Der Mensch als Maschine

Genderorientierte Lektüren des Androiden

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Textmaschinenkörper" - ein Neologismus und zugleich der Titel eines von Eva Kormann, Anke Gilleir und Angelika Schlimmer herausgegebenen Sammelbands zu genderorientierten Lektüren des Androiden. Wie die Herausgeberinnen erläutern, gründet die Wortschöpfung auf den drei Lexemen Textmaschine, Maschinenkörper und Textkörper, die jeweils das Sprachliche, das Mechanische oder das Leibliche hervorheben, ohne dass das "semantische Feld" des Neologismus in der Gesamtheit dieser "Teilbedeutungen" aufgehen würde.

Die Beiträge des Bands gehen auf eine Tagung des Vereins "Frauen in der Literaturwissenschaft" (FrideL) zurück, eines internationalen Netzwerks von Germanistinnen, deren Zielsetzung in der Förderung einer genderorientierten Literaturwissenschaft besteht. Das vorliegende Buch soll nun zeigen, dass deren "Untersuchungen, Fragestellungen und Lektüren im Zentrum der gegenwärtigen kultur- und literaturwissenschaftlichen Debatte" stehen und zu "notwendigen Antworten auf hochaktuelle Fragen" führen. Ein Unterfangen, das ohne Abstriche als gelungen betrachtet werden darf, wenn auch nicht alle Aufsätze in jedem einzelnen Punkt zu überzeugen vermögen.

Die AutorInnen befassen sich nicht nur mit Texten im engeren Sinn, sondern lesen auch Filme oder PC-Spiele als solche. Ebenso zielt die Bezeichnung "Textmaschinenkörper" nicht nur auf Androiden, also auf Roboter in Menschengestalt oder, wie es im Vorwort heißt, "maschinelle Kunstmenschen", sondern auf den "künstlichen Menschen im Allgemeinen". Dies, so erläutern die Herausgeberinnen, entspreche der Etymologie des Wortes, da das griechische "android" ein "Geschöpf" bezeichne, das "menschenähnlich" ist. Erörtert werden literatur- und kulturwissenschaftliche Fragen ebenso wie ästhetische. Entsprechend breit gefächert ist das Themenspektrum, das von der "Konzeption des künstlichen Menschen im Mittelalter" (Jutta Eming) über Erörterungen zur Autobiografie der Puppen'mutter' Käthe Kruse (Gudrun Wedel) bis zur Borg Queen im Star Trek Universum (Florentine Strelcyck) reicht. Dazwischen beleuchtet Marianne Vogel "die Wachspuppe in der Wirklichkeit und in der Imagination in Romantik und Moderne" und Frank Degler spielt "das Spiel mit den digitalen Körpern".

Tanja Nusser wiederum stellt "Überlegungen zu kulturellen Darstellungen biomedizinischer und kybernetischer Reproduktion" an und weist überzeugend nach, dass "der scheinbar postmoderne Diskurs" der neuen Reproduktionstechnologien zumindest objektiv an aktuellen Versuchen teilhat, die "drohende Auflösung von biologischen Verwandtschaftsbeziehungen und der Kleinfamilie" an ein "narratives Gerüst" zurückzubinden, in dem wieder "nur dichotom" argumentiert werden könne. Damit, so Nusser, werde im Diskurs der "Cyborg-Kids" die "unterschlagene binäre Logik des Codes als Zeichen" reanimiert, wenn auch "auf verschobener Ebene".

Eva Kormanns Interesse gilt dem "Schrecken der Autonomie", den die Schöpfer künstlicher Menschen in der modernen Prometheus-Literatur evozieren. Die in Mary Shelleys "Frankenstein", in Villiers de L'Isle-Adams "Ève future" oder in E.T.A. Hoffmanns "Sandmann" auftretenden "fiktiven Schöpfer künstlichen Lebens", lautet ihre These, trieben die Vorstellung von der Autonomie des Individuums "auf die Spitze".

Neben Kormann widmet sich mit Carola Hilmes noch eine zweite Autorin der von Villiers de L'Isle-Adams geschaffenen zukünftigen Eva. Unter Rückgriff auf ein Kapitel ihres jüngst erschienenen Buches "Skandalgeschichten" stellt sie Angela Carters "Neue Eva" neben die titelstiftende Figur in Villiers Roman. Habe Villier in seinem 1886 erschienen Roman "eine Vision vom Menschen im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit" entworfen, so akzentuiere Carters Werk "The Passions of the New Eve" aus dem Jahre 1977 den "Gender Trouble, die Allgegenwart der Bilder und die ihnen eingeschriebene Vieldeutigkeit".

Elke Brüns hält die Science Fiction entgegen ihrer "avantgardistisch-futuristischen Thematik" für ein "konservatives Genre" und versucht ihre These am Beispiel der Matrix-Trilogie zu erhärten. Wie überzeugend ihre Beweisführung auch immer ausfallen mag, so lässt sich von nur einem Beispiel doch schwerlich auf ein ganzes Genre schließen. Dies umso mehr, als sich ohne weiteres etliche Gegenbeispiele anführen ließen. Man denke nur an die seit Butlers wegweisendem Buch "Gender Trouble" erschienenen Sci-Fi-Romane aus den Federn feministischer Autorinnen, wie etwa Margaret Adwoods "Oryx and Crake", Carolyn Ives Gilmans "Halfway Human", Gwyneth Jones' "Life", Tricia Sullivans "Maul" und - last but not least - Marge Piercys "He, She and It". Sicher könnte man sich darauf einigen, dass zumindest das Subgenre feministischer Sci-Fi durchaus nicht konservativ ist.


Titelbild

Eva Kormann / Schlimmer Gilleir / Angelika Schlimmer (Hg.): Textmaschinenkörper. Genderorientierte Lektüren des Androiden.
Rodopi Verlag, Amsterdam 2006.
253 Seiten, 55,00 EUR.
ISBN-13: 9789042017788

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