroristischen Vereinigung als Täter hindeutet - außerdem stellt sich noch immer die Frage, wer vor 30 Jahren für den Anschlag auf den Kampfjet verantwortlich war. Annika trägt neues Material zusammen, recherchiert und geht Hinweisen nach. Kaum ist ein Rätsel gelöst, drängen sich zehn neue auf. Die Verwicklungen führen dabei bis in die höchsten Kreise der schwedischen Politik.

Am Ende steht die Journalistin - natürlich - dem für die Morde Verantwortlichen allein gegenüber. Wieder singt der Engelschor, Bengtzon muss sich ihrer Angst stellen und sie überwinden, um zu überleben. Ob ihr das gelingt? Selbstredend: "Niemand ist so wie Annika."


Titelbild

Liza Marklund: Der rote Wolf. Roman.
Übersetzt aus dem Schwedischen von Paul Berf.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2004.
448 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3455051596

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