Sigmund Freud als Scharlatan

Catherine Gildiner schreibt einen spannenden und witzigen Freud-Krimi

Von Georg PatzerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Georg Patzer

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

So ein schöner Anfang: "Es ist mir wirklich peinlich, aber ich kann mich nicht erinnern, warum ich meinen Mann umgebracht habe." Und so geht es munter weiter: "Die Mehrheit der Menschen bringt ihren Ehepartner nicht um. Ich habe mich damit abgefunden, einer Minderheit anzugehören." Seit neun Jahren ist die promovierte Philosophin im Gefängnis in der kanadischen Tundra eingesperrt. Früher hat sie sich lange mit Darwin beschäftigt, hat untersucht, "wie aus Trieb Instinkt wird. Das taugt für die Beobachtung, wie Vögel ihre Nester bauen und nach Süden fliegen, aber es erklärte mir weder, warum ich meinen Mann umgebracht habe, noch wie ich mich verhalten soll, wenn und falls ich je aus dieser Zelle rauskomme." Neben Darwin hat sie sich mit dem frühen Freud beschäftigt und sogar einige brillante Aufsätze über ihn geschrieben.

Kate Fitzgerald bekommt dann aber doch noch eine Chance. Ihr Psychologe Gardonne, der sie regelmäßig besucht und mit ihr redet und sie mit den Worten "paranoid" und "unterdrückt aggressiv" beschreibt, bietet ihr an, für ihn draußen zu recherchieren (mit Strafaussetzung), und im Gegenzug würde er ein positives Gutachten über sie schreiben und sich für eine vorzeitige Entlassung einsetzen. Sie ist wohl die Einzige, die in den obersten Etagen der psychoanalytischen Vereinigungen ermitteln kann, sie ist die einzige Detektivin, die sich mit Freud auskennt.

Was ist passiert? Anders Konzak, ein junger, aufstrebender, charmanter Analyse-Star, wurde kürzlich zum Direktor der Freud-Akademie ernannt. Jetzt aber hat er einen Aufsatz veröffentlicht, in dem er Sigmund Freud als Scharlatan hinstellt und die Psychoanalyse als das Werk eines Betrügers. Vor allem der Ödipus-Komplex sei eine bewusste Täuschung Freuds gewesen. Nächste Enthüllungen hat er schon angekündigt, vor allem eine Reihe von bisher unbekannten Briefen, die seine Theorie beweisen würden. Die Psychoanalytiker haben Angst: Ist das der Tod ihres Berufs?

Gardonne bittet die schlaue, reiche und hübsche Kate, sich mit Konzak zu treffen und herauszufinden, welche Informationen er wirklich hat, woher er sie hat und ob sie wirklich so brisant sind. Mit dem Privatdetektiv, Ex-Zuchthäusler und Ex-CIA-Agenten Jackie Lawton machen sie sich auf den Weg nach Wien, dann nach London zu Anna Freud und der Freud-Akademie und schließlich wieder zurück nach Amerika.

Catherine Gildiner hat mit "Verführung" einen sehr flotten, spannenden und sogar witzigen Kriminalroman geschrieben. Kate findet nach einem schönen Abendessen mit Konzak gleich die erste Leiche, Anders Konzak höchstpersönlich. Sie findet viele Verdächtige, selbst Lawton ist ihr suspekt, auch Gardonne, eine Journalistin und diverse hochstehende Analytiker in London und New York. Sie trifft äußerst skurrile Personen wie den bisherigen Direktor der Akademie, Anna Freud selbst (die, anders als in Wirklichkeit, in den achtziger Jahren noch lebt), Wedgwood-Porzellan-Enthusiasten und eine abstruse Wohngemeinschaft mit dem Zauberkünstler The Wizard und dem ganz seltsamen Freud-Kenner Bozo.

Natürlich ist von Anfang an ein wenig absehbar, wie sich die Beziehung zwischen den beiden extremen Einzelgängern Kate und Jackie entwickeln wird, auch wenn sie von Gardonne gegeneinander ausgespielt werden. Aber Gildiner hält den Spannungsbogen des Romans bis zum Schluss, an dem sie eine interessante Lösung bereithält, die alles aufklärt, vor allem die vielen, miteinander verzahnten, verschachtelten Beziehungen über die Kontinente hinweg. Gerade der Schlussclou ist allerdings etwas enttäuschend. Manches von dem, was sie herausfindet, wie zum Beispiel die Vergangenheit von Dr. von Eichenhauer, ist zudem ein wenig überspannt, auch wenn es noch einen Kern Glaubhaftigkeit in sich trägt.

Trotzdem ist das Buch vergnüglich zu lesen, es ist spannend aufgebaut, hat lebendige, brüchige, zweifelnde, mitunter skurrile, also insgesamt sehr glaubhafte Charaktere, besticht durch schnelle, pointierte Dialoge und hat insgesamt einen enormen Charme. Vor allem das Tempo ist wunderbar austariert, hat an genau den richtigen Stellen retardierende und dann wieder beschleunigende Momente. Und außerdem bekommt man noch eine Kurzeinführung in die Psychoanalyse und deren Geschichte. So kurz und knapp und zugespitzt wird man das wohl kaum wieder zu lesen bekommen.

Hauptthema des Buchs ist aber vor allem die Psyche von Kate selbst, die als Ich-Erzählerin auftritt. Was ist das für eine Person? Sie ist intelligent, reich und attraktiv. Sie ist verstört, und als sie ihren Mann getötet hat, lassen ihre Eltern sie fallen wie eine heiße Kartoffel. Sie ist schlauer als ihr Psychiater, aber sie durchschaut weder ihn noch sich selbst so richtig. Wem kann sie vertrauen? Diese Frage schwebt über allen Kapiteln und betrifft nicht nur den Fall und die Aufklärung, sondern bezieht sich noch eher auf das Urvertrauen zwischen Menschen, auf die Zwischenmenschlichkeit. In ihrem Krimi stellt Gildiner fest, dass man nur wenigen vertrauen kann, dass alle versuchen zu täuschen und zu verführen. Das Netz von Versprechungen, Lügen, Intrigen und Verbrechen ist größer als es anfangs scheint, als es nur um Eitelkeiten und einen sich selbst täuschenden Berufsstand geht. Da ist Kate mit ihrem Gattenmord eigentlich noch eine Anfängerin. Auch Gildiner selbst ist eine große Verführerin, die ihre Pointen ebenso wie die falschen Fährten ganz ausgezeichnet setzt.

Fazit: Ein gelungener Krimi zum Freud-Jahr.


Titelbild

Catherine Gildiner: Verführung. Ein Freud-Krimi.
Übersetzt aus dem Amerikanischen von Margarete Längsfeld und Sabine Maier-Längsfeld.
Kindler Verlag, Berlin 2006.
508 Seiten, 19,90 EUR.
ISBN-10: 3463404974

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