Einmal Krone und zurück

Veronica Buckley beschreibt das Leben der schwedischen Königin Christina

Von Ines HeiserRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ines Heiser

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hans Magnus Enzensbergers "Andere Bibliothek" ist bekannt für schöne, hochwertig gestaltete und außergewöhnliche Bücher. Insofern passt auch Veronica Buckleys Erstling, eine Biografie der schwedischen Königin Christina, Tochter des großen Gustav Adolf, ausnehmend gut in diese Reihe: Buckley erzählt das Leben einer facettenreichen und schillernden historischen Persönlichkeit, einer Königin, Kunstmäzenin, Politikerin und Intrigantin, deren erlebnisreicher Werdegang in vieler Hinsicht typisch für die Epoche des Barock ist. Die der bibliophilen Reihe entsprechende äußere Aufmachung dieses in königlich gold-blauer Marmorierung gebundenen, mit aufwendigem Frontispiz und einer großen Anzahl Abbildungen von Gemälden und Stichen der auftretenden Personen sowie eleganten Initialen zu Beginn jeden Kapitels versehenen Bandes scheint so gleich doppelt angemessen.

Ausgehend von der 1620 erfolgten Eheschließung zwischen Christinas Eltern, König Gustav Adolf und der Brandenburgerin Maria Eleonora, beschreibt Buckley in einem ersten Teil Geburt und Erziehung der schwedischen Kronprinzessin, deren Jugendjahre unter der Regentschaft des Kanzlers Axel Oxenstierna nach dem Tod des Königs 1632 in der Schlacht von Lützen sowie Christinas eigene Herrschaft über Schweden bis zum Thronverzicht 1653. Ein zweiter Teil befasst sich mit dem weiteren Leben der Königin nach ihrer Abdankung und ihrem Übertritt zum Katholizismus, das sie - kaum noch in Schweden - auf Reisen im europäischen Ausland, die längste Zeit über aber in Rom, das später auch ihr Alterssitz werden sollte, verbringt.

Beruhte Christinas Biografie nicht auf historischen Ereignissen, ein Romancier könnte sie nicht bunter, skurriler und dramatischer erfinden: Schon früh vaterlos und ohne Geschwister wächst die junge Prinzessin am schwedischen Königshof auf, hin- und hergerissen zwischen dem Einfluss der düsteren, psychisch labilen Königinwitwe einerseits und dem des getreuen Reichsverwalters Oxenstierna andererseits, einem engen Freund Gustav Adolfs, der ihr eine sorgfältige Ausbildung durch die besten Erzieher zukommen lässt. Eigenwillig und selbstbewusst schlägt sie verschiedene lukrative Heiratsangebote aus, um selbst und allein herrschen zu können. Sie sammelt Kunstwerke und wertvolle Bücher, lädt bekannte Wissenschaftler und Philosophen nach Schweden ein. Trotz aller Umtriebigkeit und trotz des Erfolgs ihrer Politik - es gelingt ihr, weitgehend unabhängig von den großen Adelsfamilien zu bleiben - fühlt sie sich durch das Leben als Königin Schwedens indessen in der Entfaltung ihrer persönlichen Interessen zunehmend eingeengt, sodass sie schließlich mit 28 Jahren die Krone an ihren Cousin Karl Gustav übergibt und ein neues europäisches Leben beginnt. Auch dieses neue Leben ist allerdings wie das alte von ihrer Leidenschaft für Kunst, Musik und andere Unterhaltungen geprägt, ebenso wie von weiteren politischen Händeln und Intrigen. So unternimmt sie etwa den Versuch, die Krone Neapels, später auch die Polens, für sich zu erlangen oder löst im protestantischen Hamburg anlässlich einer Papstwahl - wohl nicht ganz unbeabsichtigt - katholikenfeindliche Unruhen aus.

Buckleys Darstellung dieser Ereignisse zeigt große Liebe zum Detail und ist in der Regel fundiert recherchiert, die - in dieser Ausgabe auch der Übersetzerin Xenia Osthelder zu verdankende - bewusst 'altmodisch' gehaltene Sprache fügt sich elegant und harmonisch zum präsentierten Gegenstand. Überraschend ist dabei allerdings der leicht gereizte und oft recht herablassende Tonfall, den die Biografin in Zusammenhang mit der von ihr porträtierten Christina bisweilen anschlägt: Buckley betont wiederholt und vehement die absolute Unfähigkeit der Königin, mit Geld umzugehen, ihre große Naivität gegenüber egoistischen Günstlingen, ihre große Unbeherrschtheit, Sprunghaftigkeit, Egozentrik und totale Selbstüberschätzung der eigenen persönlichen und politischen Fähigkeiten - in nichts, so scheint es, entspricht Christina den Vorstellungen Buckleys von einer "guten" Königin. Verständlicher wäre diese Kritik, wenn seitens der schwedischen Königin tatsächlich gröbere Verstöße gegen damalige Sitten und Regierungspflichten vorlägen; in Buckleys Biografie scheint es jedoch manches Mal eher so, als lasse sich die Autorin in erster Linie von persönlichen Werturteilen leiten und habe sich nicht eingehend genug mit dem historischen Hintergrund befasst, um bestimmte Verhaltensweisen angemessen einordnen zu können; zudem unterzieht sie die ihr vorliegenden Überlieferungszeugnisse nur selten einer zureichenden Quellenkritik, sodass manche Äußerungen, die recht klar als Propaganda zu erkennen sind, für bare Münze genommen werden.

Ein gutes Beispiel für eine solche überzogene Kritik bietet Buckleys Darstellung der 1650 stattfindenden Krönungsfeierlichkeiten. Buckley verweist hier auf Missernten und Hungersnot, die in diesem Jahr in Schweden herrschten, und führt dann weiter aus, Christina habe, "Kaiser Nero nicht unähnlich", diese "Monate der Verzweiflung" damit verbracht, ihre Krönung vorzubereiten. Sicherlich mag diese Verhaltensweise aus heutiger Sicht eher befremdlich erscheinen - stärker zu berücksichtigen wäre allerdings, dass innerhalb der insbesondere vom Repräsentationsgedanken geprägten Herrschaftsauffassung des Barock Christinas Handeln durchaus nachvollziehbar und angemessen erscheint: Als Tochter des großen Gustav Adolf und offizielle Vertreterin einer politisch-militärischen Großmacht war es geradezu ihre Pflicht, ohne Rücksicht auf die wirtschaftlichen Umstände eine prunkvolle Thronbesteigungszeremonie abzuhalten; ein entsprechender Festakt diente dem Wohl des Landes, indem er ihren Machtanspruch und ihre Machtfülle demonstrierte und - gerade auch gegenüber dem Ausland - aufrecht erhielt. Christina, dies geht aus mehreren von Buckley zitierten Briefen hervor, verstand sich im Einklang mit den Herrschaftsvorstellungen ihrer Zeit klar als von Gott erwählte, souveräne Herrscherin - die Ideen eines aufgeklärten Absolutismus, dass der Herrscher erster Diener des Volkes zu sein und vor allem zu dessen Wohl zu handeln habe, mussten ihr natürlicherweise fremd sein, da diese erst etwa hundert Jahre später, ab der Mitte des 18. Jahrhunderts, größere Verbreitung fanden; sie können insofern kaum als gültiger Maßstab für ihr Wirken als Herrscherin Schwedens herangezogen werden.

Während also in einigen Punkten die Darstellung Buckleys zu sehr von persönlichen Ansichten und Wertungen ex post beeinflusst wird, vertraut sie an anderer Stelle zu sehr auf ihre historischen Gewährsleute: Gerade hinsichtlich des angeblich exzentrischen Verhaltens Christinas in sexueller Hinsicht greift Buckley begeistert alle kolportierten Gerüchte über einen möglichen Hermaphrodismus der Königin wie auch über ihre vorgebliche Promiskuität oder lesbische Liebschaften auf. Zwar lässt sie gelegentlich den ein oder anderen Hinweis einfließen, dass einige dieser Nachrichten übertrieben sein könnten, allerdings verkennt sie auch hier die grundsätzliche Situation: Berichte über "sexuelle Abartigkeit" gleich welcher Couleur stellen einen festen Topos innerhalb der Herrschaftskritik gegenüber Königinnen dar - verdächtig ähnliche Anekdoten werden genauso in Zusammenhang mit Elisabeth I. von England, später auch über Marie Antoinette und andere berichtet. Der historische Kern dieser Erzählungen dürfte allerdings im Wesentlichen jeweils darin zu finden sein, dass es die erste Pflicht der Königin war, Erben für den Thron hervorzubringen, deren Abstammung auch von Seiten des Vaters unzweifelhaft war. Eine Königin, die diese Pflicht nicht erfüllen konnte oder wollte, war sozusagen per se zur Herrschaft ungeeignet - weswegen sich auch öffentliche Polemik gegen eine regierende Königin oft weniger auf möglicherweise komplexe politische Sachverhalte als auf das leicht zu vermittelnde Problem ihrer "ehelichen Tugend" bezog. Gerade als unverheiratete Frau ohne Nachkommen machte sich Christina zudem in dieser Hinsicht besonders angreifbar - dass die adelige und bürgerliche Opposition zur Herrschaft in Schweden ihre Propaganda besonders gegen diese Schwachstelle richtete, ist nur allzu leicht nachzuvollziehen.

Ähnliches wie für die vermeintlichen sittlichen Verfehlungen der Königin muss sehr wahrscheinlich auch für den mehrfach erhobenen Vorwurf der Wahl unstandesgemäßer Berater gelten: Die Behauptung, der "schlechte" Herrscher lasse sich durch Scharlatane - oft wie in Christinas Fall angebliche Schauspieler und Akrobaten - in seinen politischen Aktionen beeinflussen, lässt sich als Stereotyp in dieser Form bereits für die antiken Kaiser nachweisen - auch hier wäre also eine weit sorgfältigere Überprüfung der Quellen auf ihren tatsächlichen Wahrheitsgehalt hin notwendig gewesen.

Insgesamt bleibt Buckleys Biografie jedoch trotz dieser Einwände ein sehr lesenswertes, informatives und farbenprächtiges Buch, das die Ereignisse des späten 17. Jahrhunderts rasant und kurzweilig schildert; der historischen Königin Christina als politischer und privater Persönlichkeit und ihrem Handeln vor dem Hintergrund einer durch bestimmte Eigenschaften bestimmten Epoche wird es indessen nicht ganz gerecht.


Titelbild

Veronica Buckley: Christina, Königin von Schweden. Das rastlose Leben einer europäischen Exzentrikerin.
Übersetzt aus dem Englischen von Xenia Osthelder.
Eichborn Verlag, Frankfurt a. M. 2005.
552 Seiten, 32,00 EUR.
ISBN-10: 3821845570

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