Worte wie Musik

Samuel Becketts kurze Stücke für Fernsehen, Bühne und Radio

Von Christina LangeRSS-Newsfeed neuer Artikel von Christina Lange

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Inzwischen weiß es jeder: Nicht nur Mozart und Freud hätten, wären sie noch am Leben, in diesem Jahr einen runden Geburtstag gefeiert, sondern auch Samuel Beckett, der irische Nobelpreisträger von 1969. 100 Jahre alt wäre der Autor des inzwischen beinah sprichwörtlich gewordenen Stücks "Warten auf Godot" 2006 geworden - und das ist Anlass genug für den Suhrkamp Verlag, einen Band mit den so genannten kurzen Stücken herauszugeben, die Beckett zwischen den Jahren 1956 und 1984 für die Bühne, aber auch Medien wie Fernsehen und Radio verfasst hat. Der größte Teil der Übersetzungen, sowohl aus der französischen als auch der englischen Sprache, ist dabei von dem Übersetzer-Ehepaar Erika und Elmar Tophoven vorgenommen worden.

Gerade der Umgang mit Sprache zeichnet Becketts kurze Stücke im Besonderen aus, weshalb die Aufgabe der Übersetzer nicht unterschätzt werden sollte. Noch stärker als in seinen anderen Texten reduziert Beckett Handlung und gesprochenen Text auf ein Minimum. Auch der Bühnenkontext bei seinen als Dramentexten konzipierten Stücken wie "Nicht ich" oder "Spiel" wird so stark minimalisiert, dass man seine Vorgaben schon fast als eine Negation der üblichen Theaterformen ansehen kann. Becketts Figuren sind längst nicht mehr unbedingt Menschen; "Nicht ich" zum Beispiel ist ein Bühnenmonolog, ausschließlich von einem angestrahlten Mund gesprochen. Das titelgebende Fernsehspiel "Nacht und Träume", das gerade einmal anderthalb Seiten umfasst, sieht das "Erscheinen" zweier vom menschlichen Körper losgelösten Hände vor, der linken Hand L und der rechten Hand R. Hinzu kommt, dass in "Nacht und Träume" kein Wort mehr gesprochen wird. Die, bei vielen anderen Stücken bereits zerstörten Sätze brechen hier nun völlig weg und machen dadurch Platz für das Mittel der Musik, denn das kurze Stück ist nach einem Lied von Schubert benannt, das hier auch seinen Auftritt hat.

Wie wichtig die Rolle der Musik für Becketts Werk ist, lässt sich an verschiedenen Beispielen aus dem vorliegenden Band belegen, sei es in dem für das Fernsehen konzipierten Text "Geister-Trio", das Bezug nimmt auf Beethovens 5. Klaviertrio, oder auch in Becketts erster Arbeit für das BBC von 1956, dem Hörspiel "Alle, die da fallen". Den Status eines Protagonisten (und einer gleichzeitigen Titelfigur) erlangt die Musik in dem Hörspiel "Worte und Musik", wo Beckett einen auditiven Wettstreit zwischen eben der Musik, die hier Bob heißt, und den Worten, die den Namen Joe tragen, inszeniert. Das absurd anmutende Streitgespräch zwischen Worten und Musik birgt oftmals eine groteske Komik, die allerdings meistens einhergeht mit Elementen wie Verzweiflung und Angst. Dieser Drahtseilakt zwischen - fast sprachloser, handlungsarmer - Komödie und Tragödie zeichnet Beckett als Meister seines Fachs aus.

Doch spiegelt sich die Wichtigkeit der Musik nicht nur auf inhaltlicher Ebene in Becketts Texten wieder. An mancher Stelle zeigt sich eine derartige Tiefe und Dichte in seinen knappen Sätzen, dass es nicht übertrieben scheint, zu behaupten, der Verfasser arbeite als "Wortkomponist", nicht "bloß" als Schriftsteller.

Verschiedene weitere Motive finden sich immer wieder in Becketts kurzen Stücken. Häufig bedient er sich dem Mittel der Wiederholung, die oft stellvertretend ist für die Ausweglosigkeit und Erstarrtheit, die viele von Becketts Figuren verkörpern. Als Beispiel sei hier Becketts Protagonist Krapp genannt, der in "Das letzte Band" per Tonband auch auf rein technischer Ebene eine Umsetzung findet, bereits Aufgezeichnetes zurückzuspulen und neu abzuspielen. Ebenso weisen viele Stücke eine ausgeprägte Selbstreferenz auf oder deuten die Möglichkeit des Selbstbezugs zumindest an. So scheint der Leser in "Ohio Impromptu" der Doppelgänger des Hörers zu sein, mit dem er an einem Tisch sitzt, und der Hörer wiederum ähnelt dem Protagonisten aus jener Geschichte, die der Leser dem Hörer vorliest. Eine ähnlich gespiegelte Situation scheint sich zu entfalten, wenn in dem Stück "Tritte" die niemals zur Ruhe kommende Protagonistin May ihrer körperlosen Mutter, die nur als Stimme präsent ist, von dem Mädchen Amy erzählt. Nicht ausschließlich die Tatsache, dass Amy ein Anagramm der Namens May ist, sondern auch der Inhalt der von May erzählten Geschichte legen die Vermutung nahe, dass May und Amy identisch sein könnten.

So stark Beckett seine Sprache und Handlung auch reduziert und scheinbar vereinfacht hat, so groß ist die Intensität der verdichteten Texte. Sie ermöglicht dem Leser, indem sie ihn gleichzeitig verwirren und faszinieren kann, eine große Bandbreite möglicher Interpretations- und Empfindungsansätze. Vorausgesetzt, der Leser (oder auch Zuhörer/Zuschauer) kann sich der eigenwilligen Poesie eines Samuel Beckett öffnen.


Titelbild

Samuel Beckett: Nacht und Träume. Gesammelte kurze Stücke.
Übersetzt aus dem Französischen und Englsichen von Erika und Elmar Tophoven.
Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
359 Seiten, 24,80 EUR.
ISBN-10: 3518417649

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