Als Jesus Christ gemaltet ward

Hans Belting untersucht die theologische Prägung der europäischen Bildkultur

Von Rainer ZuchRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rainer Zuch

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Was ist ein echtes Bild?", lautet die Eröffnungsfrage des Buchs. Die Argumentation beginnt jedoch schon auf dem Schutzumschlag. Wir haben einen Text, nämlich den Titel: "Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen", und ein Bild, das auch ohne detailliertes kunsthistorisches Hintergrundwissen als eine Abbildung einer Darstellung des Schweißtuches der Veronica identifiziert werden kann, welches das Antlitz Christi darstellt und als "Vera Icon" zentraler Bestandteil der europäischen Kunstgeschichte ist. Setzt man Text und Bild zueinander in Beziehung, gelangt man fast automatisch zu mehrere Fragen, die im Inneren des Buchs auch ausführlich diskutiert werden: Die Abbildung des Schweißtuchs ist natürlich ohne Abstriche ein Bild, aber trifft dies auch auf das Schweißtuch selbst zu? Ist dieses Bild des Erlösers ein echtes, wahres Abbild, wie ja schon seine Titulierung als "Vera Icon" nahelegt? Sah der Mensch und damit sichtbar gewordene Gott also so aus? Aber was ist das für ein Bild, das ja nicht als Konterfei von fremder Hand vor uns tritt, sondern als Abdruck des realen Körpers? Ist eine Körperspur ein Bild? Oder ist es ein Bild, das sich als Körperspur ausgibt?

Über das Medium des Tuchs wird dem Gläubigen die reale - oder die einmal real gewesene, bereits hier fängt der Bilderstreit an - Präsenz des göttlichen Körpers versichert. Ein Maler kann erfinden, fantasieren, komponieren, kurz: die "Wahrheit" der sinnlich wahrnehmbaren Natur verändern, also "verfälschen". Bilder stehen von vornherein unter dem Verdacht, mit der Abbildung der Welt eher freizügig umzugehen. Dieses Bild jedoch nicht, denn es ist nicht von Menschen gemacht, sondern vom "Original" (der Körper Christi) geprägt, ein Einbruch Gottes in die Welt der Menschen. Aber kann das "Original" (das Schweißtuch) überhaupt "abgebildet" werden, da es doch gar nicht mehr greifbar war?

Der Bildcharakter des "wahren Bildes" - durch die christliche Kunstgeschichte ist es gleich in zwei Formen gewandert: als Vera Icon und als das Mandylion der orthodoxen Kirche -, das als solches zum Kernbestand christlicher Bildtheologien gehört, war Gegenstand jahrhundertelanger Kontroversen. Es ist deshalb ein idealer Anknüpfungspunkt für die von Hans Belting entwickelte Bild-Anthropologie, die die bildwissenschaftliche Frage, was ein Bild sei, an dem Verhältnis von Bild, Körper und Medium entwickelt.

Auf der ersten Seite macht Belting mit einem einfachen Beispiel klar, dass die an den "wahren Bildern" des Christentums entwickelten Vorstellungen bis in die säkulare Gegenwart wirken. Die Frage nach der Realität des Abgebildeten, ob es ein Ab-Bild oder ein Abdruck der Wirklichkeit sei, wird in gleicher Weise an das Medium der Fotografie herangetragen, deren Objektivitätsanspruch damit begründet wurde, daß ein Licht-Bild ein Licht-Abdruck des fotografierten Objekts sei. Die Bestimmung des Verhältnisses von Bild und Realität, so argumentiert Belting, unterliegt nach wie vor bildtheologischen Dispositionen; das europäische Bildverständnis ist tiefer von Religiosität geprägt als es in unserer säkularisierten Kultur den Anschein hat.

Diesen Bogen zur Gegenwart schlägt Belting leider nur in der Einleitung, in der er einige viel versprechende Gedanken lediglich anreißt, aber es ist zu hoffen, dass er sich das für eine spätere Veröffentlichung aufhebt. Sein historisches Gewicht legt er auf die Spätantike und die byzantinischen Ikonoklasmen sowie die Entstehungszeit des Protestantismus, zwei Zeiträume, in denen das Verhältnis von Bild und Realität entscheidend geprägt wurde.

Dabei entwickelt er eine Argumentationskette, in der er so verschiedene Begriffe wie Vera Icon, Mandylion, Maske, Persona, Idol, Bild und Zeichen, Corpus Christi und Gesicht schlüssig aufeinander bezieht. Belting belegt, dass die Lehre von den zwei Naturen Christi, von der die eine, die leibliche und sinnlich wahrnehmbare die Verkleidung der göttlichen, nicht wahrnehm- und deshalb auch nicht darstellbaren sei, auf den antiken Persona-Begriff bezogen werden muss, der soviel wie die "Maske" eines Schauspielers oder die vom Privaten zu unterscheidende öffentliche Person bedeutet, somit vom Träger ablösbar erscheint und seinerseits in die neuzeitliche Konnotation des Gesichts als Ausdrucksträger einging. Womit sich die Frage stellt: Was sieht man, wenn man ein Gesicht sieht? Die Frage, ob in Christusbildern nur die sterbliche Hülle abgebildet wird oder Gott selbst "erscheint" (!), hat Bildbefürwortung und Bildfeindschaft in theologische Positionen verwandelt und die Auseinandersetzung zwischen Bild (eidos, ikon) und Zeichen (Wort, Symbol, logos) bis in die Neuzeit getragen. Die Ablehnung der Idolatrie war zudem in der Spätantike ein zentrales christliches Argument gegen heidnischen Bilderkult, dem ja lediglich eine Verehrung von Bildern unterstellt wurde, die auf keinerlei göttlichen Rückhalt rechnen könnten. Bildfragen sind Glaubensfragen und darüber hinaus Fragen der Macht, denn wer die Bilder und ihre Nutzung kontrolliert, also die Medienpraxis beherrscht, setzt seine Vorstellungen vom Bild durch und damit die vom Verhältnis des Bildes zur Realität.

Hans Belting zählt zu den wenigen zeitgenössischen Kunsthistorikern, die den Mut und den Atem für einen großen theoretischen Wurf haben und dies auch noch in einem gut lesbaren Stil vermitteln können. Das hat er bereits in den Büchern gezeigt, deren Ansätze er hier weiterentwickelt: "Bild und Kult" von 1990 und "Bild-Anthropologie" von 2001. Seine These, dass Bilder durch die Ambivalenz von Medialität und Körperlichkeit bestimmt werden, führt dazu, dass sich Bild und Körper im Medium überlagern, weshalb eine säuberliche Trennung in der Anschauung unmöglich wird und dies entscheidende theologische Konsequenzen hat. Dies an historischen Wendepunkten der europäischen Bildgeschichte dargelegt und deren Relevanz für die Gegenwart gezeigt zu haben, ist kein geringes Verdienst.


Titelbild

Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen.
Verlag C.H.Beck, München 2005.
240 Seiten, 29,90 EUR.
ISBN-10: 3406534600

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