Austausch mit Absicht

Ein Sammelband beschäftigt sich mit den Bedingungen und Möglichkeiten der europäischen Gelehrtenrepublik im 18. Jahrhundert

Von Nikolas ImmerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Nikolas Immer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine Republik von Gelehrten ohne Kommunikation ist undenkbar. Kommt die Ideenzirkulation einmal in Gang, dann lässt sich der Wissenstransfer auf verschiedenen Ebenen beobachten. Der vorliegende Sammelband, der die Gelehrtenrepublik als "europäische Realität" in der "Epoche von Leibniz und Lessing" in den Blick nimmt, beschäftigt sich sowohl mit kommunikativen Praktiken und medialen Vermittlungsformen als auch mit institutionellen Milieus und personalen Beziehungsgeflechten des gelehrten Austauschs. Zugleich ist der Sammelband Dokumentation einer Tagung, die im Oktober 2002 in Wolfenbüttel stattfand.

Als grundsätzlich kluge Idee erweist es sich, ein Bild von Leibniz auf den Umschlag gebracht zu haben. Denn zum einen gilt Leibniz vor allem auch aufgrund seiner vielfältigen Korrespondenzen als einer der zentralen Motoren der Gelehrtenrepublik. Zum anderen kann er als idealtypische Personifizierung eines universalen Gelehrtentums gesehen werden - beispielsweise meinte Friedrich der Große einmal, Leibniz allein hätte eine Akademie repräsentieren können.

Im Universalgelehrtentum werden Erkenntnisse aus unterschiedlichsten Wissensgebieten vereinigt. Damit entsteht ein breites Spektrum an Wissen, das auch die Autoren des Sammelbandes in viele Richtungen ausschreiten. Obgleich in vier Abschnitte sektioniert, wird z. B. ein Beitrag über den "Fall Pitaval" von Überlegungen zu "Kanon und Kritik" am Beispiel der "Moralischen Wochenschriften" einerseits und dem Gelehrsamkeitskonzept von Christian Thomasius andererseits flankiert. Auf diese Weise bleibt der Eindruck von Heterogenität zurück, jedoch betont der Herausgeber in seiner "Einleitung" ausdrücklich, dass es dem Band gerade "vielfach" nur um "die Arbeit des Vorzeichnens" gehe.

Die "Welt intellektuellen Engagements", die den Untersuchungsgegenstand bildet, wird in vier Abschnitte gegliedert: in "Milieus", "Praktiken", "Begegnungen" und "Medien". Orte solchen Engagements sind sowohl Akademien als auch freie Vereinigungen, die oftmals auf soziale oder öknomische Verbesserungen konkreter Arbeitsverhältnisse zielen. Die Frage nach den "Milieus" des intellektuellen Austauschs ist zugleich dafür prädestiniert, mehrere europäische Perspektiven einzunehmen.

Den Anfang macht die Synthesefigur des schottischen Universitätsprofessors, der Philosophie und politische Kultur zusammenführt und von dem aus sich der Blick auf die schottische Club-Kultur erweitert. Die zwei folgenden Beiträge sind stärker auf spezifische Personen ausgerichtet: zum einen auf die Familie Beausobre als französisch-deutsche Kulturvermittler, zum anderen auf Johann Albrecht Euler als impulsgebenden Kommunikator in St. Petersburg. Schließlich kommen auch spanische Akademieprojekte zur Sprache, die jedoch aufgrund der Dominanz der dortigen Ordenslandschaft weitgehend unverwirklicht blieben.

Im zweiten Abschnitt stehen die "Praktiken" des gelehrten Austauschs im Vordergrund, die insbesondere Dynamisierungen und Positionierungen im Spannungsfeld von Tradition und Neuerung behandeln. Ausgehend von den "Moralischen Wochenschriften" mit ihrer "Arbeit am Wissen" wird der Focus - wie bereits oben angedeutet - auf die Wissensarbeit François Gayot de Pitavals und seine "Causes célèbres" sowie auf die Pragmatisierung der akademischen Gelehrsamkeit bei Christian Thomasius gelenkt. Zentrale Neuerung ist die ethische Ausrichtung der Gelehrsamkeit, die ihrerseits einen Anknüpfungspunkt für eine Untersuchung zum Phänomen der Neuheit in akademischen Kontexten bildet.

Da alle Neuerung zur Stellungnahme herausfordert, schließen Beiträge zu ausgewählten "Begegnungen" als dritter Abschnitt an. An erster Stelle steht hier die Reiseliteratur, wobei anhand des Reisejournals von Gottlieb Stolle "symbolische Praktiken" des täglichen Umgangs analysiert oder anhand der Veröffentlichungen des vielgereisten Fürsten Charles Joseph de Ligne nationale Typisierungen behandelt werden. Daneben wird die Aufmerksamkeit aber auch von Beispielen beansprucht, in denen die Gelehrtenrepublik als Abgrenzungsargument - wie im Falle eines Schuldspruchs der Berliner Akademie von 1752 - oder als Machtinstanz - wie im Falle der Verbrennung religionskritischer Bücher 1746 in Den Haag - auftaucht.

Schließlich kommt auch den "Medien" und den Formen ihrer Umgestaltung ein wichtiger Stellenwert im Rahmen der kommunikativen Praxis zu. Fußend auf einer Analyse der "Göttingischen gelehrten Anzeigen" wird die Wissenskultur der Bibliothek Göttingen untersucht und im folgenden Beitrag auf die "Bibliothekswelten" von Leibniz und seinem Briefpartner Jean-Paul Bignon ausgeweitet. Daneben werden die Funktionen der Rezensionszeitschriften und der Einfluß der Disputation in der "universitäts- und schulhistorischen Kommunikationskultur" näher betrachtet. Der abschließende Beitrag führt in einem Vergleich den differierenden Umgang mit Öffentlichkeit und mit spezifischen Korrespondenten bei Leibniz und Lessing vor.

Unter den vier genannten Forschungsperspektiven steckt der Sammelband ein weites Feld dessen ab, was sich im 17. und 18. Jahrhundert unter dem Oberbegriff "Kommunikationskultur" subsumieren lässt. Doch obgleich die Beiträge durchaus "Schlaglichter auf eine Welt europäischer Kontakte" werfen, wäre eine Bündelung der teils isolierten Facetten sinnvoll gewesen. Zwar sind die Beiträge im einzelnen vielfach anregend und interessant, echte Verbindungen ergeben sich zwischen ihnen aber nur in wenigen Fällen. Letztlich bleibt die Bemerkung des Herausgebers, daß die vier Forschungshinsichten "auch für unsere Welt des Wissens und der Gelehrsamkeit Bedeutung besitzen", zu unbestimmt. Denn inwiefern diese Aspekte tatsächlich solche moderne Bedeutung entfalten bzw. bereits entfaltet haben, bleibt sein Geheimnis und damit eine Frage, die einer anderen Tagung vorbehalten ist.


Titelbild

Ulrich Johannes Schneider (Hg.): Kultur der Kommunikation. Die europäische Gelehrtenrepublik im Zeitalter von Leibniz und Lessing.
Harrassowitz Verlag, Wiesbaden 2005.
364 Seiten, 88,00 EUR.
ISBN-10: 344705302X

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