Abseits des Gewohnten

Peter Schünemanns Erzählungenband "Dunkles Bild"

Von Andrea NeuhausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Neuhaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Wer das sichere Terrain der Literaturkanons und Bestsellerlisten verlässt, voller Entdeckerfreude den Blick schweifen lässt, wird mit ein bisschen Glück auf außergewöhnliche Werke stoßen: Werke hervorragender Schriftsteller, die von einem erweiterten Lesepublikum nie recht wahrgenommen wurden. Einer dieser wenig bekannten, von Kritikern aber gerühmten Außenseiter und Einzelgänger ist Peter Schünemann.

Viel Anerkennung fand sein 2001 erschienener Essayband "Spur des Vaters", in dem er kenntnisreich und höchst belesen auslotete, wie sich die Väter Lessings, Goethes, Freuds, Thomas Manns und Gottfried Benns noch in die Werke ihrer Söhne eingeschrieben haben. Einen Einstieg in sein immer noch wenig bekanntes schriftstellerisches Werk bietet nun der Band "Dunkles Bild", der drei schon früher erschienene, überarbeitete Erzählungen und einen Essay vereint. Kein sanfter und leichter Einstieg freilich, den gibt es bei Schünemann nicht. Sondern ein Anfang, den sich der Leser erarbeiten muss. Schünemanns Texte zwingen zum langsamen Lesen und zum Verweilen. Ist der 1930 geborene Schriftsteller ein Außenstehender geblieben, weil heute die Bereitschaft dazu fehlt?

Seine Texte sind sperrig, dicht, dunkel, voller visionärer Bilder, und sie zeigen einen so unbedingten Willen zur Form, dass sie in die Nähe des Lyrischen rücken. Sie erzählen von Kunst, Rausch, Wahnsinn und Tod. In der Titelgeschichte verzweifelt ein Maler daran, dass es ihm nicht gelingt, das blinde Kind, das er bei sich aufgenommen hat, zu porträtieren:

"Ich drehte mich nach ihm um, hinter mir schaukelte die Dorfstraße zusammen: er saß da wie stets, die Arme steil zwischen die Schenkel gesteckt, den kleinen Vogelkopf mir zugewandt, irgendwann würde ich diese Augen, nicht sie, diesen Schatten, Schimmer, die helle Verlorenheit, die in ihnen versunken war, malen müssen, von denen vielerlei ausging, was nur im Nimmermehr zu ergründen war."

Die Ringen des Malers um sein Bild ist eingebettet in eine beklemmende, von Gefährdungen durchdrungene Atmosphäre, die sich mehr und mehr zu verdichten scheint. Hinter dem formal strengen Bauplan der Erzählungen schimmert immer das Verdrängte, Furchterregende und Unbegreifbare durch, eine apokalyptische Stimmung, die einen fortzureißen droht wie ein mächtiger Strom. So auch in dem Büchner-Portrait "Zwieland", das die letzten Tage des Schriftstellers im Februar 1837 nachzeichnet, seine Fieberträume und seinen körperlichen Verfall. Vielleicht gewinnen Schünemanns Texte ihre zeitlose Aktualität gerade dadurch, dass sie eine untergründige, unaussprechliche Bedrohung spürbar machen.

In dem Essay "Aufbruch ins Schweigen" verfolgt Schünemann die Spuren der Expressionisten in Wolfgang Koeppens Werk. In höchstem Maße stimmig erscheint es, dass der Band von einem Text über Literatur beschlossen wird. Denn auch Schünemanns Erzählwelt ist angereichert von Literatur, in ihr wird die Dichtung, die Kunst selbst zum Thema. Schünemanns hoch konzentrierte Texte zeichnen sich durch Abgeschlossenheit und höchste Verdichtung aus. Schon deshalb taugt der Autor nicht zum Publikumsliebling. Wer aber einmal diese außergewöhnliche Prosa entdeckt hat, kommt so schnell nicht mehr von ihr los.


Titelbild

Peter Schünemann: Dunkles Bild. Drei Erzählungen & ein Essay.
Carl Hanser Verlag, München 2005.
120 Seiten, 14,90 EUR.
ISBN-10: 3446206841

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