Georgien und andere Fürstentümer

Ulrich Raulff versammelt Essays zu ästhetischen und politischen Utopien vom Künstlerstaat

Von Rolf LöchelRSS-Newsfeed neuer Artikel von Rolf Löchel

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Erst seit der Renaissance sei die "Erscheinung des 'Künstlerstaats'" bekannt, konstatiert Ulrich Raulff in der Einleitung eines von ihm herausgegebenen Sammelbands zu eben diesem Phänomen. Das mag wohl zutreffen, das Bestreben, einen solchen zu schaffen, ist jedoch weit älter. Zumindest, wenn man Egon Flaig glaubt, der in Nero einen Künstler sah, der sich auf den römischen Thron verirrte. Nero, so führt Flaig aus, wollte als Kaiser "die enorme Ressourcen des Weltreiches" dafür nutzen, als Künstler leben zu können. "Freilich ignorierte er beharrlich, daß es einen Künstler auf dem römischen Thron niemals geben konnte." Warum Nero mit seinem Vorhaben scheitern musste, legt Flaig in einem luziden Beitrag des vorliegenden Bands dar.

Weit weniger prätentiös, doch dafür umso erfolgreicher waren rund anderthalb Jahrtausende später die Anstrengungen der - wie Raulff nicht zu Unrecht sagt, "von halb Europa umworbene[n]" - Hofkünstler und Holfieranten, zunächst bedeutenden Werkstätten vorzustehen und später in "Zentren eigener kleiner Künstlerhöfe" zu residieren. Wieder einige Jahrhunderte später lebte und dichtete Goethe in Weimar. Vom dem vermeintlichen Dichterfürsten sagt Ernst Osterkamp, er sei weder das eine noch das andere gewesen, "weder ein mit Herrschaftsgewalt ausgestatteter Fürst noch ein Fürst unter den Dichtern." Auch sei Weimar "gewiß nicht" die Stadt Goethes gewesen und schon gar kein Künstlerstaat, "weder der Struktur noch den Möglichkeiten noch gar der Intention nach". Die Überzeugungskraft der Gründe, die er für seine Thesen anführt, steht derjenigen, die Flaig für die seinigen vorbringt, durchaus nicht nach.

Der Herausgeber selbst widmet sich dem zu Beginn des 20. Jahrhunderts gegründeten "Land Georgien" und seinem Herrscher Stefan dem Ersten und Einzigen. In dessen Reich sei "die Idee vom idealen Staat der Künstler (oder in diesem Fall: eines Künstlers) noch einmal zur Blüte und zur Entfaltung gelangt".

Nicht einzelnen Dichterfürsten oder Künstlerstaaten, sondern dem Verhältnis von Dichter und Fürst, von Künstler und Staat widmet sich Horst Bredekamp und konstatiert, dass "[t]ief im Innern" jeder Herrscher wisse, dass ihm der Künstler überlegen sei, "weil dieser nicht ersetzt werden kann". Allerdings, so könnte man hinzufügen, ist auch so mancher Herrscher für so manchen Künstler nicht ohne weiteres zu ersetzen, als Mäzen nämlich. Man denke nur an Richard Wagner und Ludwig den II. Ihnen, dem "Alt-Revoluzzer" und dem "Dulderkönig", widmet sich Jens Malte Fischer.

Eine Beitrag zu den Metamorphosen der Metapher "Dichterfürst" beschließt den auf ein im März 2004 vom Wissenschaftskolleg zu Berlin veranstaltetes Symposium zurückgehenden Band würdig. Eberhard Lämmer hat ihn verfasst.


Titelbild

Ulrich Raulff (Hg.): Vom Künstlerstaat. Ästhetische und politische Utopien.
Carl Hanser Verlag, München 2006.
187 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3446207236

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