Zurück in die Welt

Ute Ströbeles Studie zu den Klosteraufhebungen unter Joseph II.

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Der Gang ins Kloster als Rückzug aus dem weltlichen Leben wurde als historisches Phänomen wie auch als literarischer Topos bereits häufiger beschrieben und untersucht. Zumeist wird dabei das Kloster als eigener Lebensbereich mit besonderen Regeln der säkularen Welt außerhalb entgegengesetzt; diskutiert werden entsprechend die Folgen, die der Wechsel zwischen diesen beiden Lebenswelten für die betroffenen Personen und ihr persönliches Umfeld mit sich bringt. Auffällig ist indessen, dass dieser Sphärenübergang und seine Auswirkungen in der Regel eindimensional betrachtet werden: Thema ist - bis auf seltene Ausnahmen - der Gang aus der Welt ins Kloster; dessen Umkehrung, die Rückkehr aus dem Kloster in die Welt also, stößt dagegen meist auf deutlich geringeres Forschungsinteresse.

Idealtypisch betrachtet könnte diese Herangehensweise durchaus als adäquat angesehen werden, da in der theologischen Theorie die Wahl einer monastischen Existenz zunächst als grundsätzlich endgültige und damit unumkehrbare Entscheidung gilt. Befasst man sich allerdings mit der historischen Realität in Mittelalter und Früher Neuzeit, so wird deutlich, dass der umgekehrte Weg, die Rückkehr aus dem Kloster in die Welt, aus verschiedenen Gründen gleichfalls nicht selten beschritten wurde.

Eine mögliche Form dieser Rückkehr, die unfreiwillige Vertreibung aus dem monastischen Lebensraum in Zusammenhang mit staatlichen Klosteraufhebungen, hat Ute Ströbele in ihrer 2005 erschienenen Studie "Zwischen Kloster und Welt" einer genaueren Untersuchung unterzogen. Gegenstand ihrer Darstellung ist die 1782 im Kontext der josephinischen Kirchenreformen erfolgte Aufhebung von weiblichen Kommunitäten der Franziskaner-Tertiarinnen in den österreichischen Vorlanden. Ströbele beschreibt zunächst den Zustand der entsprechenden Klöster zum Zeitpunkt der Aufhebung, ebenso wie die vorhergehende Klosterpolitik Josephs II. Dabei arbeitet sie klar heraus, dass die eigentliche Aufhebung nur den Schlusspunkt einer Reihe von Maßnahmen bildete, die das Ziel hatten, Kommunitäten abzuschaffen, die als zu ausschließlich der Kontemplation verpflichtet galten und damit als für das staatliche Allgemeinwohl als nutzlos erachtet wurden: Schon seit Mitte der 70er Jahre wurden verstärkt Versuche unternommen, die Anzahl der entsprechenden Konvente durch Zusammenlegungen zu reduzieren oder diese zur Krankenpflege und zur Mitwirkung an der Mädchenbildung zu verpflichten. Während allerdings auf der einen Seite die Aktionslosigkeit und Nutzlosigkeit der Kommunitäten kritisiert wurde, versuchte man gleichzeitig, deren bis dahin bestehende relativ große wirtschaftliche Selbstständigkeit und die Möglichkeiten zur Selbstverwaltung - beispielsweise durch Einführung einer strengen Klausur - weitgehend einzuschränken. Als Argument für dieses Vorgehen wurde die Gefahr der Verweltlichung und des Sittenverfalls geltend gemacht - Gründe, die später auch für die Aufhebung der Klöster angeführt wurden. Hinsichtlich dieser Argumentation stellt Ströbele fest, dass entsprechende Vorwürfe aus heutiger Sicht kaum haltbar sind: Die historischen Quellen weisen auf ausgesprochen wenige Einzelfälle hin, in denen ein tatsächliches Fehlverhalten der Nonnen diesbezüglich vorlag. Anstelle sich also auf tatsächliche Missstände zu beziehen, zeigt die Kritik an den weiblichen Kommunitäten somit ein in sich äußerst widersprüchliches Argumentationsmuster: Übernahmen die Nonnen aktiv Verantwortung für ihre wirtschaftliche Situation, indem sie die Verwaltung ihrer Güter leiteten oder sich in Herstellung und Handel mit Textilien oder anderen Gebrauchgegenständen wie z. B. Kerzen engagierten, wurde ihnen zu große Freizügigkeit vorgeworfen; befolgten sie dagegen die geforderte strenge Klausur, richtete sich die Kritik gegen ihre angebliche "Nutzlosigkeit" für die Allgemeinheit. In dieser disparaten Diskussion, die auf den ersten Blick wirkt, als ziele sie allein auf die um jeden Preis angestrebte Abschaffung der Klöster ab, spiegelt sich indessen wohl in erster Linie eine gewisse Ratlosigkeit der Zeitgenossen des späten 18. Jahrhunderts einer Lebensform gegenüber wider, die wenig zu den neu aufkommenden aufklärerischen und bürgerlichen Idealen passen wollte: Während im Mittelalter und zu Beginn der Neuzeit dem für das allgemeine Seelenheil zuständigen Klerus innerhalb des feudalen Ständesystems eine fraglos akzeptierte wichtige Rolle zukam, wurde nun in Rahmen rationaler und säkularisierender Tendenzen die Forderung nach einem konkret nachweisbaren, über das Praktizieren von Fürbittengebeten hinausgehenden Nutzen der Nonnen für die Allgemeinheit erhoben. Diese Forderung allerdings ließ sich kaum mit dem neuen bürgerlichen Frauenbild verbinden, das eine strengere Beschränkung der Frau auf das Umfeld von Haus und Familie vorsah.

Auch durch die Aufhebung der Franziskanerinnenklöster wurde allerdings diese Problematik eines angemessenen Umgangs mit einer augenscheinlich durch die Obrigkeit als unzeitgemäß empfundenen Lebensform nur auf eine andere Ebene verschoben: So beschreibt Ströbele anschaulich und detailliert die große Anzahl an praktischen Schwierigkeiten, die diese Vorgehensweise nach sich zog - nach der Enteignung des Klosterbesitzes musste nicht nur eine ausreichende finanzielle Unterstützung der Frauen gewährleistet werden, die eine vollständig neue persönliche Ausstattung benötigten (angefangen bei der Kleidung, da das Habit abgelegt werden musste); es war gleichfalls darüber zu entscheiden, wie die ehemaligen Nonnen ihr weiteres Leben ganz konkret verbringen sollten: Durch das häufig vorangeschrittene Alter der Frauen war eine Rückkehr in die elterliche Familie meist nicht mehr möglich, das von der Mehrzahl der ehemaligen Franziskanerinnen angestrebte weitere Zusammenleben in inoffiziellen Gruppen war ebenso wenig erwünscht wie deren selbstständiges Alleinleben, das zudem aufgrund rechtlicher Schwierigkeiten kaum zu ermöglichen war. Darüber hinaus gab es mehrere sehr alte bzw. kranke Personen, deren bisher durch die Kommunitäten gewährleistete Pflege nun von anderer Stelle übernommen werden musste. Abgesehen von diesen finanziellen und organisatorischen bzw. juristischen Schwierigkeiten war auch die Reaktion der Nonnen selber, ebenso wie die ihres sozialen Umfeldes, ihrer Familien und Gemeinden, schwer einzukalkulieren - Ströbele rekonstruiert auf der Grundlage verschiedener Quellen, dass sich im Rahmen der Aufhebungen teilweise dramatische Situationen abspielten, die für alle Beteiligten - selbst für die staatlich Beauftragten, die diese durchführten - sehr belastend gewesen sein müssen. Gerade diese Szenen zeigen dabei, dass man keinesfalls von einer allgemeinen oder überwiegenden Ablehnung der Konvente in der Bevölkerung ausgehen kann: Oft setzte sich die lokale Geistlichkeit, die bei der Entscheidung über die Auflösung üblicherweise nicht einbezogen wurde, aktiv für das Weiterbestehen der Klöster ein. Ähnlich versuchten teilweise auch die Gemeinden, die Maßnahmen zu verhindern oder wenigstens aus humanitären Gründen bis zum "natürlichen Absterben" der Konvente, die keine neuen Mitglieder aufnehmen durften, zu verzögern, sogar einige der für die Aufhebungen zuständigen Kommissare zeigten Sympathien für die betroffenen Nonnen.

Insgesamt legt Ute Ströbele also eine Studie vor, die zwar mit den josephinischen Klosteraufhebungen eine kurze historische Ereignisfolge ins Zentrum stellt, davon ausgehend aber einen überraschend breiten Einblick in das oftmals nicht unproblematische alltägliche Zusammenleben verschiedener sozialer Gruppen und deren Lebensentwürfe im späten 18. Jahrhundert erlaubt; besonders deutlich tritt dabei der Zusammenstoß zwischen fortschrittlich orientiertem Staatsdenken und traditionellen Lebensformen hervor. Zu kritisieren wäre in diesem Zusammenhang höchstens die an einigen Stellen überbordende Materialfülle: Ströbele wertet Daten und Quellen zu insgesamt 23 Klöstern aus - damit dürfen ihre Ergebnisse durchaus als nahezu repräsentativ gelten; gelegentlich fällt jedoch dem Leser die Orientierung bzw. die Fokussierung auf den Einzelfall trotz einer Reihe übersichtlicher Tabellen eher schwer. Gerade dieser Materialüberfluss zeigt indessen, dass sich hier ein lohnendes Forschungsgebiet öffnet: Es steht fest, dass der Weg aus dem Kloster zurück in die Welt wenigstens ebenso viel Interesse verdient wie der Weg hinein.


Titelbild

Ute Ströbele: Zwischen Kloster und Welt. Die Aufhebung südwestdeutscher Frauenklöster unter Kaiser Joseph II.
Böhlau Verlag, Köln 2005.
347 Seiten, 42,90 EUR.
ISBN-10: 3412111058

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