Der Deutschometer schlägt aus

Matthias Matusseks Nationalstolz kommt nicht ohne Überheblichkeit aus

Von Alexis EideneierRSS-Newsfeed neuer Artikel von Alexis Eideneier

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Eine lustige Zeit war das damals: Als Matthias Matussek vor einigen Jahren das Londoner SPIEGEL-Büro leitete, stand sein Bruder Thomas der deutschen Botschaft am feinen Belgrave Square vor. Nach und nach ergab sich zwischen beiden eine eigenartige geschwisterliche Arbeitsteilung: Ersterer beschimpfte die Briten, letzterer entschuldigte sich dafür.

Inzwischen ist Matussek als "Spiegel"-Kulturchef nach Hamburg zurückgekehrt, und wie sein jüngstes Buch unter dem Titel "Wir Deutschen" zeigt, schimpft der Heimgekehrte so leidenschaftlich wie selten zuvor. Nicht gegen Deutschland, sondern gegen die Anderen. Plädiert noch der Titel für die Ausbildung eines neuen, umfassend verstandenen nationalen Wir-Gefühls, so geht Matusseks Liebeserklärung an seine Heimat bereits im Untertitel auf Kosten der Nachbarn: "Warum uns die anderen gern haben können" verheißt nicht nur ein Portfolio von Vorzügen, die unser Land so liebenswert machen. Es bringt auch die Ablehnung von Nationen zum Ausdruck, derer der Autor während seiner langjährigen Korrespondententätigkeit überdrüssig geworden ist. Deshalb stellt er deutsche Meriten in den Dienst eines exzessiven Überlegenheitsgebarens und wertet all jene ab, die Zweifel anmelden, wenn die wieder erstarkte deutsche Nation ihre Muskeln spielen lässt.

So kommt es seiner Vaterlandsliebe keineswegs zugute, wenn Matussek England als den geistlosesten Ort im Universum und die Engländer als das bei weitem unsympathischste Volk auf Erden bezeichnet. Hier fängt der "Deutschometer", mit dem der Verfasser scherzhaft den Grad von Patriotismus misst, wie wild zu schlagen an. Auch ist es, mit Verlaub, nichts als Chauvinismus, wenn er anmerkt, ein paar Regeln täten der kleinen verregneten Insel mit ihren verdreckten Krankenhäusern und den entgleisenden Zügen ganz gut. In den ehemaligen englischen Kohlerevieren würde man die Aufbauarbeit der neuen Bundesländer sicher beneiden, meint Matussek. Mag sein. Aber ist das nun ein Grund, sich über strukturschwache Gebiete erhaben zu fühlen?

Niemand findet es schön, wenn deutsche Kinder oder Lehrer in englischen Schulen als Nazis beschimpft werden. Ebenso wenig macht es Spaß, in vermeintlich vornehmer Londoner Gesellschaft mit Hitlergruß empfangen zu werden. Alles geschenkt, der Rezensent kennt die Ignoranz vieler Briten gegenüber Europa und die Fixierung auf den Zweiten Weltkrieg aus eigener Anschauung. Aber im Kontext eines Buchs, das sich bemüht, die angeschlagene Identität der deutschen Kulturnation zu rekonstituieren, sind derart verallgemeinernde Ressentiments gegen andere Nationen kontraproduktiv.

Sieht man von etlichen unerträglichen Passagen dieser Art ab, wird Matusseks Buch auf einmal angenehm lesbar, denn es eröffnet einen großen Panoramablick über Deutschland. Oft kommen einem die Texte bekannt vor, denn in diesem Band sind zahlreiche Wiederabdrucke bereits im "Spiegel" erschienener Beiträge versammelt. Leider bringt diese besondere Entstehungsgeschichte auch mit sich, dass die einzelnen Kapitel oft nur in einem losen Zusammenhang stehen: Matussek stellt Humboldt und Heine vor, unterhält sich mit Harald Schmidt über deutsche Tugenden und mit Peter Sloterdijk über die 68er, nimmt auf dem Wohnzimmersofa der Familie Klum in Bergisch Gladbach Platz, betrachtet die Autostadt Wolfsburg und erzählt sogar von seinen Begegnungen auf dem Flur des Düsseldorfer Arbeitsamts. Diese und weitere Streifzüge durch die deutsche Popkultur ergeben eine materialreiche Gesamtschau aus unterschiedlichsten Perspektiven, die jedem empfohlen sei, der unser Land kennen lernen möchte.

Matusseks Ausgangsbefund lautet, dass ein Deutscher als Deutscher oft kein Selbstbewusstsein hat - demgemäß finden sich Bausteine für einen neuen Nationalstolz in dem Buch zuhauf. Unterentwickelt bleibt allein die Frage, wozu eine neu gewonnene deutsche Identität denn überhaupt gut sein könnte. Geht es im Zeitalter der Globalisierung nicht vielmehr um die Ausbildung eines kosmopolitischen Ethos, einer weltweiten Friedens- und Verantwortungsgemeinschaft? Dass eine neue deutsche Selbstachtung diesem Ziel keineswegs entgegen stehen muss, zeigt Matusseks Gespräch mit Hagen Schulze. Der Historiker weiß, dass ein guter Weltbürger nur werden könne, wer zunächst ein guter Bürger des eigenen Landes sei. Nur eine selbstbewusste Nation könne auch großzügiger sein im Umgang mit dem Anderen. Nach der anregenden Lektüre dieses Buches wünscht man sich dennoch, dass sich der Nationalstolz des Autors noch ein wenig in Richtung dieser Toleranz entwickeln möge.


Titelbild

Matthias Matussek: Wir Deutschen. Warum die anderen uns gern haben können.
S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2006.
352 Seiten, 17,90 EUR.
ISBN-10: 3100489225

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