Zweifellos ein streitbarer Geist

Alexander Solschenizyns Erinnerungen an sein Leben im westlichen Exil offenbaren einen unangepassten Charakter

Von Volker StrebelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Volker Strebel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Auch wenn das vorliegende Buch von Alexander Solschenizyns Leben im westlichen Exil erzählt, bleibt die Hintergrundfolie all seiner neuen Erlebnisse, Einschätzungen und Erinnerungen immer das erlittene Unrecht in der Sowjetunion. Den Kampf mit diesem Drachen hatte Solschenizyn auch im westlichen Exil nicht aufgegeben. Insofern zog seine Ausweisung vordergründig lediglich einen geografischen Wechsel nach sich. Doch es sollte anders kommen!

Solschenizyns Erinnerungsbuch beginnt am 13. Februar 1974, als der in Moskau vom KGB verhaftete Solschenizyn in Frankfurt am Main vom deutschen Schriftstellerkollegen Heinrich Böll am Flughafen in Empfang genommen wurde. Die ersten Tage verbrachte er in Bölls Haus in der Eifel. Das Bild der beiden Nobelpreisträger für Literatur während eines Spaziergangs ging seinerzeit um die Welt. Es vermittelte nicht zuletzt den Anschein, dass ein Gespräch unabhängiger Geister zwischen Ost und West möglich sei. Allein: Die nunmehr vorgelegten Erinnerungen an ein Leben im westlichen Exil vermitteln einen anderen Eindruck. Die Hast der überstürzten Ausweisung aus der Sowjetunion setzte sich in den folgen Wochen und Monaten fort. Und in gewisser Weise scheint es, als wäre Solschenizyn im Westen niemals richtig zur Ruhe gekommen. Zum anderen aber blieb er ein Getriebener seiner sich selbst auferlegten Aufgaben, als einer der Überlebenden des GULag Zeugnis abzugeben - auch als russischer Patriot sich der brennenden Frage zu widmen, wie es zur Errichtung dieser gewaltigen Sowjetdiktatur hatte kommen können. Es war keine einfaches Unterfangen, in Zeiten sich abzeichnender politischer Entspannung im Ost-West-Konflikt als antikommunistischer Mahner in Europa zu landen. "Zwischen zwei Mühlsteine" zu geraten war mehr als eine theatralisch angedeutete Alternative.

Überlagert werden diese Kümmernisse mit den Sorgen um sein privates Archiv in Moskau, das er vor dem KGB gerettet wissen will. Dem Westen bescheinigt er eine Ahnungslosigkeit gegenüber sowjetischer Aggression, die sich sowohl gegen die liberalen Demokratien als auch nach innen gegen die eigenen Landsleute richtete. Und zugleich, schwer verständlich für aufgeschlossene westliche Kreise, polemisiert Solschenizyn mit anderen kritischen Stimmen der sowjetischen Dissidenz, wie dem Vertreter liberalen Denkens Andrej Sacharov oder Repräsentanten marxistischer Opposition wie den Zwillingsbrüdern Schores und Roj Medwedjew.

Da sein Temperament ihn auch im Westen nicht verlassen hatte, schlossen sich sogleich neue Herausforderungen an seine mitgebrachten Scharmützel an. Von Beginn seiner Ankunft in Frankfurt an war er westlichen Presseleuten ins Gehege gekommen - zu grundlegend unterschiedlich waren beider Seiten Anliegen. Das bloße Heischen nach Sensationen war dem Streiter gegen eine finstere Macht zuwider. Er hatte das Leben in totaler Ausgeliefertheit und ohne jegliche demokratische Kontrolle zur Genüge kennengelernt. Wer wie Solschenizyn erlebt hat, dass allein das Gespräch zwischen zwei kritisch zur Sowjetmacht eingestellten Menschen unter Bedingungen unablässiger Konspiration stattfinden musste, dem vergeht das Verständnis für kommerziellen Klamauk. Aus Angst vor eingebauten Mikrophonen hatten kritische Sätze auf Papierschnitzel geschrieben und anschließend im Aschenbecher verbrannt werden müssen.

Mit anderen Worten - Solschenizyn war im Westen auf einem fremden Stern gelandet. Eindrucksvoll sind die Beschreibungen seiner Eindrücke in der Neuen Welt, die Hintergründe und das Zustandekommen des Kaufs einer Behausung samt Grundstück im amerikanischen Exil. Zugleich finden sich Einblicke in Solschenizyns Familienleben, aber auch in verschiedene Reisen. Von den bedeutendsten Universitäten erhält Solschenizyn Einladungen, um seine Einschätzungen vorzutragen. Äußerst skeptisch beobachtet Solschenizyn den geistigen Ausverkauf des Westens als eine "Welt der Juristerei und des Kommerz". Ärgerlich und kräfteraubend gestalten sich Ränke dilettantischer Rechtsanwälte aber auch fesselnder Verpflichtungen und Abhängigkeiten. Bösartige Kampagnen inklusive Fälschungen, lanciert vom KGB, sind dem russischen Schriftsteller vertraut - aber nicht dem demokratischen Publikum im Westen. Missverständnisse stellen sich ein.

20 Jahre sollte Solschenizyns Exil währen, bis er 1994 nach Russland zurückkehren konnte. Ob er dort genügend Verständige gefunden hat, welche "die ganze Tiefe des russischen Schmerzes, unserer Erniedrigung, unserer Verkümmerung, die Sehnsucht nach einer seelischen Gesundung des Volkes" verstanden haben? Es scheint, als ob Solschenizyn ein unbeirrbarer Einzelkämpfer geblieben ist. Provokant und streitlustig - und zugleich erfüllt voll stiller Trauer.


Titelbild

Alexander Solschenizyn: Zwischen zwei Mühlsteinen. Mein Leben im Exil.
Übersetzt aus dem Russischen von Fedor B. Poljakov.
Herbig Verlag, München 2005.
429 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3776624507

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