Bedingt brauchbar

Reinhold Jaretzkys Einführung in Leben und Werk Bertolt Brechts

Von Kai KöhlerRSS-Newsfeed neuer Artikel von Kai Köhler

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

"Brauchbar" - dies Wort galt, so berichtet Hanns Eisler in seinen Gesprächen mit Hans Bunge, als höchstes Lob, das Bertolt Brecht seinen Mitarbeitern aussprechen mochte. Angesichts einer Vielzahl von Gesamtdarstellungen und Detailstudien zum Werk des Autors ist daher bei jeder neuen Publikation eben nach der Brauchbarkeit zu fragen.

Reinhold Jaretzky setzt sich in seinem als rororo-Monografie erschienenen, reihenbedingt schmalen Buch nicht zum Ziel, neue Erkenntnisse darzustellen, sondern Werk und Leben anschaulich zu skizzieren. Der Anschaulichkeit dient vor allem eine reiche Bebilderung. Die kluge Auswahl stellt oft gesehene Fotos neben unbekanntere Bilder. Besonders die frühen Abbildungen zeigen die Techniken des jungen Autors, sich selbst zu inszenieren und damit auf dem literarischen Markt zu etablieren. Viele Fotos präsentieren Brecht mit wichtigen Wegbegleitern und vor allem Wegbegleiterinnen und stellen so das Umfeld heraus, in dem ein solches Werk entstehen konnte.

Dieses Werk auf geringem Raum zu skizzieren, verlangt Mut zu verkürzen und auch wegzulassen. Hier Einwände zu erheben, ist leicht. Bei Jaretzka erscheint Brecht vor allem als Autor von Theaterstücken. Fast allen beendeten Stücken (aber nicht den zuweilen wichtigeren Fragmenten wie "Fatzer" oder "Brotladen") sind kurze Einführungen gewidmet. Verglichen damit sind die Gedichte schon deutlich knapper vorgestellt. Brechts theoretische Arbeiten, die freilich in ihrer Zersplitterung und der Arbeit am widersprüchlichen Begriff auch viel schwerer zu fassen sind, werden ebenso kurz abgehandelt wie seine Prosa an den Rand rückt. Selbst eine so breit rezipierte Textgruppe wie die "Keuner-Geschichten" ist in einem - nicht sehr instruktiven - Absatz zusammengedrängt.

Darin besteht der Preis für eine Darstellung der Stücke, die insgesamt überzeugend ist - auch in ihrer sprachlichen Form. Jaretzky weiß prägnant das ästhetisch wie in den späteren Werken auch politisch Wesentliche der Stücke wiederzugeben. Seine Sprache ist weitgehend frei von Jargon, nur ganz gelegentlich unterlaufen ihm klischeehafte Wendungen; nirgends biedert er sich dem Lesepublikum an, das er als lernendes ernst nimmt.

Allenfalls wünschte man sich hier und dort einige Hinweise auf Spannungen, die die Werke durchziehen; auf Widersprüche innerhalb der Werke, die Brechts Denken lebendig erhielten und ihn stets neue Lösungen suchen ließen. Zum Beispiel ist es ja richtig, dass Brecht in der Erstfassung von "Mann ist Mann" von 1926 die Entindividualisierung der Hauptfigur positiv als Anpassung an die Erfordernisse einer neuen, industriellen Zeit darstellt; und gleichzeitig lassen sich Belege für Jaretzkys These finden, dass sich Brecht "von Mythos und Glorifizierung der Sachlichkeit stets fern gehalten" habe. Nur: Wie passt das zusammen? Was in isolierter Werkbeschreibung jeweils überzeugt, lässt doch Brechts Bezug auf die Neue Sachlichkeit insgesamt ambivalent erscheinen, ohne dass Jaretzky solche Konfliktfelder explizit benennen würde.

Wie die Darstellung des Werks Stärken und Schwächen hat, so auch die des Lebens. Hier stand Jaretzky vor der Schwierigkeit, dass Selbstbekenntnisse Brecht fern lagen. Besonders in den frühen Jahren dominiert dagegen eine Behauptung von Kälte, die als Inszenierung allzu leicht zu durchschauen ist. Von einem Innenleben, über das man wenig weiß, hält sich Jaretzky denn auch weitgehend fern; dass er psychoanalytisch grundierte Behauptungen über eine angebliche Mutterfixierung Brechts in die Darstellung der Jugend einbaut, bleibt zum Glück folgenlos.

Brechts weiteres Leben erscheint dann als bestimmt durch die Auseinandersetzung mit äußeren Umständen. Deutlich wird, wie sich Brecht taktisch geschickt als Autor etabliert und sich Arbeitszusammenhänge schafft, die seine enorme Produktivität erst ermöglichen. Im Gegensatz zu manchen Forschern der letzten Jahre bleibt Jaretzky hier angenehm fern von jedem Moralismus. Brecht erscheint bei ihm nicht als Ausbeuter fremder Arbeitskraft, sondern als Autor, der Ideen Anderer stets ins Eigene zu verwandeln wusste und dabei manchen Menschen in seiner Umgebung zur Produktivität verhalf.

Brechts problematisches Verhältnis zu Frauen spart Jaretzky dabei nicht aus. Deutlich wird, wie Brecht stets die Kontrolle über seine zahlreichen Beziehungen zu bewahren wusste und wohl oft verlangte, was seinen Partnerinnen als Zumutung erscheinen musste; wie er dabei aber stets mit offenen Karten spielte und die Frauen als selbstverantwortliche Personen souverän in Verhältnisse einwilligten, die später moralisierend allein Brecht angelastet wurden.

Jaretzkys Buch ist ein wenig zu sehr auf die Zeit vor dem amerikanischen Exil ab 1941 fixiert. Die letzten anderthalb Jahrzehnte von Brechts Leben sind vergleichsweise kurz abgehandelt. Schwachpunkt ist besonders die Darstellung der letzten Jahre in der DDR. Jaretzky unternimmt viel, um die Spannungen zwischen Brecht und der politischen Führung herauszuarbeiten. Demgegenüber erscheint es als marginal oder gar als selbstverständlich, dass Brecht in der materiellen Not der Nachkriegsjahre immerhin ein eigenes Theater, an dem er seine ästhetischen Positionen erproben und fortentwickeln konnte, bekam.

Wer nur Jaretzkys Buch kennt, dürfte sich fragen, warum eigentlich Brecht in der DDR blieb, mit der ihn nur so wenig zu verbinden scheint. Eine wenigstens kurze Erwähnung der westdeutschen Verhältnisse dieser Zeit und damit zumindest der Konflikte, in denen sich alle fortschrittlichen Schriftsteller der 50er Jahre bewegten, wäre notwendig gewesen, um diesen Lebensabschnitt zu verstehen: den aggressiven Antikommunismus, die kaum behinderten Karrieren von Nazis im Adenauer-Deutschland, die es einem Linken wie Brecht sinnvoll erscheinen ließen, auch mit einer als fehlerhaft erkannten DDR solidarisch zu bleiben.

Man kann sich über manches ärgern in Jaretzkys Buch: über die willkürlich ausgewählten und annähernd sinnfrei an den Rand gedruckten Brecht-Zitate etwa, die nur die Seiten unruhiger erscheinen lassen - wie auch die lexikonartigen Kurzbiografien von Lion Feuchtwanger, Kurt Weill und Helene Weigel, deren Auswahl unverständlich ist. So haben die Komponisten Eisler und Dessau jedenfalls dauerhafter mit Brecht zusammengearbeitet als Feuchtwanger. Fragwürdig ist auch das Fazit, in dem Jaretzky von Brechts Kommunismus und Brecht als "Lehrmeister" nichts mehr wissen will und das Vergnügen an seiner Literatur ins Zentrum rückt. Nun aber sollte nach Brecht auch gerade Lernen Vergnügen bereiten und ist es alles andere als beliebig, was es zu lernen gilt. Erst die Verbindung mit bestimmten Inhalten führt zu Welthaltigkeit und zu jenem Konflikt, über den zu denken es sich lohnt. In einer Zeit neuer Kriege und neuer sozialer Kämpfe erscheint jedenfalls ein Streit über Brechts politische Positionen nützlicher denn je.

Ist also Jaretzkys Buch brauchbar? Ja, als Einführung in Brechts Theaterwerk und als sachlich gehaltener und prägnant formulierter Überblick über die ersten fünfzig Jahren seines Lebens. Die auch politischen Widerspruchsstrukturen des Werks und damit seine Produktivität für heute aber bleiben zu beleuchten.


Titelbild

Reinhold Jaretzky: Bertolt Brecht.
Dargestellt von Reinhold Jaretzky.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006.
143 Seiten, 8,50 EUR.
ISBN-10: 3499506920

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