Religion in Wellness und Neuen Medien

Gelehrte äußern sich über religiöse Phänomene in der Moderne

Von Ursula HomannRSS-Newsfeed neuer Artikel von Ursula Homann

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Jeder möchte ein glückliches und zufriedenes Leben führen. Die heutige Informationsgesellschaft stellt hierfür eine Vielzahl von Möglichkeiten bereit, ebenso ein boomender Sektor neuer religiöser Bewegungen.

Was aber hat es mit diesen auf sich? Wie ist es um das Seelenheil der Menschen von heute bestellt? Diese Frage versuchen Philosophen, Theologen, Sozialethiker, Journalisten, Psychologen und Kulturwissenschaftler in einem Aufsatzband zu ergründen, dem eine Vortragsreihe des "Heinz Nixdorf MuseumsForums in Paderborn" zu Grunde liegt.

Lange glaubte man, Aufklärung und Erkenntnisfortschritt würden Glauben und Religion überflüssig machen. Doch mittlerweile ist vielen klar geworden, dass zentrale Überlebensfragen der Menschheit von einer rein rationalen Wissensgesellschaft nicht zu beantworten sind. Selbst Jürgen Habermas (der katholische Sozialethiker Matthias Sellmann nimmt in seinem Beitrag auf ihn Bezug) hat erkannt, dass das Verhältnis von Glauben und Wissen kein Nullsummenspiel ist, dass die Religion nicht restfrei in Philosophie, Psychologie, Ethnologie, Kunst oder Soziologie aufgeht und dass der immer knapper werdenden Ressource Sinn nur die Religion entgegen wirken kann. Diese kristallisiert sich stets dort heraus, wo Kontingenz und die Unverfügbarkeiten des Lebens erfahren werden, meint der Zürcher Philosoph Hermann Lübbe.

Während jedoch die herkömmliche christliche Religion allmählich zu verschwinden droht, breiten sich Gruppen und Bewegungen, die religiöse Wellness versprechen, immer mehr aus. Aber werden diese den Schattenseiten des Lebens wirklich gerecht? "Ein bisschen Zen-Meditation gegen den Stress", ein wenig Esoterik-Lektüre, der neue Jahreswagen und das Marken-Handy, die allenfalls das Selbstwertgefühl steigern, helfen in biografischen Krisen und Abbrüchen von selbstverständlichen Vertrautheiten nur wenig, gibt Michael Utsch von der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauungsfragen zu bedenken. Es gelte Begrenzungen zu respektieren, an Krisen zu wachsen und mit Kompromissen leben zu lernen. Dazu gehört auch das Eingeständnis von Endlichkeit, Fehlbarkeit und Schuldfähigkeit.

Der Grazer Rechtsphilosoph Peter Strasser ist ebenfalls der Ansicht, dass religiöse Wellness und so genannte Wohlfühlreligionen die Untiefen des Lebens, insbesondere die Frage nach dem Tod, einfach ausblenden. Auf der anderen Seite darf auch nicht übersehen werden, dass es oft recht schwierig ist, religiöse Grundansprüche, vor allem wenn diese mit islamischen Gewohnheiten verbunden sind, in eine demokratische säkulare Verfassungslogik hinein zu buchstabieren. Nicht selten wird auch Gewalt im "Namen Gottes" ausgeübt. Man denke nur an die vielen gewalttätigen religionspolitischen Auseinandersetzungen in aller Welt, sei es in Nordirland, in Sri Lanka, in Israel, auf dem Balkan, im Irak oder in Algerien. Dann allerdings bekommt das Religiöse an sich, betont Matthias Sellmann, "eine fratzenhafte, bedrohliche und lästige Gestalt" und erschreckt viele ob ihres gewalttätigen Potentials.

Doch kehren wir nochmals zurück zur Religion im westlichen Raum, die in dem hier vorzustellenden Buch den größten Raum einnimmt. Henning Röhl, Geschäftsführer von Bibel TV, weist auf neue Formen der Frömmigkeit hin, die stark von der Musik bestimmt sind, und preist seinen Sender, der seit dem 1. Oktober 2002 in Betrieb ist. Dabei rät Röhl Christen, Nichtchristen von der "Einzigartigkeit der christlichen Botschaft" immer wieder von Neuem zu überzeugen. Mission sei unerlässlich, mahnt Röhl, ungeachtet der Tatsache, dass in der Vergangenheit Christen mit ihrem Missionseifer bei Heiden und Andersgläubigen, insbesondere bei Juden, viel Unheil angerichtet haben.

Hans-Martin Gutmann, Professor für Praktische Theologie, wiederum macht deutlich, dass in der Bibel Gott und Geld als ausschließende Alternative angesehen werden und dass der Kapitalismus selbst als Religion zu betrachten sei, insofern dieses Wirtschaftssystem Macht über Lebensplanungen und Sehnsüchte der Menschen hat. Ausweg biete dagegen "die Reise in die Welt hinter der Welt", die in populärkulturellen Erzählungen und Begehungen wie dem Kino, dem Besuch im Fußballstadion und im Rockpalast angeboten werden. Eine solche Reise partizipiere "an der uralten Macht der Erzählgestalten von Religion."

Eine Reihe der hier vertretenen Autoren analysiert religiöse Ausdrucksformen der Neuen Medien, die oft nicht nur der Informationsverbreitung dienen, sondern auch als Generator neuer religiöser Ausdrucksformen fungieren, die unser modernes Leben bestimmen. Sie versprechen sogar Heil. Soll man sich darüber wundern? Immerhin war die Theologie seit jeher, wie Jochen Hörisch darlegt, Medientheorie. Abhörprobleme gab es schon im Paradies. Die Schlange hörte mit und mischte sich ein. Kommunikationsviren treiben ihr Unwesen also, wie Hörisch herausgefunden hat, nicht erst seit der Erfindung von Computersoftware. Der Münsteraner Philosoph und Theologe Klaus Müller stellt Verwechslungen zwischen technisch Projektiertem und religiös Rhetorischem fest. Seiner Meinung nach würden alle großen Themen aus den jüdisch-christlichen Erzähltraditionen von Philosophen und Apologeten des Cyberspace in Anspruch genommen.

Wolfgang Nethöfel, Marburger Wirtschafts- und Sozialethiker, glaubt - gewiss nicht zu Unrecht -, dass Vernetzung das Bewusstsein von Wirklichkeit und das Welt- und Gottesbewusstsein in den Religionen verändert. Indes seien "das christliche Abendland und die christliche Traditionsgemeinschaft mit ihren hoch differenzierten Organisationen [...] verpflichtet, seine kulturell bewährten Orientierungsinstrumente zur Bearbeitung von Traditionskrisen anschlussfähig zu machen an die globalen Netze." Das Gefahrenpotential durch unrealistische Versprechen im Internet sei, warnt Utsch seinerseits, jedenfalls nicht zu unterschätzen.


Titelbild

Hans-Martin Gutmann / Cathrin Gutwald (Hg.): Religiöse Wellness. Seelenheil heute.
Wilhelm Fink Verlag, Paderborn 2005.
215 Seiten, 22,90 EUR.
ISBN-10: 377054028X

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