Weltverbesserer und Geistesarbeiter

Frank Almai spürt dem Expressionismus in Dresden nach

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wiederholt sind die Zentren der literarischen Moderne beleuchtet worden. So tappt man schon lange nicht mehr halb blind in ihnen herum. Doch bis in den letzten Winkel hinein ausgeleuchtet sind sie darum noch lange nicht. Weitaus düsterer ist es aber um die Moderne in der Provinz bestellt. Kaum einmal, dass sich jemand mit der Fackel wissenschaftlicher Forschung hinaus aus den Kunst- und Boheme-Metropolen München, Wien und Berlin und hinein in die unwegsamen, weil unkartierten Territorien abgelegener Provinzstädte wie Jena oder Dresden gewagt hätte.

Immerhin, in Jena trieb unlängst Meike G. Werner ihr erhellendes Wesen. (Vgl. literaturkritik.de 08/2003) Dresden allerdings blieb auch weiterhin ein - nun ja, nicht gerade dunkler Kontinent, aber doch ein recht spärlich beleuchtet Fleck auf der literaturwissenschaftlichen Landkarte der Moderne-Forschung. Das gilt in vielleicht noch stärkerem Maße für die Expressionismus-Forschung.

Freilich blieb das moderne Dresden in manchen Aufsätzen zu Moderne und Expressionismus nicht ganz ausgespart. So ging etwa Christine Kanz in ihren Arbeit "Geschlecht und Psyche in der Zeit des Expressionismus" auch auf die "Expressionistische Arbeitsgemeinschaft Dresden" und die Lyrikerin Bess Brenck Kalischer ein. Eine grundlegende Monografie zum Dresdner Expressionismus stand allerdings bislang noch aus.

Das hat sich nun geändert. Frank Almai hat die erste umfassende Arbeit zum Expressionismus in Dresden vorgelegt, eine detailreiche und fast schon akribisch zu nennende Untersuchung (mit beeindruckendem Literaturverzeichnis), die allerdings in einem auch für einen wissenschaftlichen Text ausgesprochen trockenen und somit nicht eben lesefreundlichen Duktus gehalten ist. Absicht des Autors ist es, mit seiner "monographische[n] Darstellung des Expressionismus in Dresden" einen "Beitrag zur Regionalisierungsgeschichte der Moderne" zu leisten. Ein nicht eben prätentiöses Vorhaben, das dafür aber umso gründlicher umgesetzt wird.

Methodisch "fühlt" sich der Autor einem kommunikativ-sozialgeschichtlichen Ansatz "verpflichtet". So zielt Almais Arbeit denn auch auf die "Rekonstruktion sozialer und kultureller Handlungszusammenhänge und Beziehungsnetze". Dementsprechend spielen literarästhetische Erwägungen und kunst- bzw. literaturtheoretische Fragen in der Untersuchung - wie wohl auch für die Dresdner Linksexpressionisten selbst - nur eine nachgeordnete Rolle. Mehr Interesse bringt der Autor da schon für die "ökonomische Praxis der Dresdner Avantgarde" auf. Deren Spezifikum eröffne die Möglichkeit, "Probleme der Topologie" der expressionistischen "Bewegung" zu beleuchten. Zwar erklärt Almai, der Begriff der "Bewegung" dürfe nicht zu einer "Entität" erhoben werden. Dennoch zieht er ihn dem der "Epoche" vor, und das nicht zuletzt aus pragmatischen Gründen. Denn anders als der Begriff der Epoche verweise der "Bewegungsbegriff" auf einen "mehr zeit- und ortsbezogenen prozessualen Ablauf".

Nach einem einleitenden Überblick über das kulturelle Leben der Residenzstadt um 1900 konzentriert sich Almai im Wesentlichen auf das "expressionistische Jahrzehnt" zwischen 1910 und 1920. Neben dem Zeitungsfeuilleton "im Dienste der Avantgarde" und der Mäzenatin Ida Bienert gilt sein Interesse vor allem expressionistischen Vereinigungen wie etwa dem "Kreis um die weiße Chrysantheme", dem "Komet-Kreis" und insbesondere der bereits erwähnten "Expressionistische[n] Arbeitsgemeinschaft Dresden", zu deren Mitgliedern nicht nur einheimische KünsterInnen zählten, sondern etwa auch der Berliner Dadaist Raoul Hausmann. "Unsere Bestimmung ist, die Welt nach unserer Überzeugung zu ändern", lautete der "programmatische Leitsatz" der 1917 gegründeten Vereinigung, durch den sich Almai durchaus nachvollziehbar an "die berühmte elfte Feuerbachthese von Karl Marx" erinnert fühlt.

Schwingt in der Namensgebung "Arbeitsgemeinschaft" bereits eine gewisse linkssozialistische Konnotation mit, so schlossen sich einige Dresdner "Linksexpressionisten" Ende 1918 ausdrücklich zur "Sozialistischen Gruppe der Geistesarbeiter" zusammen - und übernahmen somit eine ebenso typische wie unschöne Selbstbezeichnung marxistischer und bolschewistischer Intellektueller. Doch nicht nur den Begriff des "Geistesarbeiters" übernahmen sie, sondern auch - wie Almai sagt, "zumindest temporär" - die Ideologie des Kommunismus bis hin zur "Befürwortung der 'Diktatur des Proletariats'".

Raoul Hausmann, der Berliner Dada-Dichter, war durchaus nicht der einzige Auswärtige im Dresdner Expressionismus, überhaupt handelte es sich bei den "meisten der Wortführer und Gründungsmitglieder, Verleger und Zeitschriftenredakteure, Dramaturgen und Theaterregisseure" um "Zugereiste". Hierin sieht Almai einen der Gründe für die "relativ späte Formulierung einer größeren in sich geschlossenen expressionistischen Bewegung" in der Elbestadt. Für die Entwicklung entscheidender sei jedoch der "Einfluß einer sich sukzessive verändernden Mentalität jener Kreise des städtischen Bildungsbürgertums" gewesen, "die sich bislang ablehnend oder reserviert gegenüber den neuen, alternativen Gesellschafs- und Kunstkonzepten verhielt".

Neben den Künstlerbünden und -gemeinschaften gilt Almais Untersuchung nicht zuletzt Verlagskonzepten und Verlegerprofilen. Dabei fallen einige heute nur noch wenig bekannte Namen. So sind etwa Jakob Hegner, Heinar Schilling und Hugo Zehder eigene kleinere Abschnitte gewidmet. Nach einem Blick auf die "überregionalen Wirkungsräume" des Dresdner Expressionismus gilt Almais abschließendes Kapitel deren Stellung im kulturellen Leben der Stadt in den 1920er Jahren.


Titelbild

Frank Almai: Expressionismus in Dresden. Zentrenbildung der literarischen Avantgarde zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Deutschland.
Thelem Universitätsverlag, Dresden 2005.
513 Seiten, 40,00 EUR.
ISBN-10: 3935712200

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