Unter passiven und aktiven Humoristen

Manfred Geiers "Philosophie des Humors"

Von Ludger LütkehausRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ludger Lütkehaus

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Es ist vielleicht die hübscheste, jedenfalls die populärste Urszene der Philosophie: Thales von Milet, der ionische Naturphilosoph, fällt vor den Augen einer lachenden jungen thrakischen Magd in einen Brunnen, weil er nicht auf den Boden vor sich, sondern in den bestirnten Himmel über sich blickt. Seitdem gehören die Philosophen bevorzugt zu jener eigentümlichen Spezies Mensch, die Jean Paul die "passiven Humoristen" nennt. "Das Lachen der Thrakerin" - so Hans Blumenberg - ist geradezu sprichwörtlich geworden.

Bei näherer Betrachtung der Anekdote erweist sie sich sogar noch witziger, als auf den ersten Blick ersichtlich ist, wie sich jetzt Manfred Geiers "Kleiner Philosophie des Humors" entnehmen lässt. Die Thrakerin soll nicht nur witzig, sondern auch ziemlich ansehnlich gewesen sein. Wer dem bestirnten Himmel über sich den Vorzug vor den schöneren Dingen des Lebens hienieden gibt, ist selber schuld, wenn er in den Brunnen fällt.

Die letzte Pointe der Anekdote ist freilich die, dass die vergnügte Thrakerin eben jenen Typus des Lachens kultiviert, der in der Philosophiegeschichte des Lachens von der Antike bis zur europäischen Aufklärung bestimmend geworden ist: das Auslachen, das Verlachen, das Lachen der Superiorität. So betrachtet, ist die scheinbar antiphilosophische Thrakerin selber Philosophin gewesen. Philosophen wie Mägde kommen offenbar darin überein, dass sie den Kopf gerne oben behalten, selbst, gerade, wenn sie lachen.

Manfred Geier erzählt von dieser wie zahlreichen anderen Anekdoten und Aperçus aus der Philosophiegeschichte des Humors von Demokrit und Diogenes über Shaftesbury, Wieland und Kant, Schopenhauer und Kierkegaard bis zu Sigmund Freud und Karl Valentin mit jenem urbanen Witz, der schon sein zuletzt erschienenes Buch über "Kants Welt" zu einer so erfreulichen Lektüre gemacht hat. Der Obertitel "Worüber kluge Menschen lachen" gibt sich selbstredend als ironisches Kompliment zu erkennen. Das Lachen der Superiorität ist bei aller Hochschätzung der von Demokrit gestifteten Tradition Geiers Sache weniger. Zwerchfell statt descartesscher Zirbeldrüse!, lautet vielmehr die Devise. Wo es um das Lächerliche geht, gibt es meist nur wenig zu lachen. Das inklusive humoristische Lachen, das weiß, dass wir alle früher oder später im Brunnen liegen, dieses Lachen, in dem passive und aktive Humoristen identisch werden, liegt Geier näher. Manchmal hätte man sich bei der Lektüre aber Anlass für eine noch exzessivere Lachlust gewünscht.

Geier geht es um eine Philosophie des Humors, die auch für den Humor der Philosophie und der Philosophen sowohl im Sinne des Genitivus objectivus wie subjectivus, eben der passiven wie der aktiven Humoristen offen ist. Die meist der Humorfreiheit verdächtige deutsche Tradition kommt dank der schönen Wieland-, Kant-, Schopenhauer- und Freud-Porträts (wo bleibt Lichtenberg, wo Heine?) weit erfreulicher als üblich weg. Das glänzende Shaftesbury-Porträt erinnert mit dem "Test of Ridicule", der experimentellen "Probe des Lächerlichen", an jenen Härtetest, von dem sich eine wieder aktualisierte Aufklärung zu Zeiten des grassierenden Fundamentalismus eine unterhaltsamere Form des Überlebens versprechen könnte, jede halbwegs gelungene Karikatur der unerlässliche "Test of Ridicule".

Ansteckender als die Verlachstücke philosophischer Superiorität freilich in jeder Hinsicht das "Endspiel der Metaphysik", das Geier zum seligen Ende als inklusives philosophisches Narrenstück inszeniert, in dem es buchstäblich um nichts geht. Martin (sc. Heidegger), der Martin-Kritiker Rudolf (sc. Carnap) und der kritische Theoretiker Max (sc. Horkheimer) werden hier im Zeichen von Alfred Jarrys "Roi Ubu" mit lauter schönsten Originalzitaten zu passiven Humoristen befördert. Wenn es um nichts, um Nichts geht - und worum geht es am Ende sonst -, dann muss auch die Metaphysik endlich zur "Pataphysik" werden.


Titelbild

Manfred Geier: Worüber kluge Menschen lachen. Kleine Philosophie des Humors.
Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006.
283 Seiten, 16,90 EUR.
ISBN-10: 3498025015

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