Poesie aus Einsen und Nullen

"Komm, lass unsere Haut Helium spalten" - Elektronische Hörspiellesung von softwareherz

Von Jan FischerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Jan Fischer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Liebe ist, den Egoshooter des anderen ertragen zu können".Wäre das Hörspiel ein anderes, wäre dieser Satz unmöglich. "Ich nehme gefährliche Planeten 1000 und kaufe ein L." Es handelt von Liebe, von einer Frau, die mit ihrem Leben nicht zurechtkommt. "Ich weiß nicht, ob ich verliebt bin. Nein, nicht so wie früher. So verliebe ich mich nicht mehr".

Die Heldin ist Raumfahrerin - soviel erfährt man, und selbstverständlich ist das nichts als eine Metapher. Ein Menschen-Raumschiff, dass sich durch Netzwerke kämpfen muss, die ja nun einmal das Leben, die Beziehungen zu anderen Menschen ausmachen. "Ich verstehe nicht, weshalb diese ganzen female subjects sich die Titten vergrößern lassen, oder die Schenkel absaugen. My favourite in plastic surgery would be: Elfenohren. Und Fell natürlich."

Die Raumfahrerin ist in dieser Welt zuhause. So sehr zuhause, dass sie nicht bemerkt, wie sehr sie ein Kind ihrer Zeit ist. Dass ihre ganze Desorientierung nicht aus ihr kommt, sondern aus der desorientieren Welt, die sie umgibt. Der Rest erschließt sich nicht so ganz. Oder doch: Intuitiv. Es ist nicht so, als hätte man eine Geschichte vor sich, im Sinne einer linear oder zersplittert erzählten Handlung. Als würde überhaupt etwas erzählt werden, außer von geistigen Zuständen, von Desorientierung in einer völlig zerfahrenen Pop-Welt. Und genau darum geht es eigentlich: Liebe in den Zeiten von Copy & Paste, Gefühle in einer Welt absoluter Beliebigkeit und Unterkühlung.

Form follows function: Wer vom Zersplittern erzählen will, muss das in Splittern tun. Es ist schwer zu sagen, ob die Raumfahrerin zerfällt oder sich zusammensetzt. Wahrscheinlich tut sie keines von beidem. Immer wieder kreist sie um ihre Probleme, und trotz allen zersplitterns macht die Motivik Sinn. Immer wieder werden Weltraum-Metaphern gefunden, immer wieder die Sonne, die Planeten, Galaxien, und "das Licht mit dem sie spricht ist Milliarden Jahre alt". Der Weltraum ist das Kalte, Unbekannte, genau wie die Welt der Raumfahrerin, genau wie die Liebe, die sie nicht mehr finden kann, ohne die sie aber auch nicht leben kann. Das alles passt zusammen und ist konsequent. Konsequent bis hin zu den Soundeffekten, für die Geräusche aus dem Weltraum genommen wurden, mit freundlicher Unterstützung von der NASA.

Die Liebe erscheint hier aber nicht nur als ein riesiger, unterkühlter Makrokosmos. Was im Großen beginnt, in der Außenwelt, pflanzt sich bis ins Kleinste fort, bis hin zu Bits und Bytes zerlegt die Raumfahrerin sich selbst, unfähig, Gefühle anders zu artikulieren als im Weltraum oder Mikrochips.

All das ist überraschenderweise poetisch. Digital, verpixelt, effektbeladen, aber poetisch. Zeitgemäße Poesie, nicht dieses analoge Zeugs auf Papier und in Büchern, sondern auf einer CD. Poesie, die im Grunde auch nur aus Einsen und Nullen besteht, aber dennoch ein modernes Leben reflektiert, in dem einem sämtliche Medien zur freien Verfügung stehen, in dem Datenkabel in Echtzeit alles bis ans Ende der Welt transportieren können, in dem große und kleine Gedanken völlig gleichwertig sind.

Das Große wird ins Kleinste zerlegt, das Kleinste ins Große und die Form zersplittert. Dass das nicht nervig wird, ist auch zu einem großen Teil diesen Knallersätzen zu verdanken, die immer wieder kommen, die selbst wieder wirken, als wären sie auseinandergeschnitten worden und zufällig übereinandergelegt: "Als ich ein Zeitplan geworden bin, fand ich mich selbst in einem Zimmer voller Blicke". Manchmal grenzt das hart an Fräuleinpop. Das "Komm, lasst unsere Haut Helium spalten" nicht in dieser dreckigen Ecke versumpft, liegt daran, dass eben nicht alles Fräuleinpop ist. Dass die Stimme der Erzählerin absolut keinen Ich-bin-Judith-Hermann-und-ich-leide-Tonfall hat, diese traumwandlerische Naivität.

Im Gegenteil: Diese Stimme ist hart und zerbrechlich, sie zerlegt eiskalt, was ihr Leben ausmacht, und kommt im Allerkleinsten an, um zu entdecken, dass es dort nichts gibt, außer Eins und Null. Und diesen analogen Kram. Diese unzerlegbare Gefühlsscheiße, die irgendwie unzeitgemäß scheint. Aber auch wenn sie so aussieht: @)--->--->-- Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.


Titelbild

Softwareherz: "Komm, lass unsere Haut Helium spalten". Hörspiel.
Mairisch Verlag, Hamburg 2006.
47 Minuten, 12,90 EUR.
ISBN-10: 393853902X

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