Mehr Mut, bitte

Mareile Ahrndts "Sati Springinsfeld" hätte es werden können

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Das deutsche Kinderbuch steckt in einer Krise. Ausnahmsweise mal keine finanzielle, da steht alles zum besten. Die Krise ist eine ästhetische. Jedenfalls, wenn man Dr. Otto Brunken glauben will. Und das kann man guten Gewissens tun: Brunken ist Vorsitzender der Kritikerjury des Deutschen Jugendliteraturpreises. Er ist ein glatzköpfiger Mann mit gewitzten Augen, der auf der Leipiziger Buchmesse eine flammende Rede gehalten hat. Was hat er nicht alles dem deutschen Kinder- und Jugendbuch vorgeworfen: Zu glatt. Zu konstruiert. Nicht innovativ. Die Erzählmuster zu herkömmlich. Die jungen Autoren einfach nicht gut genug. Den Generationenwechsel verpasst. Die Verlage zu mainstreamig, zu sehr auf Sicherheit bedacht. "Der Deutsche Jugendliteraturpreis kann diese Entwicklungen nur spiegeln. Er war und ist, wie die AKJ-Vorsitzende Dr. Hannelore Daubert es ausgedrückt hat, "ein unabhängiges Gütesiegel für qualitätsvolle Kinder- und Jugendliteratur" - und soll dies auch bleiben. Kompromisse hinsichtlich der künstlerischen und literarischen Qualität der auszuzeichnenden Bücher kann und darf es daher nicht geben". So also sprach Dr. Otto Brunken.

Das bedeutet vieles, und es hat auch ein bisschen etwas mit "Sati Springinsfeld" zu tun. Das Buch war, nach Verlagsdarstellung, im Gespräch für eine Nominierung. Dr. Otto Brunken erklärte auf Anfrage, er könne sich nicht daran erinnern, dass "Sati Springinsfeld" in die nähere Auswahl gekommen wäre.

In der Sparte Kinderbuch wurden dann fünf statt der möglichen sechs Bücher nominiert, allesamt Übersetzungen.

So oder so, gerechtfertigt oder nicht: Das tut weh. Es tut einem jungen Verlag wie Autumnus weh, der erst noch bekannt werden muss, sich erst noch etablieren will. Das tut auch einer jungen Generation von Kinderbuchautoren wie eben Mareile Ahrndt weh, deren Kinderbuchdebüt "Sati Springinsfeld" ist. Natürlich sind solche Emphatien kein Argument dafür, Qualitätsstandards zu lockern.

"Sati Springinsfeld" ist in vielerlei Hinsicht syptomatisch für das, was auf dem aktuellen Kinderbuchmarkt zu bekommen ist. Auf eine andere Art ist es auch ein Buch, das in seiner Thematik, in seinem Setting, in der Art, wie Wirklichkeit und Märchen verzahnt werden, eine Ausnahme darstellt.

Sati lebt mit ihrer Großmutter friedlich in einem Schleusenhaus, füttert manchmal Fische und stört sich auch nicht daran, wenn sie plötzlich entdeckt, dass sie weiter springen kann als jemals vorher. Sie trägt mit Vorliebe Gummistiefel. Die sind hilfreich, als eines Tages ihr gewohnte Leben aus den Fugen gerät. Es beginnt damit, dass ein ohmächtiger Junge in einem Ruderboot am Schleusenhaus vorbeitreibt. Das Ruderboot trägt den Namen "Lomen", ein Name, den Satis Großmutter immer mit größter Angst ausspricht. Der Junge heißt Mons und ist so etwas wie ein Hirte für Fliegende Fische. Lomen plant, das Schleusenhaus zu übernehmen, erzählt Mons. Lomen hat das Problem, Burgherr zu sein, aber sein Burggraben führt kein Wasser. Wenn er das Schleusenhaus bekommt, kann er seinen Burggraben fluten und sich mehr wie ein richtiger Burgherr vorkommen. Das müssen Sati und Mons verhindern: Sati, weil sie sich ein Schleusenhaus ohne Wasser nicht vorstellen kann, und Mons, weil ohne Wasser die fliegenden Fische nicht überleben können. Um Besitzer des Schleusenhauses zu werden, muss Lomen nur einen Antrag beim zuständigen Amt für Häuser und Schleusenhäuser stellen, dass alle 200 Jahre einen Tag lang geöffnet ist. Es beginnt ein spannendes Rennen um den ersten Platz in der Warteschlange vor dem Amt, das Sati knapp gewinnt.

Damit ist "Sati Springinsfeld" in einer Welt zwischen Fiktion und Realität angesiedelt. Sati, ein ganz normales Mädchen, das gerne Gummistiefel trägt, ist eine sympathische Identifikationsfigur. Satis Welt ist eine, die in großen Teilen nach einer Märchenlogik funktioniert, in die aber ständig die reale Welt einbricht, eine Welt, in der misslungene Burgherren mit Warteschlangen und Ämtern zu kämpfen haben.

Damit ist das Buch auch in einer Zwischenwelt klassicher Kinderbuchthemen angesiedelt. Zum einen bedient es sich am schon lange andauernden Trend zu Fantasy-Stoffen, in denen heldenhafte Protagonisten gegen bösartige Bedrohungen kämpfen müssen. Zum anderen thematisiert es die Lebenswirklichkeit von Kindern, oder besser: lässt diese Lebenswirklichkeit ständig einbrechen. Sati ist kein Übermädchen, Mons kann eben nicht ununterbrochen rudern, und bevor die beiden sich in ihr Abenteuer begeben, füttert Sati nochmal die Fische.

Die Idee, die das ganze Buch trägt, nämlich ein recht normales Mädchen in eine Märchenwelt zu versetzen, die ein kleines Stückchen nur missglückt ist, die keine richtige Märchenwelt ist, in der es Burgherren ohne Burggraben und motzige Amtmänner gibt, ist eine sehr gute Idee. In gewisser Weise ist es ein Märchen, das weiterentwickelt ist, ein Märchen, in dem tatsächlich alles passieren kann.

Lebenswirklichkeit und Fantasy zu verzahnen ist nicht neu, aber die Autorin tut das auf eine sehr charmante, sehr subtile Weise, ohne große pädagogische Keulen rauszuholen. Es ist angenehm zu lesen, ohne ständig mit einem Zeigefinger geprügelt zu werden, der bedrohlich aus den Seiten herausragt. Ein gutes Buch eigentlich.

Wäre da nicht dieses leichte Zittern der Autorin. Die Ideen werden nicht konsequent bis zum Ende ausformuliert, sondern nur angedeutet und verlieren dadurch viel von ihrem Charme. Die Geschichte wird nicht aufgelöst, sondern einem Ende zugeführt. Gerne hätte man noch mehr über Mons erfahren, Satis Großmutter ein wenig detaillierter gezeichnet gesehen, Lomen und seine Burg ausformulierter beschrieben.

Das ist wirklich schade. Mit nur ein bisschen mehr Mut der Autorin, mit nur ein bisschen mehr Aufmerksamkeit zum Detail wäre "Sati Springinsfeld" geeignet, um wenigstens als löbliche Ausnahme der von Brunk attestierten ästhetischen Krise zu gelten. So aber wird alles beim Alten bleiben. Was es schon lange genug war. Deshalb: Kinderbuchautoren, habt noch mehr Mut! Bitte.


Titelbild

Mareile Ahrndt: Sati Springinsfeld.
Autumnus Verlag, Berlin 2005.
112 Seiten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 3938531029

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