Stellt ihn vom Platz!

Eine rote Karte für Volker Zastrows geschlechterpolitische Rhetorik der Diffamierung

Von Andrea GeierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Andrea Geier

Worüber gesprochen wird und worüber zu sprechen wäre

"Es wäre ehrlich gesagt leicht, sich darüber lustig zu machen. Aber doch billig" schrieb Volker Zastrow, verantwortlicher FAZ-Redakteur für den Bereich "Die Gegenwart", in einer Rezension von Joschka Fischers Buch "Mein langer Lauf zu mir selbst" (2001) anlässlich des Wahlkampfes im Jahr 2004 und lobte: "Das Buch liest sich insgesamt gar nicht schlecht, auch häufig schön selbstironisch."

Das lässt sich von Zastrows in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" vom 19. Juni 2006 erschienenen Artikel "Politische Geschlechtsumwandlung" nicht sagen. Im Untertitel fällt der Begriff Gender Mainstreaming und es wird suggeriert, in diesem ganzseitigen Beitrag ginge es um eine ausführliche Auseinandersetzung mit der betreffenden Politik, den Zielen der Gleichstellungspolitik anlässlich der Umsetzung der Antidiskriminierungs-Richtlinie der EU in nationales Recht und die Frage, welche Mittel zur Durchsetzung dieser Ziele eigentlich sinnvoll, gesellschaftspolitisch wünschenswert und durchsetzbar sind.

Das ist eine wichtige und notwendige Debatte. Auch viele Wissenschaftler/innen, die sich mit Geschlechtertheorien beschäftigen, haben bedenkenswerte Vorbehalte gegen bestimmte politische Instrumente zur Durchsetzung einer geschlechtersensiblen und geschlechtergerechten Politik. All das interessiert Volker Zastrow aber überhaupt nicht: Weder die konkrete Ausgestaltung des Gesetzes noch seine befürchteten oder erwünschten Auswirkungen und schon gar nicht die grundsätzliche, breite und kontrovers geführte Debatte innerhalb der (feministischen) Geschlechterforschung über Ziele und Mittel von Gleichstellungspolitik finden in seinem Artikel Erwähnung. Das ist einfach zu erklären: Hätte sich Volker Zastrow damit beschäftigt, würden die Frontlinien verschwimmen, die der Autor dringend braucht: für einen regelrechten Feldzug gegen Feministinnen und Homosexuelle.

Der Titel "Politische Geschlechtsumwandlung" gilt ihm als Übersetzung für Gender Mainstreaming und suggeriert mancher/manchem noch eine augenzwinkernde Polemik, die dem nachfolgenden Text leider vollständig abgeht. Selbstironie? Fehlanzeige. Kurz gefasst lautet Zastrows zentrale Aussage: Die feministische Bewegung ist eine gefährliche Veranstaltung von Lesbierinnen, die seit jeher daran arbeiten, einen groß angelegten politischen Angriff gegen die Grundwerte der Gesellschaft zu führen.

Darüber könnte man sich lustig machen, wenn es der Mensch am Nebentisch einer Kneipe von sich gäbe. "Dass es so was noch gibt", würde man ungläubig staunend sagen und möglicherweise Artenschutz für eine aussterbende Spezies fordern. Gegen solche Verschwörungstheorien anzugehen, wäre an so einem Ort jedenfalls zu billig. Man würde einen Blick auf die am Tisch stehenden geleerten Bierkrüge werfen und es gut sein lassen. Leider erschien die Stammtischrede, um die es hier geht, aber in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", es ist keine kurze Glosse, sondern ein ganzseitiger Artikel, der als ernstgemeinter Debattenbeitrag auftritt. Im übrigen schön illustriert mit einer Mutter-Kind-Zeichnung von Anke Feuchtenberger.

Natürlich regt sich an dieser Stelle ein Verdacht: Fällt man, wenn man darauf eingeht, nicht auf eine gewollte Provokation herein, die einfach nur das Spektrum dessen auslotet, was man in der Geschlechterdebatte mittlerweile sagen darf? Wird Volker Zastrow nicht feixend in der Redaktion stehen und sich freuen, dass eine angebissen hat? Werden sie gemeinsam über diese Aufregung lachen und behaupten, doch nur extreme Standpunkte einer Debatte artikuliert zu haben, die man ja so nie auf die politische Agenda setzen würde? Selbst wenn gelacht werden sollte, ist dieser Verdacht leider unbegründet. Der Artikel will keine Polemik sein, die extremen Standpunkten nur ein Forum bietet, keine gezielte Provokation, die eine wichtige Debatte anstoßen will, sich aber letztlich von den vertretenden Standpunkten zumindest ein Stück weit distanziert. Volker Zastrow meint es bitter ernst mit seinen Diffamierungen. Daher nehmen wir den Text so ernst, wie er gemeint ist, suchen nach Argumenten und halten nach Thesen und ihren Begründungen Ausschau. Zuvor aber empfiehlt sich ein kurzer Blick darauf, was diesem Artikel vorausging: auf die publizistischen Geschlechterdebatten und Zastrows eigene Beiträge dazu. Dabei zeigt sich, dass Zastrows jüngster Artikel nur die Langfassung verstreuter früherer Ausfälle des Autors ist. Mit "Politische Geschlechtsumwandlung" zeigt er, in welche Abgründe sein persönlicher "Lauf zu sich selbst" führt.

Von Steilpässen und Blutgrätschen oder: Zastrow tritt nach

Debatten um die Geschlechterverhältnisse beschäftigen die Publizistik schon einige Monate intensiv. Es geht um die demografische Entwicklung Deutschlands und den Kindermangel, die angeblich so überdurchschnittlich oft kinderlosen Akademikerinnen und den Zeugungsstreik der Männer, den Beschluss zur Einführung des Elterngeldes durch die große Koalition und den vorangegangenen Streit um die 'Vätermonate' sowie, last but not least, die Antidiskriminierungsrichtlinie der EU und deren Umsetzung in nationales Recht. Da ist es kein Wunder, dass manche/mancher grundsätzlicher wird und öffentlich zur Diskussion stellt, was die Emanzipationsbewegung denn Frauen und Männern nun eigentlich an Chancen und Risiken bisher gebracht hat und welche Veränderungen zukünftig noch erwartbar sind. Dabei ging es im Juni vor allem um die Männer. Die Wochenzeitung "Die Zeit" hat sich der Frage "Was ist männlich?" gestellt (14. Juni) und ließ, ganz in der liberalen Tradition des Blattes, zwei darüber streiten, ob Männer oder Frauen letztlich mehr vom Umbruch der Geschlechterrollen profitieren werden. Der auf seine Weise ins 'Grundsätzliche' der Geschlechterverhältnisse vorstoßende Artikel von Volker Zastrow nimmt dagegen eine Stoßrichtung auf, die Christian Schwägerl am Anfang des Monats schon in seinem Artikel "Frau überholt rechts. Sind Männer das schwächere Geschlecht der Zukunft?" ("Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 7. Juni 2006) vorgelegt hat. Der Doppelpass gegen die Emanzipationsbewegung hat einen drohenden Unterton: "Frauen, ihr werdet schon sehen, was ihr von der Emanzipation habt!" Das klang so:

"Ihnen [den Frauen; A.G.] wird die Welt zu Füßen liegen, aber sie werden zugleich ganz neue Erfahrungen machen: Es ist nicht schöner, von einer Chefin zusammengefaltet zu werden. Für ausbleibenden Aufstieg steht die Ausrede von der Benachteiligung der Frau nicht länger zur Verfügung. Und vorbei sind die Zeiten, in denen man auch wieder aufhören kann mit der Arbeit, weil ja der Mann da ist."

Das sind Aussagen, die man mit Ausrufungszeichen (sic!) nur so spicken müsste. Symptomatisch sind die Prämissen: Frauen wollen angeblich den Aufstieg von Frauen in Führungspositionen nur, weil sie der falschen Hoffnung anhängen, dass sie es bei Chefinnen besser hätten. Der unausgesprochene, aber mit der 'Aufdeckung' dieses 'Irrtums' nahegelegte Umkehrschluss lautet dann: Da Frauen keineswegs qua Geschlecht bessere Chefinnen sind, gibt es eigentlich keinen Grund, sich für eine verstärkte Präsenz von Frauen in Führungspositionen stark zu machen. Das können dann doch weiterhin die Männer übernehmen! Und das laute glückliche Seufzen von Frauen, die endlich aufhören können zu arbeiten, wenn "der Mann da ist" - soll heißen: wenn sie heiraten? - hat bisher außer Herrn Schwägerl wohl kaum einer vernommen. Eher bekannt ist, dass Frauen aufhören zu arbeiten, um sich der Kindererziehung zu widmen, und dass dies oftmals eine rein pragmatische Entscheidung ist, weil sie in der Regel weniger verdienen als ihre (Ehe-)Männer. Und ebenfalls bekannt ist, dass diejenigen, die nach der Erziehungszeit in den Beruf zurück wollen, es oftmals schwer haben, wieder eine Anstellung zu finden, die ihren Fähigkeiten und dem Status ihrer früheren Tätigkeit entspricht. Aber soweit in die Tiefen der Realität will sich Schwägerl ganz offensichtlich nicht begeben.

Auch Zastrow möchte das nicht, der diesen Steilpass annimmt und knapp zwei Wochen später in eine Blutgrätsche gegen den Feminismus verwandelt. Dass der Artikel so ausführlich geraten ist, hat vor allem damit zu tun, dass Zastrow gründlichere Auskunft über Auffassungen geben wollte, die er vorher nur hat durchblicken lassen. In seinem Leitartikel "Löwe, Panther, Pilz" vom 23. Mai dieses Jahres hat er schon einmal deutliche Worte für das Gleichbehandlungsgesetz gefunden. Auch hier begegnet bereits das Bild der "Geschlechtsumwandlung", allerdings noch nicht als Übersetzung für Gender Mainstreaming, sondern als Bild für den Zustand von CDU/CSU. Unter Angela Merkel müssten, so Zastrows Diagnose, die "christlichen Schwesterparteien" ohnmächtig mit ansehen, wie sie umoperiert werden: "Die Gemütslage gleicht der eines bereits ruhiggestellten Blinddarmpatienten, der auf dem Operationstisch zäh erfaßt, daß hier seine Geschlechtsumwandlung geplant wird. [...] Ganz kühne Abgeordnete erwägen sogar ihr Fernbleiben bei einschlägigen Abstimmungen, etwa über den unsäglichen Entwurf des Gleichbehandlungsgesetzes."

Auch im jüngsten Artikel sind es die Abgeordneten der konservativen Schwesterparteien, denen Zastrows ganzes Mitleid gilt: "Abgeordnete mit einem herkömmlichen Familienbild (Vater, Mutter und Kinder bilden die Familie) fragen sich fast verzweifelt, woher das alles kommt und warum es, obwohl kaum jemand dafür zu sein scheint, gleichsam unwiderstehlich über die Politik hereinbricht." Die Beschreibung, was da 'hereinbricht', hat allerdings nur bedingt mit der Frage zu tun, was Gleichberechtigung bedeuten könnte. Denn es geht Zastrow nicht darum, wie Elternschaft und Berufstätigkeit im konkreten Alltag verbunden werden können. Vielmehr spricht er ganz offen nur über das "Familienbild", das gerettet werden müsse. In "Politische Geschlechtsumwandlung" steigert sich dies zur Formulierung, Mutterschaft sei ein "urgewaltiger Topos in Kunst, Literatur und Religion, der im Innersten der meisten Menschen beim Gedanken an die eigene Mutter widerhallt." Ob das immer so angenehm ist, was bei diesem Gedanken widerhallt, ist die Frage. Unübersehbar dagegen ist, dass es hier nicht um die soziale Realität von Familien geht, oder darum, wie der Staat die Rahmenbedingungen dafür verbessern könnte. Es geht um die Rettung eines "Topos" und Familien-"Bildes". Und zu dieser Rettung gehört für Zastrow auch, dass der Gegner klar markiert wird: Die Homosexuellen.

Das ist nicht ganz neu. Anlässlich des 'Kannibalen'-Falles und der Schwierigkeiten der Justiz, einen Menschen zu verurteilen, der einen anderen mit dessen Einverständnis tötet und verspeist, dachte Zastrow laut darüber nach, wie unsere Gesellschaft mit Perversionen umgeht. In seinem Kommentar "Fressen und fressen lassen" ("Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 13. Dezember 2003) stellt er fest, dass "pervers" "verdreht, umgedreht, abgedreht" bedeute, und dass dieser Begriff nahezu "abgeschafft" sei. Das eigentliche Problem aber ist nach Zastrows Ansicht, dass der Begriff für die falschen Phänomene gebraucht wird: "Eine Perversion, die diese Gesellschaft gerade noch als solche einzuordnen scheint, ist die Pädophilie - wobei jedoch deren empirisch erschlagend belegter Zusammenhang zur eben erst dem Spektrum des Perversen entrückten Homosexualität fast ganz verleugnet wird." Hier wird auch nicht ein schlagender Beweis angeführt. Zastrow stellt lediglich fest, was für ihn der Fall ist, und daraus leitet sich implizit, aber unmissverständlich die Forderung ab, Homosexualität wieder als das zu benennen, was sie seiner Ansicht nach ist: pervers.

Argumentatio ad hominem: Sexuelle Orientierung = perverse Gleichstellungspolitik

Schriebe Zastrow eine kleine Anleitung zur Rhetorik der Diffamierung, hießen ihre wichtigsten Punkte: Behaupte, dass die Zusammenhänge, um die es dir geht, allgemein bekannt und sonnenklar sind, aber bisher unausgesprochen geblieben sind. Gerade wenn dein Argument offenkundig absurd ist, wäre es ein Fehler, es argumentativ stützen zu wollen. Streue vielmehr immer wieder Bemerkungen in den Text ein, die deiner These zuarbeiten, so dass im Gesamteindruck die Leser/innen das Gefühl bekommen, du hättest ihnen deine Thesen bewiesen.

In Zastrows Fall bedeutet das unter anderem, dass die sexuelle Orientierung verschiedener Menschen, die sich in Fragen der Geschlechterpolitik engagieren und/oder Geschlechtertheorie betreiben, erwähnt wird - allerdings nur, wenn es sich um Homosexuelle handelt. Zunächst aber zu Zastrows wichtigsten Thesen. Sie beziehen sich auf den Zusammenhang von Familie und Erwerbsarbeit und auf die Entwicklung der Geschlechterpolitik. Erstens: Mütter werden von der Politik zur Erwerbsarbeit genötigt, wollen das aber gar nicht. Mutterschaft und Erwerbsarbeit sind unvereinbar. Zweitens: Geschlechtertheorie und Geschlechterpolitik sind eine Erfindung von Homosexuellen, vor allem von Lesbierinnen. Wer als Frau Gleichstellungspolitik vertritt, ist entweder Lesbierin oder fällt auf lesbische Propaganda herein. Drittens: Die gesamte heutige Familienpolitik lässt sich von Homosexuellen instrumentalisieren und verhilft damit allein deren Zielen zur Durchsetzung, also der Zerstörung der wichtigsten gesellschaftlichen Werte (Familie als Vater, Mutter, Kind).

Diese Thesen werden immer wieder miteinander verbunden: "Aber maßgebliches gesellschaftliches Ziel bleibt nach wie vor die von Alice Schwarzer angestrebte Abschaffung der Hausfrau, genauer: der Hausfrau und Mutter, deren Doppelaufgabe mit einer zusätzlichen Vollzeitberufstätigkeit kaum zu vereinbaren ist." An dieser Passage ist nicht die Darstellung Alice Schwarzers interessant, sondern die eher unauffällige Definition einer "Doppelaufgabe" von Frauen. Sie ist Dreh- und Angelpunkt der These, dass (heterosexuelle) Frauen gar nicht arbeiten wollen, auch wenn dies an keiner Stelle explizit begründet wird. Die "Doppelbelastung" besteht darin, Hausfrau und Mutter zu sein, das heisst sich um einen Mann im gemeinsamen Haushalt und um die Kinder zu kümmern. Die einfache Aufgabe wäre nach Zastrow also, dass sich eine Frau um ihren Mann kümmert. Dazu kann als zweites die Mutterschaft kommen. Die bekannte Klage über die "Doppelbelastung", die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf meint, wäre daher in Zastrows Augen eine Dreifachbelastung - eine absolute Überforderung, der sich keine vernünftige Frau aussetzen würde. Das zu sagen, wäre offenkundig absurd, weshalb es Zastrow auch unterlässt. Trotzdem macht diese Stelle wie andere in diesem Artikel klar, dass die Erwerbsarbeit von Müttern unmöglich deren eigenes Wunschziel sein kann.

Heterosexuelle Frauen werden nach Zastrows Ansicht daher von mehreren Seiten getäuscht. Dazu gehört zunächst einmal der Feminismus, aber auch die Arbeitsmarktpolitik:

"Die geplanten Veränderungen gehören aber haushalts- und gesetzestechnisch teilweise auch zum Ministerium für Arbeit und Soziales, das vom vormaligen SPD-Vorsitzenden Müntefering geführt wird. Denn der eigentliche, aber selten offen dargelegte Zweck dieser Politik ist die Erhöhung der Frauenerwerbsquote. Die Gleichstellung von Mann und Frau soll durch die Vollbeschäftigung beider verwirklicht werden." Abgesehen davon, dass Vollbeschäftigung eigentlich auch in der SPD nicht mehr für eine realistische Zielvorgabe gehalten wird, ist die Frage, worin hier der Pferdefuß für Frauen liegen sollte, der angeblich verschleiert wird. Es wird nur nahegelegt, dass Frauen irgendwie von der Politik benutzt werden. Dass Frauen (und nicht Männer) Verlierer der Gleichstellungspolitik sein sollen, ergibt nur Sinn, wenn man die erwähnte Prämisse hinzu nimmt, dass Frauen die Erwerbsarbeit aufgezwungen wird.

Dass die Frauen diese Zusammenhänge selbst nicht sehen, sondern glauben, mit den politischen Anstrengungen für eine geschlechtergerechte Gesellschaft und die Vereinbarkeit von Beruf und Familie würden ihr eigenen Ziele vertreten, ist nach Zastrow die Schuld des Feminismus. Frauen - gemeint sind in dieser Argumentationslogik 'selbstverständlich' heterosexuelle Frauen - werden von Lesbierinnen getäuscht. Diese legten nicht offen, dass sie seit jeher auf die Vernichtung heterosexueller Lebensstile hinarbeiteten - und damit gegen die angeblichen eigentlichen Ziele von (heterosexuellen Frauen). Man könnte nun auf die lange Geschichte des Feminismus, die weit vor der Schwulen- und Lesbenbewegung beginnt, verweisen. Aber diese dürfte auch Volker Zastrow bekannt sein. Er braucht aber die Fixierung auf den Zusammenhang von Homosexualität und Geschlechterpolitik, weil er die Geschlechterpolitik direkt aus der sexuellen Orientierung ihrer Aktivistinnen ableiten will. Der wiederum nicht ausgesprochene Kurzschluss lautet: Die Geschlechterpolitik ist vollkommen pervertiert, und dies liegt daran, dass sie von Homosexuellen betrieben wird. Diese krude und niederträchtige These wird in unterschiedlicher Weise 'belegt'. Zunächst behauptet der Autor schlicht: "Der Zusammenhang zwischen Frauen- und Lesbenbewegung, der in der Politik der großen Koalition als Gleichstellungs- und Gleichbehandlungspolitik aufscheint, ist also durchweg biographischer Natur."

'Bewiesen' wird das dadurch, dass es im Verlauf des Artikels immer dann um die sexuelle Identität von feministischen Akteurinnen geht, wenn deren Standpunkte angegriffen werden. Eine der 'schönsten' Stellen betrifft die bekannte Philosophin Judith Butler. Wer hätte gedacht, dass, wenn Feministinnen Foucault lesen, Homosexuelle unter sich sind?

"Die bedeutendsten intellektuellen Leitfiguren dieser Forschung sind der 1984 an Aids-Folgen verstorbene französische Philosoph Michel Foucault (geboren 1926) sowie die in Berkeley lehrende Amerikanerin Judith Butler (1959). Foucaults Aneignung durch den Feminismus ist verschiedentlich bemerkt worden, in erster Linie handelt es sich dabei aber um die Übernahme der Körper- und Identitätstheorien eines homosexuellen Mannes durch homosexuelle Frauen."

Wo anfangen? Dass es sehr unterschiedliche Feminismen und damit einhergehende Adaptationen von Foucaults Theorien gibt? Dass man Identitätstheorien, um die es hier geht, mitnichten mit der von Zastrow eigentlich angeprangerten Gleichstellungspolitik identifizieren kann? Damit wären wir wieder bei den eindeutigen Frontlinien, die Zastrow braucht, die es aber nicht gibt. Auffällig ist an diesem Abschnitt auch wieder ein Punkt, der scheinbar nichts zur Argumentation beiträgt. Ja, der französische Philosoph Michel Foucault hatte Aids. Das ist nun nicht neu, aber Volker Zastrow erwähnt es auch nicht deshalb, sondern weil damit ganz nebenbei die in Zastrows Augen so gefährliche Homosexualität noch mal ins Blickfeld gerückt wird - und welche Information machte dies anschaulicher als die tödlich verlaufende Krankheit Aids.

Die Strategie des Autors besteht darin, etwas zu suggerieren, nicht, etwas zu erklären. Daher erwähnt er - scheinbar ohne argumentativen Zusammenhang -, immer wieder solche 'Details'. Etwa, dass die 52jährige sozialdemokratische Europa-Abgeordneten "'Lissy' Gröner aus Langenfeld in Bayern" "Mitglied des Gleichstellungsausschusses" ist "und - in diesem Zusammenhang kaum weniger bedeutsam [!] - stellvertretendes Mitglied des Haushaltsausschusses, sodann der interfraktionellen Gruppen für 'Gay and Lesbian Rights' und 'Reproduktive Gesundheit' sowie der Deutsch-Griechischen Gesellschaft." Diese Reihung wird noch nicht jedem ganz einsichtig machen, was die Abgeordnete Gröner zum Feindbild qualifiziert. Daher erwähnt Zastrow hier noch einige andere Informationen: "Sie hat zwei erwachsene Kinder und ist geschieden. Sie lebt, wie es auf ihrer Homepage heißt, 'in Lebensgemeinschaft', ihr Wikipedia-Eintrag gibt an, daß sie seit 2005 mit einer Frau verheiratet sei."

Hier hört man geradezu ein Aufatmen. Eine Mutter von zwei Kindern, die sich für Gleichstellung und für Homosexuelle engagiert? Nicht doch, sie ist natürlich homosexuell! Und damit kommen wir zu Dr. Barbara Helfferich. Nein, von ihr behauptet Zastrow nicht, sie sei homosexuell. Das aber wäre ein wichtiges Argument für ihn, denn sie gehört zu seinen wichtigsten Feindbildern. Feministische Politik ohne homosexuelle Orientierung, das ist für Zastrow nur vorstellbar, wenn es um deutsche Politikerinnen geht, die sich instrumentalisieren lassen. Von Helfferich, die für die EU-Kommissarin Anna Diamantopoulou (zuständig für Beschäftigung und Soziales) arbeitete, weiß Zastrow aber zu berichten, dass sie eine der bedeutendsten "Netzwerkerinnen" des deutschen Feminismus sei und "Politik im Blut" habe, nämlich Karl Helfferich und Walther Schücking "zu ihren Vorfahren" zähle. Das Blut ist, wie wir schon wissen, ein gefährlicher Saft. Daher bleibt ihm als Ausweg nur, Helfferich in einem Umweg über ihre Meinung zu Schwarzer zu charakterisieren: Dass Helfferich deren sexuelle Orientierung "für allgemein bekannt und andererseits für unmaßgeblich" hält, findet Zastrow bemerkenswert. Seine eigentliche Lösung aber ist, das Klischee der im Privaten gescheiterten Karrierefrau zu bedienen: "Sie ist geschieden und bedauert, kinderlos zu sein. Zu Beginn ihres Berufslebens wollte sie Kriegsberichterstatterin werden." Gefährlich ist sie, soll das wohl heißen. Und die Warnung: "Kinder und Karriere, beides geht nicht", lässt sich hier auch noch einmal ins Bild setzen.

Absatz für Absatz könnte man auf diese Weise diffamierende Insinuationen und angebliche Widerlegungen von feministischer Politik und Geschlechtertheorie aus Zastrows Artikel herausarbeiten. Einen Höhepunkt stellen die Auslassungen zur kulturellen Konstruktion von Geschlecht dar. Diese Theorie sei vollkommen verfehlt, weil sie "der ursprünglichsten Wahrnehmung und Empfindung der meisten Menschen, den Religionen und naturwissenschaftlicher Forschung" widerstreitet. Abgesehen davon, dass sich im Gegenteil die naturwissenschaftliche Forschung sehr gut zur Begründung der kulturellen Konstruktion von Geschlecht heranziehen lässt - aber diese Forschungen nimmt Zastrow nicht wahr -, lässt sich mit der gottgegebenen Ordnung der Geschlechter heutzutage nicht besonders gut argumentieren. Darüber hinaus ist verblüffend, wie die Begründungen von Naturwissenschaft und Religion Hand in Hand gehen sollen. Dass individuelle Erfahrung und kulturelle Konstruktion keinen Widerspruch darstellen, passt auch nicht in Zastrows Weltbild: Dass wir die Welt zweigeschlechtlich wahrnehmen und die Geschlechtszugehörigkeit einer der wichtigsten Bausteine unserer Identität darstellt, ist aber der entscheidende Punkt der inkriminierten Theorie, die sich damit beschäftigt, wie Wahrnehmung und Körperlichkeit kulturell geformt sind.

Credo quia absurdum est!

Nimmt man Standpunkte ernst, die lächerlich wirken, setzt man sich der Gefahr aus, sich selbst lächerlich zu machen. Daher galt es hier vor allem, sich nicht auf das Niveau des Autors zu begeben. Wir haben Zastrow also nicht, was durchaus nahe gelegen hätte, auf die psychoanalytische Couch gelegt, um mit ihm über Verfolgungswahn zu sprechen und über eine heterosexuelle Identitätskrise. Wer immer wieder betonen muss, was 'normal' und 'unnormal' ist, wer immer wieder eine diffamierende Abgrenzung braucht, um sich selbst seiner Normalität zu versichern, der zeigt, dass er seiner selbst gerade nicht sicher ist. Was er am meisten fürchtet zu sein, muss er dämonisieren, in diesem Fall die Homosexualität. Dies hätte man unter Rückgriff auf Identitätstheorien breit ausführen können. Doch die Textlektüre war sprechend genug. Zastrows Rhetorik der Diffamierung bringt einen Text hervor, der lediglich vorgibt, eine argumentativ unterfütterte Auseinandersetzung zu führen. Ob man für oder gegen das Antidiskriminierungsgesetz ist, ist dabei für die Beurteilung von Zastrows Darstellung völlig unerheblich.

In Hubert Schleicherts Schrift "Wie man mit Fundamentalisten diskutiert, ohne den Verstand zu verlieren. Anleitung zum subversiven Denken" (1997) findet sich eine kurze Passage, in die von Glaubenssätzen und dem "fromme[n] Prinzip credo quia absurdum est, ich glaube, weil es absurd ist" handelt. Diesen Glaubenssatz hat Volker Zastrow für sich auf die Geschlechterdebatte übertragen. Nur er kann erkennen, was andere nicht sehen können, weil es ihm offenbart worden ist. Woher er seine Eingebungen hat, möchten wir lieber nicht wissen. Die Wasser, in denen er fischt, sind allzu trüb. Offenbar hat ihn auch niemand in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" zur Seite genommen und gesagt: "Volker, du glaubst das doch nicht wirklich, oder? Das geht so nicht, eine derartig wüste und abstruse homosexualitäts- und feminismusfeindliche Schmährede, die nur vorgibt, sich mit Gender Mainstreaming zu beschäftigen. Du weißt ja, dass das mit dieser Gleichstellungspolitik hier viele kritisch sehen, darum haben wir ja Anfang Juni schon mal Christian Schwägerl vorpreschen lassen. Aber findest du nicht, dass das, was du jetzt geschrieben hast, weit unter unserem Niveau ist?"

Dieses Gespräch hat leider entweder nie stattgefunden oder es hat schlicht nichts genützt. Beides sollte dem Redaktionsteam zu denken geben. Klar ist, dass Zastrow die rote Karte verdient hat. Nach den neuen Fifa-Regeln kann man bekanntlich einem Spieler, der einen anderen absichtlich verletzen will, gleich die rote Karte geben. Volker Zastrow hat aber auch schon vorher Übung im gezielten Foulen bewiesen. Mit dem Artikel "Politische Geschlechtsumwandlung" ist das Maß endgültig voll. Stellt ihn vom Platz!


Leserbriefe

Benjamin Dannert: Sehr geehrte Frau Geier, Sie schreiben. "das laute glückliche Seufzen von Frauen, die endlich aufhören können zu arbeiten, wenn "der Mann da ist" - soll heißen: wenn sie heiraten? - hat bisher ...

Luise F. Pusch: Fabelhafter Artikel! Ich selbst hatte Zastrows Auslassungen nicht gelesen, weil mir die FAZ nicht bekommt, aber viele Freundinnen hatten mich wütend darauf hingewiesen. Nun bekommen sie zur Beruhigung ihre Nerven den Hinweis auf diese ...

Carolina Brauckmann: Es erstaunt doch immer wieder, mit welcher Dreistigkeit die FAZ Autor/innen Platz einräumt für derart unqualifizierte und ideologisch aufgeheizte Essays wie Zastrows "Politische Geschlechtsumwandlung". Um so mehr ...

Stefan Fuchs: Sehr geehrte Frau Geier, Ihre Polemik gegen Zastrows Artikel "Politische Geschlechtsumwandlung" ist charakteristisch für die Hysterie und Intoleranz mit der "linksfeministische" Kreise auf kritische Artikel ...

birgit kreipe: Sehr geehrte Frau Geier Danke für Ihren Artikel! Ich habe nach der Lektüre von Zastrows Elaborat (übrigens nicht das einzige dieser Art - s. Zastrows neueste Attacke in FAZ - Online dieser Tage) Wut und Übelkeit ...

Lena Waider: Ich finde, man sollte den Beitrag von Andrea Geier löschen, da er gegen Artikel 5 des GGs verstößt und damit verfassungswidrig ist. Gerade im Schlussabschnitt wird dazu aufgerufen, Volker Zastrow zu entlassen bzw. an der ...




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