Rätsel Rezipient

Michael Jäckels dritte Auflage des einführenden Studienbuches "Medienwirkungen"

Von Martin RichlingRSS-Newsfeed neuer Artikel von Martin Richling

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Die Frage nach den Auswirkungen der Medien auf ihre Nutzer ist sicherlich eines der in der Öffentlichkeit meistdiskutierten Themen: Debatten um vermeintlich gewaltevozierende Computerspiele und Filme und intelligenzfressende Fernsehsendungen gehören schon lange zum stetig wiederkehrenden Repertoire der Feuilletons. Wer sich für ein wesentlich breiter gefächertes Spektrum an Fragestellungen, Modellen und Untersuchungsmethoden von Medienwirkungen interessiert, dem sei Jäckels systematische, gründliche und übersichtliche Einführung in das Thema wärmstens empfohlen. Nicht nur für interessierte Laien und Studierende der empirisch angelegten Kommunikations- und Medienwissenschaften macht die Anschaffung des Buches Sinn, sondern auch für Medienwissenschaftler, die sich mit den traditionellen Methoden und dem Vokabular der Kunst- und Literaturwissenschaft den technischen Medien als Kunstobjekte nähern. Zwar wird der "Wie-Frage", der Rolle von formalen Eigenschaften der Medienwerke bei der Rezeption hier keine Beachtung geschenkt, doch sind es ja gerade die anderen (soziologischen) Blickwinkel, die empirischen Untersuchungen, welche gleichsam zur Horizonterweiterung beitragen wie sie den Blick für die eigenen Methoden und Ansätze schärfen.

Im ersten Kapitel geht Jäckel nicht nur auf die historische Entwicklung der (Massen-)Medien von der Schriftentstehung im achten Jahrhundert vor Christus bis zu den Neuen Medien ein, sondern beschreibt auch die Anfänge der Medienwirkungsforschungen, die unter anderem auf den großen Soziologen Max Weber zurückgehen, der bereits im Jahr 1911 "eine Soziologie des Zeitungswesens" forderte. Aufgrund der schon früh vorhandenen und immer stärker werdenden Dominanz von kommerziellen Interessen in den Massenmedien stimmt es nicht weiter verwunderlich, dass die Persuasionsforschung eines der frühesten Forschungsgebiete der Medien-/Kommunikationswissenschaften bildet und die Medienwirkungsforschung insgesamt mit dem Siegeszug der Massenmedien für die Sozial- und Verhaltenswissenschaften eine immer zentralere Rolle einnimmt. Im Anschluss widmet sich Jäckel grundlegenden Begrifflichkeiten und Theorietraditionen, bevor er in den letzten zwei Dritteln des Buchs u. a. anhand exemplarischer Fälle auf spezielle Problemkomplexe eingeht.

Das "Stimulus-Response-Modell" wird als ein zwar mittlerweile überholtes, aber in seinen Grundzügen immer noch zentrales Schema für die Medienwirkungsforschung herausgestellt. Die hierin aufgestellte schlichte, den Naturwissenschaften entliehene Sichtweise von Ursache (Medienbotschaft) und Wirkung (auf den Rezipienten) wird wegen der gerade durch den Konstruktivismus erfolgten Stärkung der Rezipientenrolle weniger statisch gesehen. Neben Faktoren wie Bildung und Gruppenzugehörigkeit sind es die nicht näher beschreibbaren Informationsverarbeitungsvorgänge, welche den individuellen Charakter der Medienrezeption ausmachen. Aber auch die Medien selbst können sich durch technische Pannen, sogenannte Störquellen, zwischen die intendierte Botschaft und den Empfänger stellen.

Nach der Lektüre des Buchs bleibt das Gefühl, das man trotz vieler interessanter, wenn sich auch oft überschneidender Ansätze dem Grundphänomen nicht wirklich auf die Spur gekommen ist. Die angestellten empirischen Untersuchungen mögen zwar einiges über das Verbraucherverhalten aussagen, kommen aber meist über eine reine Beschreibung der Sachverhalte nicht hinaus. Die direkte Wirkungsweisen von Medienbotschaften auf den Rezipienten bleibt hinter einer Vielzahl von Grafiken, Modellen und allgemeinen Theorien weiterhin diffus. Dass sich die Wirkung beim Nutzer individuell herstellt, ist zwar eine ebenso erfreuliche wie naheliegende Korrektur des Stimulus-Response-Modells, aber letztlich eine doch eher unbefriedigende Antwort auf die Wirkungsfrage. So bleibt unklar, ob die traditionellen (empirischen) Methoden der Medien-/ und Kommunikationswissenschaften überhaupt in der Lage sind, sich diesem Problem zu nähern. Psychologie und Hirnforschung können vielleicht in Zukunft einen Teil dazu beitragen, diese Phänomene noch rezipientenzentrierter zu beschreiben.


Titelbild

Michael Jäckel: Medienwirkungen. Ein Studienbuch zur Einführung.
VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2005.
327 Seiten, 24,90 EUR.
ISBN-10: 3531430734

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