Schokolade und Amphetamine

David Sedaris' "Gute Nackt-Geschichten"

Von Sabine KlomfaßRSS-Newsfeed neuer Artikel von Sabine Klomfaß

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Amüsant - das ist wohl eine sehr treffende Bezeichnung, wenn David Sedaris von dem kleinen wunderlichen Jungen erzählt, der er selber war. Abgesehen von seinem Zwang, Treppenstufen zu küssen, die Mikrowelle abzuschlecken oder mit dem Ellenbogen Gegenstände immer dreimal berühren zu müssen, entwickelt sich Klein-David in seiner liebevollen, aber auch skurrilen Familie eigentlich ganz prächtig. Er weiß genau, was er will: Werbe-Jingles singen. Und was er nicht will: mit seiner Familie Hausmusik machen. David beginnt, die Welt in Besitz zu nehmen und dabei lässt er sich von niemandem aufhalten. Denn: "Als Kind nährte ich stets den heimlichen Verdacht, ich sei ein Genie. Die These stammte von mir allein und wurde durch niemanden unterstützt, aber was machte das schon? Mißverstanden zu werden gehörte dazu."

Als er alt genug ist, kriegt er zu Ostern keine Schokolade mehr, sondern eine Stange Marlboros. Das ist Davids Einstieg in das Erwachsenwerden und die Faszination der Drogen. Bald erfindet sich David als Künstler neu. Dabei geht es ihm nicht um ein traditionelles "Kunstwerk", sondern vielmehr um das Sein des Künstlers, das unkonventionell, radikal und sinnfrei zu sein hat.

Für David zählt nur die Darstellung seiner selbst, und diese gelingt ihm so charmant, dass man ihm letztlich nicht böse sein kann. Die Drogen werden härter, seine Ideen kurioser: "Ich trage mich mit dem Gedanken, mein Gehirn in einzelne Parzellen zu zerlegen." Und er fügt erklärend hinzu: "Nicht, dass ich mir irgendwas wegoperieren lassen möchte, ich will es bloß in einzelne Grundstücke aufteilen und sie vermieten, damit die Leute sagen können: 'Ich habe ein Haus in Raleigh, ein Wochenendehaus am Myrtle Beach und mein verschwiegenes Plätzchen im Kopf eines Visionärs.'"

Die eigentliche Stärke des Erzählers Sedaris liegt darin, die Absurdität bestimmter Situationen mit vermeintlich sachlichen Argumenten erklären zu können. Aber es bleibt immer eine Lücke - offen für die Leser, aber scheinbar unbemerkt für David, der für seine "Zeitgenossen" sicherlich oft eher anstrengend war, wenn sogar seine "Dealerin" sich ihn vom Halse schaffen versucht: "In der Hoffnung, mich loszuwerden, brachte meine Dealerin mich mit einer Handvoll hyperaktiver Schizos in Kontakt, die meine Vorlieben für Amphetamine und das Wort Manifest teilten."

Der bei Zweitausendeins erschienene Doppelpack "Gute Nackt-Geschichten" beinhaltet die beiden Bücher "Naked" und "Ich ein Tag sprechen hübsch", übersetzt von Georg Dedderich und Harry Rowohlt. Die beiden Bücher erzählen die Geschichte von David, sie gehören also zusammen. Beide beginnen in Davids Kindheit, aber der zweite Band geht weiter: Man lernt auch einen erwachsenen David kennen, der verantwortungsbewusst und zielstrebig ist. Seinen trockenen Humor, seine leise Ironie hat er zwar behalten, aber "bürgerlich" ist er schon irgendwie geworden. Das kommt halt mit dem Alter...


Titelbild

David Sedaris: Gute Nackt-Geschichten. Zwei Romane.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Harry Rowohlt.
Zweitausendeins, Frankfurt a. M. 2005.
672 Seiten, 14,95 EUR.
ISBN-10: 3861505606

Weitere Rezensionen und Informationen zum Buch