Vom Expressionismus und Hermann Hesse

Zwei neue Bände der Werkausgabe von Hugo Ball

Von Thomas NeumannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Thomas Neumann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Hugo Ball, Schriftsteller, Essayist und Redakteur, existiert im kulturellen Gedächtnis vor allem als Mitbegründer des Dadaismus. Dass sein Schaffen und der scheinbar häufige "Positionswechsel" in seinem Werk keine Sprunghaftigkeit oder Zufälligkeit ist, dokumentieren die nach und nach im Wallstein Verlag erscheinenden Bände einer umfassend angelegten Brief- und Werkausgabe.

Neben seiner Arbeit als Redakteur setzte sich Ball mit der Psychotherapie und mit Exorzismus auseinander. In die Zeit seiner redaktionellen Tätigkeit fällt auch die Veröffentlichung seines Buchs "Zur Kritik der deutschen Intelligenz". Der schon bei Wallstein erschienene Briefwechsel von Hugo Ball gibt Auskunft über den Kontext der Entstehung des Bandes - und vor allem auch über dessen "Veränderungsgeschichte". Diese "autorinterne" Rezeption ist denn auch versuchsweise vollständig dokumentiert in der vorliegenden Edition. Der Band enthält zwei Fassungen des 1919 erschienenen Buchs "Zur Kritik der deutschen Intelligenz". Grundlage für dieses war ein Reihe von kleineren Artikeln für die "Freie Zeitung" in Zürich. Die Artikel waren 1917/18 entstanden und als Abrechnung mit "der alldeutschen Ideologie" angelegt. Konstatiert wurde eine alleinige Kriegsschuld des lutherisch-preußisch-idealistisch-militaristischen Deutschen Reichs. Dies stieß in der öffentlichen Diskussion zu diesem Zeitpunkt nicht überall auf wohlwollende Aufnahme.

Die Zeiten sollten sich aber wie so oft ändern, denn ein Jahr später fand der Autor zur katholischen Kirche zurück. 1924 wollte er dann in der zweiten Auflage des Buchs die Inhalte an seine neue Weltanschauung anpassen. Daraus entstand unter einem neuen Titel das gleiche Buch noch einmal: "Die Folgen der Reformation". Es erschien 1924 und hat insofern den Status einer Ausgabe letzter Hand. Ball strich darin z. B. das kritische Nachwort von 1919 - ohne dies irgendwie zu kommentieren oder gar zu dokumentieren. Dies blieb dem Herausgeber der vorliegenden Ausgabe vorbehalten. Dabei ist der vorliegende Band in mehrfacher Hinsicht aufschlussreich für Balls intellektuelle und individuelle Entwicklung. Denn zusammen mit den drei auch schon im Rahmen dieser Ausgabe erschienenen Briefbänden kann man die Problematik von Balls "Weltanschauungsänderungen" anhand der Textunterschiede beider Buchfassungen anschaulich nachvollziehen. Dabei ist nur auf editorischer Seite die Entscheidung unverständlich, den Band mit dem Text von 1924 zu eröffnen und vor der Fassung von 1919 anzuordnen. Damit wird das Editionsprinzip der "Ausgabe letzter Hand" favorisiert. Über diese editorische Kritik hinaus gibt es kaum negative Anmerkungen. Der Band bietet hervorragendes Material zu Balls innerer Entwicklung und zu seinen wechselnden Positionen im Literaturbetrieb.

Weniger weltanschaulich geprägt ist im Vergleich zu den "Folgen der Reformation" Balls Biografie über den Schriftsteller Hermann Hesse. Mit Vorstudien zu dem Projekt hatte Ball schon Mitte der 20er Jahre begonnen. Ausführliche Notizen zu seiner Hesse-Lektüre dokumentieren die Vorarbeiten an der Biografie. Nachweise dieser Studien findet man im Nachlass Balls - diese sind im Anhang des vorliegenden Bandes durch Reproduktionen dem Leser zugänglich gemacht worden. 1927 erschien die Biografie im S. Fischer Verlag, nur vier Monate vor seinem Tod. Es sollte das erfolgreichste zu Lebzeiten erschienene Buch Balls werden - und das nicht ohne Grund. Es ist die erste umfassende Darstellung von Hesse als Schriftsteller. Sie sollte zum Ausgangspunkt einer Vielzahl von Monografien zu Leben und Werk Hesses werden. Dabei ist es verwunderlich, wie die von Ball getroffenen Bewertungen und Einschätzungen bis in die Gegenwart ihre Gültigkeit bewahrt haben. So sind es auch immer kraftvolle Darstellungen und Bilder, in denen Ball den Menschen und Schriftsteller Hesse in der gegenseitigen Durchdrungenheit von Leben und Werk zeigt. Etwa wenn er - mutatis mutandis - Hesses "Zwischenbilanz" der 20er Jahre beschreibt: "Hesse bezeichnet es einmal als das Geheimnis aller großen Kunst, zu bezaubern durch das geheimnisvolle Zusammenarbeiten einer ungewöhnlichen Geistigkeit mit einer ebenso ungewöhnlichen Sinnenkraft. Beide Pole, die Geistigkeit und die Sinne, sind bei Hesse ungewöhnlich entwickelt. Nur eben nicht, wie beim geborenen Harmoniker, in ihrer Zusammenarbeit, sondern gerade in einer Spinnefeindschaft."

Im Anhang der Ausgabe findet der Leser die vom Herausgeber Volker Michels beigegebenen Materialien, als da sind: ein kurzes Geleitwort zur Edition, einige Reproduktionen von den Vorarbeiten Hesses, ein sehr nützlicher Abschnitt mit "Sachkorrekturen" zur Hesse-Biografie sowie zeitgenössische Rezensionen und ein ausführliches Nachwort. Abgeschlossen wird der Band durch ein Register. Michels hat mit der Routine des erfahrenen Editors einen schönen Band aus der Rezeptionsgeschichte Hermann Hesses ediert, der zu einem der voraussichtlichen Höhepunkte der Ball-Edition avanciert. Mit der dezenten Art des Herausgebers ist eine für den Leser rundherum positiv zu bewertende Leseausgabe gestaltet worden, die nicht der wissenschaftlichen Grundlagen entbehrt. Und damit tritt der Text von Ball in den Vordergrund, der wiederum einen neu zu lesenden Hesse vor den Augen des Lesers auferstehen lässt: "Es gibt neben dem Idylliker und Asketen einen robusten, veitstänzerischen, flagellantischen Hesse. Es gibt neben dem schwermütigen Dichter des 'Demian' einen überschäumenden, girrenden, tönenden Klingsor, der über zehn Leben verfügt. Es gibt, seit dem 'Steppenwolf', einen Hesse, dem der Furor Teutonicus so gut bekannt ist wie der kleine schmachtende Pennäler. Er weiß die Harfe zu schlagen, daß sie unheimlich surrt und dröhnt, nachdem sie vergebens gesäuselt und gesungen hat."


Titelbild

Hugo Ball: Sämtliche Werke und Briefe. Band 5: Die Folgen der Reformation. Zur Kritik der deutschen Intelligenz.
Herausgegeben von Hans Dieter Zimmermann.
Wallstein Verlag, Göttingen 2005.
526 Seiten, 38,00 EUR.
ISBN-10: 3892447772

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Titelbild

Hugo Ball: Sämtliche Werke und Briefe. Band 8: Hermann Hesse: Sein Leben und sein Werk.
Herausgegeben von Volker Michels.
Wallstein Verlag, Göttingen 2006.
220 Seiten, 22,00 EUR.
ISBN-10: 3892447802

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