Wellen

Therese Frey Steffen bemerkenswerte Einführung in Entstehung, Geschichte und Gegenwart der Gender Studies

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Drei Wellen prägen Therese Frey Steffen zufolge die Entwicklung der Frauenbewegung von ihren Anfängen um 1900 bis zu den Gender Studies des folgenden Jahrhundertwechsels, womit auch schon die erste und die letzte der drei Wellen benannt wären. Die dazwischenliegende zweite umfasst den Zeitraum von 1920 bis 1990. War bis in die jüngere Vergangenheit hinein nur von zwei Wellen der Frauenbewegung die Rede, so ist es heute unter Gender-ForscherInnen durchaus nicht ungewöhnlich, von einer Trias zu sprechen. Hat sich doch gerade in den letzten zehn, fünfzehn Jahren ein Paradigmenwechsel zumindest des wissenschaftlichen Feminismus vollzogen, der auf Judith Butlers Werk "Gender Trouble" fußt, einem, wie Frey Steffen betont, "in der Geschichte der Feminist und Gender Studies einmalig erfolgreichen Buch". Ungewöhnlich ist allerdings, dass sich die zweite Welle der Frauenbewegung bei Frey Stefan über siebzig Jahre hinweg erstreckt, ist es in der Geschichtsschreibung des Feminismus doch üblich, ihren Beginn in der Zeit der StudentInnenbewegung, also in den 1960er Jahren zu verorten. Frey Steffen allerdings rechnet aus nachvollziehbaren Gründen der zweiten Welle auch deren "Wegbereiterinnen" Virginia Woolf, Gertrude Stein, Zora Neale Hurston und Simone de Beauvoir zu.

Der in der Reclam-Reihe "Grundwissen Philosophie" erschienene Einführungsband zum Thema Gender unterscheidet sich auch noch in einer weiteren Hinsicht von den meisten der zahlreichen, in jüngster Zeit auf den deutschsprachigen Markt gekommenen Einführungen und Handbüchern zu Geschlechterforschung und Gender Studies, die nicht selten einen explizit sozialwissenschaftlichen Blickwinkel haben, wie etwa das "Handbuch der Frauen und Geschlechterforschung" von Ruth Becker und Beate Kortendiek oder sich ganz auf nur eine Disziplin konzentrieren, wie Hannelore Faulstich-Wielands "Einführung in die Genderstudien" auf die Erziehungswissenschaft. Ausnahmen bilden bislang vor allem die beiden von Christina von Braun und Inge Stefan herausgegebenen Bände "Gender-Studien" und "Gender@Wissen" sowie "Genus", das kürzlich in überarbeiteter Ausgabe erschienene Standartwerk von Hadumod Bußmann und Renate Hof. Im deutschsprachigen Raum bislang einzigartig ist nun allerdings, dass eine umfassend angelegte Einführung "aus der Perspektive der angloamerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaft" vorgelegt wird. Ein Blickwinkel, der sich nicht nur durch die fachliche Ausrichtung der Autorin, einer Professorin für Anglistik und Gender Studies, rechtfertigt, sondern auch dadurch, dass es sich bei der angloamerikanischen Literatur- und Kulturwissenschaft um die "Schlüsseldisziplin bei der Entstehung und Ausformung der Gender Studies auch im deutschen Sprachraum" handelt.

Sein Vorhaben, "die wesentlichen Fragen, Debatten und Fortschritte auf diesem emanzipatorischen Weg retrospektiv wie prospektiv aufzuzeigen und punktuell zu beleuchten", erfüllt der vorliegende Band mit Bravour. So liefert Frey Steffen einen ebenso konzisen wie informativen Abriss zur Geschichte und Entwicklung der Women's und Gender Studies insbesondere im angloamerikanischen Raum, beginnend mit den ersten Kämpfen um Frauenrechte zu einer Zeit, da die Unabhängigkeitserklärung der englischen Kolonien auf dem Neuen Kontinent noch ausstand. Hier wartet die Autorin mit etlichen, für die meisten der heutigen Studierenden sicher nicht nur unbekannten, sondern auch kaum noch vorstellbaren Fakten auf, wie etwa, dass die Widener Library der Harvard University bis 1968 für Frauen verschlossen blieb und erst aufgrund zunehmenden politischen Drucks geöffnet wurde. Darüber hinaus zeigt sich der historische Abriss ganz auf der Höhe des feministischen Wissenschaftsdiskurses und weist etwa - die jüngste Theoriegeschichte betreffend - darauf hin, dass sich Butler von einem "explizit soziologischen Ansatz" distanziert und darauf beharrt, dass Gender "diskursiv, sprachlich hergestellt" wird, was SozialwissenschaftlerInnen hierzulande oft übersehen. Auch verharrt Frey Steffens Butler-Rezeption anders als diejenige etlicher deutschsprachiger Gender-Theoretikerinnen nicht im Jahr 1995 oder gar 1991 (damals erschienen "Bodies That Matter" bzw. "Gender Trouble"), sondern geht in angemessener Ausführlichkeit auch auf die 2004 unter dem Titel "Undoing Gender" erschienene Textsammlung der kalifornischen Gender-Theoretikerin ein. Wie Frey Steffen zusammenfasst, beschäftigt sich Butler in diesem Band "verstärkt mit den Möglichkeiten und Resultaten einer Auflösung heteronormativer Grenzen" und legt dar, dass ein "normatives Konzept von gender [...] einer (homoerotischen, transsexuellen) Person ein echtes, selbstbestimmtes Leben verunmöglichen (undo), einmal überwunden (undone), jedoch eine neue ungewohnte Geschlechtsidentität erst ermöglichen" kann. Zudem bewege sich Butlers Kritik "an den 'gender politics'" nunmehr stärker "im Rahmen menschlicher Persistenz, Anerkennungs- und Überlebensstrategien". Daher bedeute der titelstiftende Topos von Butlers Sammelschrift, undoing gender, nicht etwa die "Auflösung oder Negierung" des Begriffs doing gender. Vielmehr betone er die "subversive Strategie" und "den Preis, den Individuen für diese Transgression bestehender Normen noch immer bezahlen: die Gratwanderung zwischen ihrem undoing und ihrem becoming undone".

Im Anschluss an den (wissenschafts-)geschichtlichen Abriss beleuchtet Frey Steffen den aktuellen deutschsprachigen Diskurs um "gender als Wissens- und Analysekategorie" und geht auf die sowohl konkurrierenden als auch einander befruchtenden Überschneidungen der Gender Studies mit den Gay/Lesbian Studies und den Queer Studies, mit den Postcolonial Studies und schließlich mit den Masculinities Studies ein. Während Frey Steffen das Spannungsverhältnis zwischen Gender Studies und Postcolonial Studies nicht weiter erörtert, legt sie gegenüber Robert C. Connells Konzept der "hegemonialen Männlichkeit" - das sie nachdrücklich von den "ausgesprochen antihegemonialen, profeministischen Ausrichtung der New Men's Studies" unterscheidet - ein erfreulich kritisches Verhältnis an den Tag. Möge Connells Konzept auch "offen und dynamisch" angelegt sein, so berge es in seinem "Kern" doch einen "maskulinen Herrschaftsanspruch", da es sich "nicht wirklich und konsequent" von der "patriarchalischen Dualität Mann - Frau" löse, in der die Frau "männlich dominiert" bleibe. So biete Connells Geschlechterentwurf denn auch "keinen Ausweg aus der Sackgasse hegemonialen Vorrechts", sondern zementiere "geläufige Rollenmuster". Es sei daher zu fragen, "inwieweit Antonio Gramscis Hegemonialkonzept in Connells Theoriegebäude nicht fruchtbar durch einen radikal kontingenten Hegemoniebegriff, wie er von Ernesto Laclau und Judith Butler vertreten wird, erweitert oder gar ersetzt werden könnte".

An den Masculinities Studies insgesamt moniert Frey Steffen, dass sie (wie seinerzeit die frühen Women's Studies) noch heute "weitgehend in geschlechtsspezifischer Exklusivität" verfahren. Und auf offen sexistische Werke wie Robert Blys "Eisenhans" (1991) geht sie verständlicherweise gar nicht erst ein.

In ihrem abschließenden Ausblick, sieht die Autorin einen "Zwei-Kulturen-Kampf" im Gange, womit sie nicht etwa den vermeintlichen Kampf zwischen Islam und Christentum meint (bei denen es sich ja auch nicht um zwei Kulturen, sondern nur um zwei Varianten eines religiösen Verblendungszusammenhangs handelt). Vielmehr spricht sie von der "'Familienkultur' mit ihren traditionellen Normen, Werten und hierarchischen Geschlechterverhältnissen" einerseits und "eine[r] Art 'queer cultur', welche die zweigeschlechtliche soziale Ordnung relativiert", andererseits. Auf welcher Seite sie sich in diesem Kampf sieht, ist keine Frage. Ein zweites 'Schlachtfeld' eröffne die "Rebiologisierung" durch die neue "Leitwissenschaft" life science. "Somit liegen die Handlungsbereiche der Gender Studies einerseits im Forschungsfeld 'Kulturkampf', andererseits in der Auseinandersetzung mit den 'Lebenswissenschaften'". All dies ist ebenso konzis wie verständlich dargelegt.

Gibt es an Frey Steffens Einführung, die alles Zeug zu einem Standardwerk hat, also überhaupt etwas zu monieren? Nein, wenn man nicht gerade auf Quisquilien abheben will wie etwa, dass Angela Davis wohl kaum ausgerechnet aufgrund ihrer früheren Mitgliedschaft bei den von Machos und Sexisten geprägt Black Panthers "absolute Glaubwürdigkeit" genießt, dann gibt es wirklich rein gar nichts an dem Buch auszusetzen. Angesichts der Qualitäten des Bandes wären derlei Einwände kleinlich, sodass wir sie hier denn auch nicht vorbringen wollen, zumal sie nur einige Randständigkeiten betreffen. Darum sei Therese Frey Steffens Einführung in das Thema Gender an dieser Stelle einfach uneingeschränkt empfohlen.


Titelbild

Therese Frey Steffen: Gender.
Reclam Verlag, Stuttgart 2006.
143 Seiten, 9,90 EUR.
ISBN-10: 3379203076
ISBN-13: 9783379203074

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