Rendezvous der Mittler

Hans Manfred Bock und Kollegen porträtieren die Akteure des deutsch-französischen Kulturaustauschs im frühen 20. Jahrhundert

Von Roman LuckscheiterRSS-Newsfeed neuer Artikel von Roman Luckscheiter

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Gunter Narr Verlag, spezialisiert auf Publikationen der romanistischen Forschung, hat eine neue Reihe "Editions lendemains" als Sonderhefte zur Zeitschrift "Lendemains" gegründet. Seit Kurzem liegen zwei Bände vor, die der Kassler Politologe Hans Manfred Bock verfasst bzw. herausgegeben hat und die beide die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auf der Ebene der Intellektuellen behandeln. Der Sammelband, der zuvor schon auf Französisch erschienen ist, ging aus einem Kolloquium mit deutscher und französischer Beteiligung an der Berliner Humboldt-Universität hervor. Im Zentrum des gemeinsamen Interesses stehen die transnationalen Kulturbeziehungen und die Ansätze ihrer Erforschung. Dabei kristallisiert sich der Begriff des "Netzwerks" als besonders tragfähig heraus, um die Wege des Kulturtransfers personengebunden in den gebotenen Zusammenhängen rekonstruieren zu können. Der Band ist aufgeteilt in fünf Abschnitte, entsprechend der kulturellen Milieus: Diplomatie, Universität, Literatur, Kunst sowie zum Abschluss ein Blick auf spezifische Deutschlandwahrnehmungen in Reiseberichten aus Berlin und Ähnlichem der 20-Jahre.

Dass Projekte oftmals vollmundiger klingen als ihre reale Umsetzung, zeigt Guido Müller in seinem Beitrag über den Versuch, in Berlin ein "Studienkomitee" zur deutsch-französischen Elitenbegegnung zu gründen. Pierre Viénot als sein erster Direktor konnte 1927/28 seine vielfachen Kontakte nutzen, um eine Präsenz französischer Referenten in Berlin zu erreichen, die sogar die französische Botschaft eifersüchtig gemacht habe. In diesem Zusammenhang prägte Heinrich Mann 1928 den Begriff des "Locarno intellectuel". Doch weiterführende Vorhaben, wie beispielsweise die Bildung einer deutsch-französischen Journalistenkommission, die "gegen falsche Informationen und Irreführungen" hätte vorgehen sollen, ließen sich nicht umsetzen. Politischer Streit führte schon 1929 wieder zur Auflösung des Komitees. Ähnlich begrenzt verhält es sich mit dem Effekt des deutsch-französischen Hochschullehrer-Austauschs zwischen Berlin und Paris, den Christoph Charle als Beispiel der Netzwerkbildung untersucht. Das Interesse lag den Statistiken zufolge eher auf Seiten der Naturwissenschaften und war gemessen an der Austauschaktivität mit anderen Ländern eher spärlich. Hinzu kam, dass es aus französischer Sicht bisweilen opportuner erschien, Kontakte mit kleineren und neutralen oder aber dem Gebiet der Romanie angehörenden Nationen auszubauen. Gleichwohl spricht Charle von einer institutionalisierten Weltoffenheit, die um die Jahrhundertwende vorherrschte; die deutsch-französische Rivalität auf politischer Ebene konnte oft sogar argumentativ genutzt werden für die Beantragung binationaler Begegnungen. Ein Muster, das für heutige Drittmittelfahndungen aufschlussreich sein könnte.

Der Sammelband berücksichtigt ferner die französische Buchpolitik in Deutschland zwischen 1923 und 1933 mit einem Beitrag von Corine Defrance über das "Maison du livre francais" oder die Berichterstattung über das französische Kulturleben in der Weimarer Republik mit einem Beitrag von Francois Beilecke zur "Neuen Rundschau". Rezeptionsgeschichtlich aufschlussreich ist Marc Thurets Aufsatz zur Präsenz französischer Stücke auf Berliner Bühnen zwischen 1919 und 1933. Der Import wollte nur selten gelingen, und wenn er gelang, dann lag es entweder am berühmten deutschen Regisseur (Max Reinhardt inszenierte Romain Rollands schwachen "Danton") oder am zeitlos anspruchslosen Genre des "Plüschtheaters" aus dem 19. Jahrhundert. Die katholische Dramatik eines Paul Claudel feierte Erfolge in Wien, in Berlin blieb die Resonanz aus. Die Frankophilie insbesondere der linken Berliner Intellektuellen und Kritiker jedenfalls sah sich bitter enttäuscht, sobald es ums französische Theater in den konformistischen oder antimodernen Formen seines Exports ging.

Wie sehr die politische Position die jeweiligen Leistungen im Kulturtransfer dominierte, illustriert Hans Manfred Bock im zweiten Band der "Editions lendemains" in 14 Aufsätzen, die er in den letzten 20 Jahren bereits an verschiedenen Orten publiziert hat. Den einenden Rahmen der Sammlung garantiert der intellektuellensoziologische Ansatz. Die Galerie der "kulturellen Wegbereiter" in Zeiten politischer Konflikte umfasst u. a. Otto Grauthoff, Victor Klemperer, Paul Distelbarth, Henri Lichtenberger, André Francois-Poncet, Felix Berteaux und Pierre Berteaux; allein durch ihre Namensliste verweist die Publikation auf die Reichhaltigkeit des Themas. Hier sei nur kursorisch auf die Darstellung zweier Persönlichkeiten hingewiesen, die als Rezeptionskatalysatoren ihrerseits Objekt von Rezeptionsgeschichten wurden: Ernst Robert Curtius und Jacques Rivière.

Bocks Darstellung zu Curtius setzt sich von den emphatischen Würdigungen ab, die der Elsässer Romanist als Proto-Europäer in den letzten Jahren erfahren hat. "Historisch-kritisch" weist Bock auf den unpolitischen, ja riskanten Charakter seiner Einlassungen in der Weimarer Republik hin: "Was er in 'Deutscher Geist in Gefahr' verteidigte, das war das Wunschbild seiner Generation von einer aus dem Bergsonismus und dem Georgianismus genährten geistigen Erneuerung", mit dem eine kritische Einschätzung der nationalsozialistischen Gefahr "nicht möglich" gewesen sei. Auffällig ist in der Zusammenschau des Bandes, dass die deutsch-französischen Beziehungen, wie sie im literarischen Feld zustandekamen und von dort auf das intellektuelle Bewusstsein ausstrahlten, zu großen Teilen von den Autoren des Renouveau Catholique geprägt waren - was Bock leider nicht explizit abhandelt. Nicht nur, dass Curtius Autoren wie Barrès oder Péguy 1919 in seine stark wahrgenommene Darstellung der "Wegbereiter des neuen Frankreich" aufnahm; auch die Bekanntheit, die Jacques Rivière in Deutschland erlangte, verdankte sich neben dem Buch "L'Allemand" von 1918 vor allem dem Briefwechsel mit Paul Claudel, den er zwischen 1907 und 1914 geführt hatte und der 1928 auf deutsch erschien.

Mit einem Vergleich der beiden Publizisten Friedrich Sieburg, der 1929 "Gott in Frankreich?" veröffentlichte, und Pierre Viénot, der 1931 unter dem Titel "Incertitudes allemandes" die Krise der bürgerlichen Kultur in Deutschland erkannte, gelangt Bock zum "Ende des 'geistigen Locarno'". Zwischen die europäischen Gesprächspartner schob sich von deutscher Seite ein immer stärker werdender Nationalgedanke. Deutsch-französische Beziehungen, so könnte man auf der Suche nach einer Pointe des Buchs mutmaßen, gedeihen besonders gut, wenn die kreative Herausforderung einer schwelenden Krise gegeben ist. Sobald der Konflikt jedoch offen ausgebrochen ist, scheint ein fruchtbarer, emphatischer Dialog so unmöglich zu werden wie er in den friedlichen Zeiten binationaler Selbstverständlichkeiten uninteressant geworden zu sein scheint. Dem wäre in weiteren Bänden der neuen Edition nachzugehen.


Titelbild

Hans Manfred Bock (Hg.): Französische Kultur im Berlin der Weimarer Republik. Kultureller Austausch und diplomatische Beziehungen.
Gunter Narr Verlag, Tübingen 2005.
334 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3823361813

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Titelbild

Hans Manfred Bock: Kulturelle Wegbegleiter politischer Konfliktlösung. Mittler zwischen Deutschland und Frankreich in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.
Gunter Narr Verlag, Tübingen 2005.
412 Seiten, 39,90 EUR.
ISBN-10: 3823361821

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