Schemenleben

Bettina Balàkas Debütroman "Der langangehaltene Atem"

Von Lutz HagestedtRSS-Newsfeed neuer Artikel von Lutz Hagestedt

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine junge Frau, Künstlerin, bekommt eine seltsame Botschaft. Ein "fremder Freund" schickt ihr eine E-mail, anonym und ohne Kennung, mit dem Auftrag, das Naturhistorische Museum Wien aufzusuchen und Zeichnungen der dort ausgestellten Tiere anzufertigen. Nach einer ebenfalls anonym erfolgten Geldüberweisung nimmt sie den Auftrag an. Doch die Zoologische Sammlung ist muffig und staubig, in den Pelzen der Primaten sitzt der Mottenfraß, der Malaienbär verliert alle Haare - und schon sind die Nähte zu sehen, die der Taxidermist hinterlassen hat. Kein Motiv für eine Künstlerin, denn auch mit Farben läßt sich hier nichts machen: Alles im Museum ist braun, und nichts ist so gut konserviert, "als daß es sich nicht in dieses Braun auflösen würde". Gleichwohl, so will es der geheimnisvolle Auftraggeber, soll sie zeichnen, "selbst wenn es nur Glasscheiben sind, hinter denen ein Schemenleben vor sich geht."

Schemenleben ist ein Stichwort auch für das Leben der Künstlerin. Sie schläft mit Maximilian, aber "ohne jedes Gefühl". Durch einen schwülstigen Brief hat sie Max vergrätzt. In Kirchen und Museen muß sie immer an Sex denken - ausgerechnet. Böse Begierden, Leidenschaften und "Gelegenheiten zur Sünde" kennt sie nur in der Fantasie. Zwar ist sie mit Alfred befreundet, einem Kostümbildner, aber der ist homosexuell. Und Venezuela, der oder die Transsexuelle aus Alfreds Laufkundschaft macht ihr bewusst, daß sie ihr "Frausein" nicht ernst nimmt.

Kein Zweifel, Anna Graziani führt ein reduziertes Leben. Sie kommuniziert brieflich, telefonisch oder via E-mail, und sie kommt kaum unter Leute, von lemurenhaften Museumswärtern abgesehen. In regelmäßigen Abständen liefert sie ihrem Auftraggeber Zeichnungen. Ihr Gönner und Geldgeber rät ihr, "sich unter die Sex-Touristinnen zu mischen". Ein seltsamer Vorschlag, aber Anna spielt nur gedanklich damit, auf Reisen zu gehen. Bei Probenarbeiten zu Wedekinds "Lulu" gelingt es ihr schließlich, "die Steifheit, die Gefrorenheit" ihres Körpers und ihrer Seele zu durchbrechen. Lulu ist quasi der Gegenentwurf zur Erzählerin, triebhaft, ungehemmt, amoralisch - und als Alter Ego die ganze Zeit präsent.

Bettina Balàka, 1966 in Salzburg geboren, hat ein sehr bemühtes und artiges Buch geschrieben, dazu anspielungsreich und gebildet. Mit dem Hause Kuckuck und dem Herrn Hurtado steht sie auf freundschaftlichem Fuße. Doch abgesehen von den neuen und virtuellen Wirklichkeiten, die hier thematisiert werden, liest sich ihre Prosa steif und ledern, so, als müsse auch die Autorin den inneren Kristall erst noch zerschlagen.

Titelbild

Bettina Balàka: Der langangehaltene Atem.
Verlag?, Wien 2000.
144 Seiten, 15,30 EUR.
ISBN-10: 3854205333

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