Variantenreiches Liebesverlangen

Franz-Heinrich Hackel hat Gedichte und Geschichten über die Liebe zusammengestellt

Von Erhard JöstRSS-Newsfeed neuer Artikel von Erhard Jöst

Besprochene Bücher / Literaturhinweise

Antworten auf die Frage, "was denn die Liebe sei", möchte Franz-Heinrich Hackel den Leser über die in dem "großen Buch von der Liebe" zusammengestellten Texte finden lassen. Selbstverständlich ist ihm bewusst, dass es zu dieser "großen Frage des Lebens" lediglich eine "nicht endenwollende Auseinandersetzung", aber keine Lösung geben kann. Schließlich hat Altmeister Goethe, auf den Hackel sich in seinem Nachwort beruft, bereits erkannt, dass das Buch der Liebe das "wunderlichste Buch der Bücher" sei. Vielleicht lässt sich über die Beobachtung von Liebenden das Geheimnis der Liebe lösen? Auch wenn das nicht gelingen sollte, bleibt dem Beobachter doch ein Gewinn, wie Justinus Kerner weiß: "Doch in Wahrheit! Immer / Ists am schönsten anzusehn: / Wie zwei, so sich lieben, / Selig bei einander stehn." Neben den bedeutendsten deutschsprachigen Schriftstellern des 19. und 20. Jahrhunderts lässt Hackel auch weniger bekannte Autoren wie Ernst Hardt, Josef Christian Karl Anton Freiherr von Zedlitz, Hermann Bahr, Franz Blei oder die inzwischen fast vergessenen Ferdinand von Saar, Jakob Wassermann, Peter Hille und Hermann Sudermann zu Wort kommen. Von Friedrich Schiller präsentiert er "Eine großmütige Handlung aus der neusten Geschichte", sicherlich ein Text, der nur wenigen bekannt sein dürfte.

Manchem Textzeugnis, von den Zeitgenossen als Beleg für Wahnsinn abgetan, spricht er literarische Qualität zu, beispielsweise dem Brief Henriette Vogels aus dem Jahr 1810. Henriette hat sich bekanntlich am 21. November 1811 zusammen mit Heinrich von Kleist das Leben genommen. Für Hackel sind ihr Brief und Kleists Antwort der Beweis dafür, "dass die Phantasie des Dichters der Phantasie seiner Geliebten unterlegen ist." Die "Kosenamen, die Henriette Vogel für Heinrich von Kleist findet", entzücken ihn und bringen ihn zum Schwärmen, denn es seien "wunderbare Liebesworte in einer Sprache voller ungewöhnlicher Bilder".

Na ja, das ist sicherlich eine Geschmacksfrage. Man muss sich wohl selbst in einem Liebesrausch-Zustand befinden oder zumindest ein Faible für solche Aufzählungen in einer Art Liebes-Gestammel haben, um Hackels Wertung nachvollziehen zu können. Auf Menschen, die sich in einem "normalen" Zustand der Nüchternheit befinden oder die einen Sinn für Ironie haben, wirken Henriettes Heinrich-Vergleiche hingegen unfreiwillig komisch. Der Leser kann ja selbst testen, wie die Worte "mein Süßtönender, mein Hyazinthen Beet, mein Wonnemeer, mein Morgen und Abendroth, meine Aeolsharfe, mein Thau, mein Friedensbogen, mein Schoßkindchen" auf ihn wirken.

Aber nicht nur seltsame Schwärmereien, sondern auch andere Spielarten von Liebesbekenntnissen und Liebesbriefen werden in Hackels Buch präsentiert. Rahel Varnhagen "bringt die Frage, was denn Liebe sei, in Zusammenhang mit Wissen. Für sie ist Wissen eine Art Vorratskammer, ein 'geistiges Haben'. Und sie folgert daraus: 'Durch Wissen ist man überzeugt: Liebe ist Überzeugung'. In diesem Spannungsbogen zwischen Wissen und Nichtwissen, zwischen Gewissheit und Zweifel, stehen die Texte des vorliegenden Lesebuchs, mit den 'gedruckten Herzen großer Menschen', so Peter Altenberg, mit Blättern der Freuden, Seiten des Kummers und Leidens, Geschichten voller Leidenschaft, Gedichten der Sehnsucht, Versen von Trennung und Wiedersehen."

In der Tat bietet das Buch Abwechslung, zuweilen auch unterschiedliche Ansichten bei Autoren, die mehrfach zu Wort kommen. Der Lyriker Georg Heym ist nicht nur mit dem Gedicht "Zu ruhen nun in den durchwühlten Kissen...", sondern auch mit dem Prosatext "Kleines Viaticum für eine Dame" vertreten, der sich allerdings liest wie die abstrusen und unausgereiften Liebesvorstellungen eines Spätpubertierenden, für den die "Wahrheit trostlos langweilig" ist. Er fordert daher: "Zu einer Frau gehört die Lüge. Ein Weib, das nicht verlogen ist, ist in meinen Augen ein Bastard, dem immer ein Teil am echten Blute fehlt, mag er sich auch noch so prächtig herausstaffieren. Warum kannst du nicht mit Grazie lügen? Warum bist du so bar aller Phantasie?"

Die Texte, denen eine melancholische Stimmung zugrunde liegt, sind in der Überzahl. Variantenreich wird die Erkenntnis vermittelt, dass Liebe oft mit Schmerz verbunden ist. Hermann Sudermann sinniert in seiner Erzählung "Die Freundin": "Es scheint ein ehernes Gesetz des Glückes zu sein, dass die Liebe im Sinnentaumel beginne und in dem Frieden stiller Freundschaft - ich meine hier die Ehe - ein Ende nehme. Der umgekehrte Weg ist nicht verboten, aber er führt - in die Wüste." Zu der oft beschriebenen unglücklichen Liebe gibt es zu wenig Gegengewichte, die dem Buch durch ihre Leichtigkeit die richtige Balance gegeben hätten. Auch Heinrich Heine ist mit seiner "alten Geschichte" vom Jüngling, der ein Mädchen liebt, das "einen andern erwählt", vertreten: "Es ist eine alte Geschichte, / Doch bleibt sie immer neu; / Und wem sie just passieret, / Dem bricht das Herz entzwei." Amüsant klingen Wilhelm Buschs Verse: "Wärst du ein Bächlein, ich ein Bach, / So eilt ich dir geschwinde nach."

Adelbert von Chamissos Text "Adelberts Fabel" passt nicht unbedingt in den Sammelband. Anrührend die Geschichte, die Theodor Fontane erzählt: Eine Dame und ein Herr, beide "in die Jahre" gekommen, treffen sich zufällig in einem Kurort, gehen gemeinsam im Friedhof spazieren und erkennen angesichts der "Vergänglichkeit aller Dinge", dass man nie zu alt ist, "um glücklich zu sein." Traurigkeit schwingt mit in Friedrich Hebbels bekannter Geschichte von der "treuen Liebe", die erzählt, wie "eine 70jährige Matrone am Stabe" ihren Geliebten wieder erkennt, der bei einem Bergwerksunglück sein Leben verlor: Als man fünfzig Jahre später die Grube aufräumt, findet man dort "die Leiche eines Jünglings in lebender Schönheit": "Man hätte meinen sollen, er sei erst gestern dem Tode in die Arme gesunken. Der Körper war nämlich ganz von einer Art Asphalt durchdrungen, der keine Zerstörung zulässt." Spannend dargestellt sind Eduard Mörikes Erinnerungen an "Lucie Gelmeroth". Mitreißend wirkt Georg Herweghs Gedicht "Komm, mein Mädchen, in die Berge", ebenso enthusiastisch fällt Emma Herweghs Antwort-Gedicht "Zu dem Meere, zu dem Meere" aus: "Daß ich dich im Arme hielte / Eine einz'ge kleine Stund', / Deinen warmen Herzschlag fühlte, / Einen Hauch von deinem Mund - / Fürchten wollt' ich nicht die Wellen, / Die im Sturm manch Schiff zerschellt: / Sprich, sind wir nicht auch Rebellen / Gegen eine Sklavenwelt?"

Ernst Hardt präsentiert eine Liebesgeschichte mit viel Schwulst als orientalisches Märchen. Mancher Text aus der von Hackel getroffenen Auswahl verrät mehr über seinen Verfasser und dessen erotische Wunschträume als über das Thema Liebe. Bei den Texten der weniger bekannten oder vergessenen Autoren stellt sich die Frage, ob es wirklich nötig war, diese auszugraben und in einen Sammelband aufzunehmen. Leider erläutert Hackel nicht die Kriterien, nach denen er seine Textauswahl getroffen hat. Der Untertitel des Buchs signalisiert lediglich, dass es "die schönsten Liebesgedichte und Geschichten" enthalte. Aber der Herausgeber gibt auch nicht bekannt, wie er den Begriff "schönste" definiert. Freilich kann man über die Textauswahl bei einem solchen Themenband immer streiten, und natürlich ist es Wertungssache, ob Rainer Maria Rilke mit vier Gedichten vertreten sein muss und ob es wirklich die von Hackel ausgewählten sein mussten. Aber dass in einem Sammelband mit den angeblich "schönsten Liebesgedichten" kein einziger Text von Bertolt Brecht aufgenommen wurde, das ist doch mehr als verwunderlich und sicherlich ein Versäumnis.


Titelbild

Franz-Heinrich Hackel (Hg.): Das große Buch von der Liebe. Die schönsten Liebesgedichte und Geschichten.
Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2006.
284 Seiten, 19,95 EUR.
ISBN-10: 3455023401

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